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pxrouge FESTIVAL REVIEWS I 63. FESTIVAL DE CANNES I VON DIETER WIECZOREK I 2010

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Zellenterror

 

 

 

 

VON DIETER WIECZOREK

63. Festival de Cannes

Festival de Cannes

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Einige Filme können nur einen schweren Start haben in Cannes Partyfrohsinn. Einige Filme sind zu radikal und schonungslos, um mit dem üblichen Premierenhysterie-Abklatsch rechnen zu können. Sie hinterlassen ein irritiertes Publikum, das nicht recht weiß, ob es weinen, klatschen oder einfach still bleiben soll. Wer das Glück hat, einen dieser raren Momente in Cannes zu erleben, kann sich sicher sein, soeben ein bedeutsames Werk gesehen zu haben, daß die Kraft hat, Automatismen auszubremsen. Philip Kochs Film Picco ist ein solches Werk. Als Erstlingsfilm in die »Quinzaine des Realisateurs« platziert, Cannes Sektion der jungen Talente, liefert Koch eine fast analytisch kühle Studie des Knastsyndroms, das seine Insassen in eine Spirale der Aggressionen mit nicht selten tödlichem Ausgang treibt. Durch punktgenaue Wahrnehmung und überzeugend rudimentäre Dialoge gelingt es ihm, das vor allem im Schlußteil fast unerträglich perverse Treiben in kristallinen Bildern jenseits von Voyeurismus oder selbstgefälliger Gewaltästhetik darzustellen.

Mit umfassenden Recherchen hat sich der Münchener vorbereitet, die Wirklichkeit hinter den Mauern des Strafvollzugs auszuloten, die jährlich Dutzenden von Insassen das Leben kostet. Was die Gesellschaft ihren Entgleisten fern der Öffentlichkeit antut, ist – aufgrund des Mangels an diskutierten Gegenmodellen – ein gern tabuisiertes Thema. Der Knast als Endlösung krimineller Akte wird allseits immer noch bedenkenlos akzeptiert. Die schmutzige Zellenrealität, deren Insassen kaum mehr an ein Leben Draußen glauben, schonungslos in den Blick zu rücken, ist Kochs mutige, da jede Gefälligkeit meidende und fiktionalen Input ausschlagende Leistung.

Ausgehend von einem publik gewordenen, faktischen Folterfall rekonstruiert Koch ein in Zellen aufgeteiltes geschlossenes System, in dem angestaute Aggression als einzige mögliche Kommunikationsform jenseits von Gut und Böse ungesteuert zirkuliert. Er bietet Einblick in die immergleichen Mechanismen der Gewaltgenese. Zu Anfang die willkürliche Opferwahl durch einen über Gerüchte hergestellten Homosexualitätverdacht, gefolgt von unausgesetzter Erniedrigung, Demütigung und Vergewaltigung, die zufällige Zeugen als passive Mittätern noch mehr ans System bindet, bis hin zur letzten Etappe des forcierten, inszenierten Selbstmordes, für die in die Enge Getriebenen einzige Flucht aus der permanenten Tortur, es sei denn sie stellen ihre »Männlichkeit« durch noch extremere Gewaltakte unter Beweis, die die Aggressionsspirale noch einmal nach oben schnellen läßt.

Die einzig möglichen Öffnungen dieses geschlossenen Zellensystems, das Wachpersonal, der Priester und die Psychologin, werden allesamt von Koch als unfähig bzw. ignorant charakterisiert. Entweder banalisieren sie die Vorzeichen der Katastrophe, raten zum bloßen Ausharren, oder sie fordern scheinnaiv zum Dialog auf, als ob sie nicht wüßten, daß jede Rede über die Zellenwirklichkeit im System erbarmungslos gerächt wird. Selbst der Besuch einer interessierten Jugendgruppe wird vom Wachpersonal als Mittel zur Erniedrigung der Gefangenen genutzt.

Die schauspielerischen Leistungen und eine Kameraführung, die Klaustrophobie bedrückend spürbar macht, tragen dazu bei, Kochs ersten Langfilm als einen der wichtigsten Beiträge dieser Tage in Cannes auszuzeichnen. Eigentlich sollte Picco in jeder Schule als Diskussionsstoff gezeigt werden, da die glasklar beschriebenen Mechanismen über die Gefängnissituation weit hinausgehen. Warum nicht optimistisch bleiben und hoffen, daß Picco sich auch auf den Arbeitstischen politischer Entscheidungsträger wiederfindet rouge

 

 

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FESTIVAL DE CANNES

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12 - 23 / 05 / 2010

Festival de Cannes

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