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pxrouge FESTIVAL REVIEWS I 63. FESTIVAL DE CANNES I VON DIETER WIECZOREK I 2010

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Selbstverlorenheit, traumatische Geschichte und verdrängtes Trauma

 

 

 

 

VON DIETER WIECZOREK

63. Festival de Cannes

Festival de Cannes

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Cannes ist auch wie Kirmes. Alles ist hier möglich und immer wieder bedarf es einiger Orientierungszeit, um zu verstehen, daß hier auch Zweit- und Drittrangiges problemlos Eintritt finden und mit einem hohen Aufmerksamkeitsniveau rechnen kann, völlig unabhängig von künstlerischer oder cinematographischer Qualität. Zumindest für einen kurzen Moment. Doch dann klingt die Hysterie schnell ab. So spricht bereits niemand mehr von Ridley Scotts schlachtenfrohem Machwerk, der das Festival eröffnete.

Es sind die genau beobachtenden und ästhetisch durchgeformten Werke, die man eigentlich zu sehen nach Cannes gekommen ist. Filme wie Christoph Hochhäuslers deutscher Beitrag in der Nebenreihe »Un certain Regard« gehört in diese Kategorie. Hochhäusler will verständlich machen, was hinter den kalten Kulissen des Topmanagements lauert: ungelebte Träume, verlorene Hoffnungen und viele Lebenslügen. Die Begegnung zwischen einer freakig gebliebenen, mit einem farblosen Aufsteiger verheirateten Frau und dem »Topmanager des Jahres« hat in der Eröffnungsphase eine leichte Schwäche im Drehbuch, da kaum verständlich wird, wie diese rebellische Frau nach einigen Gesprächsfloskeln sich bereits nach einem Filmschnitt nicht unwillig im Hotelzimmer mit ihm wieder findet. Aber in der Folgephase arbeitet Hochhäusler sehr genau den existentiellen Leerlauf seiner Protagonisten heraus, die in ihrem gegenwärtigen Leben auf so wenig Erwähnenswertes finden, daß sie weit in ihre Biographien zurückgehen müssen, um auf einstige Lebensenergie zu stoßen, auf mit Risiken einhergehende Lebenslust.

Glaskalt spiegelnde Architektur, hochkontrollierte Emotionalität und skrupellose, strategische Machtspiele sind in Hochhäuslers Film Unter dir die Stadt jedoch kein geschlossenes System. Die Fluchtlinien in ein einstiges, noch gelebtes Leben, sind dem Manager, im Gegensatz zu seiner Geliebten, jedoch ebenfalls bereits unzugänglich. Er klaut sich gleichsam die Erzählungen seiner Jugend aus seiner Umgebung zusammen, wie auch die Ratschläge, wie man eine Frau wirklich an sich zu binden vermag. Die Kraft ihnen zu folgen, das Risiko des vielleicht unerhörten Einsatzes ist dem Machtmenschen jedoch nicht zu eigen. Hochhäuslers zweiter Film in Cannes liest sich wie eine ästhetisch konsistente Studie zum eindimensionalen Menschen, der fern seines Körpers und seiner Leidenschaften in einer Scheinwelt von Sekundärwerten nicht einmal ob seiner Macht und seines Reichtums froh werden kann. In aseptischen Räumen bewegen sich Personen, die sich auf dem Karriereweg verloren haben. Lediglich in Momenten des Fehlverhaltens brechen noch Spuren einer Auflehnung und Selbsterinnerung auf.

Vom Unbehagen in der Kultur zur traumatischen Geschichtserfahrung: Jia Zhangkes Hai Shang Chuan Qi läßt Shanghais bewegte Geschichte des 20. Jahrhundert durch eine Vielzahl von Lebenserinnerungen unterschiedlicher Zeitzeugen Revue passieren. Doch wirken diese Geschichten, den Notwendigkeiten der Selbstbiographie folgend, zu detailbezogen und disparat, ohne einen roten Faden bloß additiv aneinander gereiht; ein wirkliches stimmiges Panorama Shanghais kann sich auf diese Weise nicht erschließen. Die radikalen geschichtlichen Einschnitte verlieren sich in den Familiengeschichten. Zhangke schafft eine große Nähe zu den Befragten, entwickelt aber keinen analytischen Blick, der Zusammenhänge eröffnet. Ein solches Porträtpanoptikum bedarf eigentlich Shanghais nicht, da diese Form schmerzhafter Lebenseinschnitte typisch für alle transitorischen Einbrüche sind.

Von der traumatischen Geschichtserfahrung zur anhaltenden Verdrängung des Traumas: einer der wohl wichtigsten Filme dieser ersten Spieltage in Cannes ist das dokumentarische Werk Countdown to zero. Lucy Walker zeichnet noch einmal die wohl gewußte, doch scheinbar nicht hinreichend wahrgenommene Geschichte der anhaltenden Bedrohung durch die atomaren Arsenale nach, die 500 Millionen Erdansiedlern jederzeit – in einem Zeitraum von 30 Minuten – das Leben kosten kann. Walker reichert die bekannten Tatsachen mit makabren Details an, die zeigen, daß mindestens dreimal ein irrtümlicher Atomkrieg nur um Haaresbreite vermieden wurde, beispielsweise als eine in Norwegen abgefeuerte Atomtestrakete, über die das russischen Militär nicht hinreichend informiert worden war, eigentlich Jelzin zum sofortigen unwiderrufbaren Gegenschlag veranlassen mußte. Doch der glücklicherweise zu diesem Zeitpunkt nicht Allzubetrunkene widersetzte sich seinem eigenen Sicherheitservice, hielt die Sache für einen Irrtum und drückte nicht auf den vor ihm aufgestellten roten Knopf. Präsidenten haben in diesen Situationen zwischen 5 und 20 Minuten Bedenkzeit. Walker erinnert an weitere Computerfehler und Simulationen, die nicht als solche erkannt wurden. Darüber hinaus thematisiert er die nunmehr unmögliche Vermeidung des Einsatzes unkontrollierter Atombomben, mehr oder weniger hausgemacht und in Händen suizidärer Gruppen. Nach einem solchen Film fällt es schwer, zur Fiktion zurückzukehren rouge

 

 

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FESTIVAL DE CANNES

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12 - 23 / 05 / 2010

Festival de Cannes

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