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pxrouge FESTIVAL REVIEWS I 63. FESTIVAL DE CANNES I VON DIETER WIECZOREK I 2010

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Am Rande des Tabus

 

 

 

 

VON DIETER WIECZOREK

63. Festival de Cannes

Festival de Cannes

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Cannes hat nun seinen kleinen Nebenskandal. Wirkliche Skandale kann es nur im Wettbewerbsprogramm geben. Der mexikanische Beitrag Somos lo que hay (»Wir sind was wir sind«) von Jorge Michel Gras läuft jedoch lediglich in der Nebenreihe »Quinzaine des Réalisateurs«, die einst als gegen das offizielle Festivalprogramm gegründete Initiative, die konsequent die vom Hauptprogramm Ausgeschlossenes zeigen wollte, heute aber lediglich ein freundlicher Annex des Festivalprogramms repräsentiert, daß seinen Akzent auf junge Talente und Erstproduktionen richtet.

In Gras' Film ist der Kannibalismus das hauptsächliche Thema. Eine Familie ernährt sich, einem merkwürdigen, wiederholt erwähnten, aber nie wirklich entfalteten Ritus folgend, von Menschenfleisch. Die Jagd auf das feine Gut findet nächtlich statt. Zuweilen werden auch Liebhaber und Prostituierte ins Haus gelockt und geschlachtet. Somos lo que hay situiert sich an der Borderline zum reinen Horrorgenre, das nur deshalb vermieden wird, weil die gröbsten Körpermassakrierungen nur als Sound, nicht aber als Bild, es sei den durch halbtransparente Vorhänge entschärft, Eingang finden. Gras situiert den Kannibalismus jedoch auch im sozialen Kontext als Überlebensnotwendigkeit angesichts totaler Verarmung. Auch ist Gras' Werk von Sarkasmus und Karikatur geprägt, immer dann, wenn eine total unfähige und korrupte Polizei im Einsatz gezeigt wird, die sich zuweilen auch versehentlich untereinander abschießt.

Eine unvergleichlich realistischere und nuanciertere Studie der Randexistenz bietet dagegen Alejandro González Iñárritus ebenfalls aus Mexiko kommendes, im Wettbewerb laufendes Drama Biutiful. Ein krebskranker Mann erzieht seine beiden Kinder in einer heruntergekommenen Wohnung. Auf die Hilfe seiner alkohol- und sexsüchtigen Frau zählt er nicht mehr. Beeindruckend gelingt es Iñárritu in seiner permanent Anspannung und Nervosität indizierenden Kameraführung, die mit der Perzeption der Protagonisten parallelisiert erscheint, in oftmals klaustrophobisch orientierungslosen Nahansichten, Momente von Zärtlichkeit aufschimmern zu lassen. Diesen unter starken Schmerzen leidenden Mann, dessen mitreißende Darstellung durch Javier Bardem bereits preisverdächtig ist, um ein trotz allem würdiges Überleben kämpfen zu sehen, ihn, der selbst todgeweiht ist, anderen spirituelle Hilfe leisten zu sehen, geht schon unter die Haut. Im gleichen Moment, wenn er seine Tochter bittet, ihn anzuschauen und nicht zu vergessen, schafft er einen der wenigen unvergeßlichen Momente dieser Tage in Cannes.

Sadomachochismus bis zu seiner extremsten Variante des Selbstzerstörung ist Thema des vielleicht radikalsten Films des Festival. Der Mexikaner Michael Rowe nimmt sich in seinem Werk Año Bisiestro zunächst viel Zeit, um das vereinsamte Leben einer jungen Frau in ihrem einfachen Apartment zu zeigen, dessen Tristesse nur durch punktuelle sexuelle Begegnungen unterbrochen wird, die eher Vergewaltigungen als Liebesakte gleichen. Als sie auf einen offensichtlich sadistischen Mann trifft, steigert sich die Eskapade der gewünschten Gewalt schnell zum Unausweichlichen: die Frau fordert ihren Partner auf, sie zu zerschneiden, während sie mit ihm schläft… Dezent läßt Rowe das eigentliche Trauma der Frau anklingen; der Tod ihres Vaters und ersten Geliebten, dessen Jahrestag sich nähert. Für sie der Anlaß zu ihrer selbst inszenierten Ermordung, die sie so sorgfältig wie ein Sakralakt plant und selbst ihrem Schlächter die Gummihandschuh bereit stellt. Seit Der letzte Tango in Paris (Bernardo Bertolucci, Italien 1972), Nagisa ?shimas Im Reich der Sinne (Japan 1976) und 9 ½ Wochen (Adrian Lynes USA, GB und F 1986) ist selten die innere Dynamik sadomachochistischer Beziehungen so hautnah und ohne jede Vulgarität gezeigt worden rouge

 

 

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FESTIVAL DE CANNES

info

12 - 23 / 05 / 2010

Festival de Cannes

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