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pxrouge FESTIVAL REVIEWS I 69. CANNES FILM FESTIVAL I Einige Höhepunkte I VON DIETER WIECZOREK I 2016

CANNES 2016

Die Rückschau auf das gesamte “Quinzaine” Programm Cannes’ im Pariser “Forum des Images”

Einige Höhepunkte

 

VON DIETER WIECZOREK

Cannes 2016

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Im Zentrum von Paris, unmittelbar neben der zentralen Metrostation Châtelet, liegt das “Forum des Images”, Ort täglicher Filmpräsentation in mehreren Projektionsräumen, gleichzeitig Herberge einer Reihe von Festivals sowie eines umfangreichen Filmarchives gefüllt mit Beiträgen, die in irgendeiner Weise Bezug nehmen auf die Stadt Paris. Für die in Pariser Kinobegeisterten ist es gewiss besonders angenehm, Cannes’ “Quinzaine des Réalisateur” Programm, dort nicht ohne Mühe und Hindernisse zugänglich - Wartezeiten ab um die 60 Minuten sind keine Ausnahme – hier bereits wenige Tage nach dem Festival sichten zu können, oftmals in Anwesenheit der Filmmacher, zuweilen auch des ganzen Teams.

Im diesjährigen Programm überzeugte auch der Eröffnungsfilm “Tour de France” (French Tour) von Rachid Djaïdani. Es ist ein versöhnlicher Film, der einen Austausches über Altersgrenzen, vor allem aber über ideologische Grenzen hinweg, als möglich erscheinen lässt, kurz ein Film, der die sich in einem katastrophalen Spaltungsprozess befindende französische Gesellschaft dringend nötig hat. Gérald Depardieu verkörpert die für ihn kaum schwierige Rolle eines unsympathischen, selbstsicheren, alle Andersartigkeiten verurteilenden Maurers aus Nordfrankreich, der sich aufmacht, auf den Spuren des Malers Joseph Vernets die französischen Hafenstädte zu bereisen.

Cannes 2016

"Tour de France", Rachid Djaïdani

 

Sein Gegenüber ist der aufsässige Rappers Far’Hook, der allerdings angesichts der Naturkraft Depardieus meist zu kuschen hat. Trotzdem gewinnt ihre Begegnung an Eigendynamik. Der Maurer und Amateurmaler Serge beginnt zu begreifen, worum es der resistenten Jugend überhaupt geht, ihre Abkehr von der öffentlichen Politikszene eingeschlossen. Diese Momente des Selbstzweifels eines Selbstsicheren sind wohl die entscheidenden in diesem sympathischen Werk, das allerdings, gleichfalls Objekt kommerzieller Kalküle, vom jungen Filmemacher den Kompromiss abverlangte, das der Rapper nicht im Rap-Argot intonieren darf, sonders sich einer allgemeinverständlich französischen Ausdrucksform zu bedienen hat. Ein Rapper ohne Rap folglich, doch Djaïdani zeigte sich noch im “Forum des Images” so beeindruckt von Depardieus Präsenz während der Dreharbeiten, dass ihn dieser kleine Kompromiss kaum fragwürdig erschienen zu sein scheint.

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Mit Laura Poitras “Risk” betreten wir gewiss ein anderes Terrain. Bereits 2014 mit dem Pulitzer Preis geehrt, den sie sich mit Edward Snowden anlässlich ihres Werkes “Citizenfour” teilte, konnten die “Quinzaine” durch die Präsentation ihres neuesten Werkes ein Ereignis erster politischer Brisanz schaffen. Im Focus Julian Assange, Gründer und zentraler Akteur der Informationsplattform WikiLeaks, die bereits lang vor den eminenten Enthüllungen Edward Snowdens Aufklärungsarbeit über “top-secret” Szenarien in Permanenz leistete. WikiLeaks ist für isolierte Insider und Geheimnisträger aus aller Welt der Ort, der ihnen Anonymität zusichert, wenn sie aus moralischen Gründen das Risiko auf sich nehmen, ihr Wissen preiszugeben, in der Hoffnung, ihre Offenlegungen der Mechanismen der Machtsysteme könnten in den noch verbleibenden, teilweise funktionierenden demokratischen Systemen noch einschneidende Konsequenzen haben.

Bleibt zu erinnern, dass trotz der UN-Deklaration der Illegalität der (indirekten) Inhaftierung Assanges, die schwedische und grossbritische Regierung nach wie vor ihre unbegründeten Anklagepunkte aufrechterhalten. Infolgedessen verbringt Assange bereits an die fünf Jahre im Asylstatus in einem Zimmer der Botschaft Ekuadors in London. Er ist Opfer des umfangreichsten Angriffs auf einen Publizisten in der Geschichte der USA. Und die US-Presse? Poitras beschreibt sie als zum grossen Teil aus Propagandisten bestehend. Investigationsjournalismus ist zur Ausnahme geworden. So muss sie auch während des Q&A in Cannes richtigstellen, dass es sich bei den scheinbaren Konflikten zwischen Assange und ihr um gefälschte Nachrichten handelt, die erneut der Strategie folgen, die eigentliche Problematik nicht auf den Punkt bringen zu wollen. Laura Poitras ist zugleich Künstlerin. Im Februar 2016 war ihre Arbeit “Astra Noise” im New Yorker Whitney Museum of American Art Teil der Ausstellung “Surviving Total Surveillance”.

 

Cannes 2016

"Risk", Laura Poitras

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Aus verständlichen Gründen niedrigeren Kostenaufwandes sind die individuelleren, konzeptuell eigenwilligeren Filme eher unter den Kurzfilmen zu finden. Der brasilianische Beitrag “Abigail” von Isabel Penoni und Valentina Homen ist zweifellos einer dieser eigenartigen Werke. Die handgeführte Kamera führt uns in ein gealtertes Haus, durch dessen zahlreiche, zum grossen Teil bereits verwahrlosten Räume sie langsam gleitet. Im Off erklingt die Stimme einer alten Frau, dann plötzlich sieht man eine völlig vermummte Figur. Offen bleibt, ob es sich um eine Fabelgestalt oder rein reales Wesen handelt. Schliesslich erscheint die gealterte Frau selbst, mit langem weissen, zurückgebündeltem Haar. Sie selbst praktiziert ihre wichtigsten rituellen Handlungen, mit denen sie Kontakt zu ihren Göttern aufnimmt, in einem verborgenen, kleinen Raum im Inneren des Hauses. Ihre Geschichte wird langsam, unter Einbindung von Archivbildern oder in Form von Radioeinspielungen Stück für Stück, mosaiksteinartig preisgegeben. Sie gehörte als Ehefrau eines Expeditionsleiters zu den ersten, die mit den Xavante Indianern im brasilianischen Amazonasgebiet Kontakt aufnahmen. Nach anfänglichem Zögern öffneten sich die Indianer und liessen die Fremden teilhaben an ihrem Leben, das sich zugleich zu verändern begann. In Archivbildern sieht man die damals junge Abigail im rituellen Tanz mit den Wilden. Isabel Penoni und Valentina Homen lassen in diesem Haus diese an sich bereits fremdartigen Kulte sich noch vermischen mit afro-brasilianischen Kulturfragmenten. Doch im Zentrum bleibt die nun alleinlebende Frau, die ihren Sterbenswunsch zum Ausdruck bringt. In der Tat verbindet sie nichts mehr mit der aktuellen Gegenwart. Die einstige Kontaktaufnahme mit den Ureinwohnern, die letztlich deren Kultur zerstörte, bedauert sie heute.

Cannes 2016

“Hitchhiker”, Jero Jun

 

Den innerkoreanischen Konflikt thematisiert in einer überraschend erfrischenden, humanen Perspektive Jero Jun in “Hitchhiker”. Zu Anfang zwingt ein vergeblicher Hitchhiker des Nachts im Regen stehend schliesslich einen Wagen zum Stillstand. Den gegen seinen Willen Gestoppten lädt er zu einem Drink ein und schläft kurz darauf erschöpft ein. Der auf ein Kopfgeld hoffende Fahrer jedoch liefert ihn sogleich als Spion der Polizei aus. Von da an vollzieht sich ein subtiles Spiel der Kontaktaufnahme zwischen dem nordkoreanischen Flüchtling und südkoreanische Polizeioffizier. Beiden wird klar, dass sie überraschend viel gemeinsam haben. Beide sind in Sorge um ihre Nachkommen und doch scheinen sie beide, wie ein letztes, vom Nordkoreaner intoniertes Lied zu verstehen gibt, Opfer, die ihr Leben fast schon versäumt haben. Ihre vorsichtige, humorvoll eingefangene Annäherung nach erstem anfänglichen Misstrauen vollzieht sich nicht ohne hinreichenden Alkoholkonsum, der die Sprechblockaden löst. Jero Jun schafft ein delikates Statement zur verlorenen Lebenszeit in Zeiten sinnloser Konflikte und zugleich einen Hoffnung machender Film, der Eigenwilligen die Kapazität zuspricht, Grenzen zu überwinden.

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Ena Senijarevic, die heute in Amsterdam lebende Filmemacherin bosnischer Herkunft, offeriert mit “Import” erneut ein beeindruckendes Werk, ihrem Thema treu bleibend: Fremde. Hier ist es eine bosnische Familie, die zwar eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hat, dann aber allein auf sich gestellt in der lebensunfrohen, kleinlichen Welt einer belgischen Kleinstadt nur schwer Fuss fassen kann. Misstrauen und kleine Degradierungen begleiten sie überall. Selbst die zuweilen anzutreffenden Gesten der Hilfestellung und Nachbarschaft vollziehen sich nur in Form einer schmerzlichen Hilflosigkeit. Senijarevics genaue Beobachtungen, die Ulrich Seidl analytischen Stil anklingen lassen, fangen die kleinen Momente der Ausschliessung und Distanzierung präzise ein, vor allem auch die unter Kindern. Dort schliessen selbst die zugereisten Aussenseiter, geprägt den eigenen kulturellen Ausschlussmechanismen, andere aus, wie etwa einen Zigeunerjungen, wenn es etwa um die Verteilung von Keksen geht.

 

Cannes 2016

"Import", Ena Senijarevic

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Eine andere Szene zeigt die Familienmutter, sich sich als Putzfrau in einem Krankenhaus verdingen muss, auf sich gestellt und Initiative übernehmend, als die mit einer Situation dringlichster Wiederbelebung konfrontiert wird. Als degradierte Hilfskraft jedoch hat sie kein Recht, hier aktiv zu werden. In Senijarevics “Reisender in der Nacht” (2013) war es ein sympathischer Ladendieb, der ein wenig Lebensfreude in den tristen Arbeitstag einer Tankstellenverkäuferin im Nachtdienst brachte. In Fernweh (2014) war es eine adoptierte Jugendliche, das in einer Landfamilie mit einem geistig behinderten Kind nicht heimisch werden konnte. Niemals pathetisch, niemals idealisierend bringt Ena Senijarevic diese vereinsamten, marginalen Existenzen ins Bild, eine kristalline Metapher heutiger globaler Unbeheimatetkeit rouge

 

 

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69. CANNES FILM FESTIVAL 2016

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11 - 22 / 05 / 2016

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