interference
interference
eng
de
es
it
it
tr
 
px px px
I
I
I
I
I
I
 

px

impressum
contact
archive
facebook

 

px

 

pxrouge FESTIVAL REVIEWS I 69. CANNES FILM FESTIVAL I Cannes Wettbewerbsprogramm überzeugt durch Konfrontationen I VON DIETER WIECZOREK I 2016

CANNES 2016

Die Politik der Ausschliessung; Barrieren, Segmentierungen, Kommunikationsschranken

Cannes Wettbewerbsprogramm überzeugt durch Konfrontationen

VON DIETER WIECZOREK

"I, Daniel Blake", Ken Loach

Cannes 2016

px
px

Daniel Blake ist ein unbescholtener Mann, einer, der sein Leben lang arbeitete und in seiner Umgebung auf Recht und Ordnung achtete. Nun ist er ein Mann im Dauerstress der grossbritischen Administration, fixiert in der Endlosschleife, seinen Medizinern zufolge nicht arbeiten zu dürfen, dem Versorgungsamtes zu Folge jedoch nach Arbeit suchen zu müssen, um sein knappes Arbeitslosengeld nicht zu verliert. In den Ämtern bemerkt er, nicht der einzige zu sein, derart degradierend behandelt zu werden angesichts der umgreifenden sozialen Degradation. Ken Loach versäumt nicht, hinzuweisen auf die Hilflosigkeit vieler gegenüber den abgeforderten bürokratischen Auflagen und den hinzukommenden Internetkenntnissen. Gerade Ältere können hier nicht folgen.

Cannes 2016

"I, Daniel Blake", Ken Loach

 

Selbst Opfer der bürokratischen Tretmühle und der folgenden existenzbedrohenden Perspektiven leistet Daniel weiterhin Hilfestellungen. Eine auf sich gestellte junge Mutter zweier Kinder steht er tatkräftig zur Seite und muss schliesslich doch hilflos ansehen, dass diese sich aus extremer sozialer Not heraus zu prostituieren beginnt. Der harmlose Mann, der eigentlich nur würdig behandelt werden will, weder als Nummer noch als blosser Bittsteller,  körperlich fragil und herzkrank, gerät derart unter Druck, dass er eines Tages, wenn auch in immer noch würdig pazifistischer Weise, aufbegehrt und als Geste des Protestes seinen Namen in grossen Buchstaben an die Mauer des Arbeitsamtes im belebten Londoner Stadtzentrum schreibt, ein schlichtes Zeichen setzend, zu existieren und wahrgenommen werden zu wollen, auch nur einen Anhörungstermin zu bekommen. Seine Geste bringt ihm spontanen Applaus bei, aber die Intervention der Sicherheitskräfte lässt nicht auf sich warten.

trailer Trailer

Ken Loach schafft in “I, Daniel Blake” einen gradlinien, schlichten Mainstreamfilm. Er bleibt seinem Themenschwerpunkt sozialer Konfrontation und Gerechtigkeit treu. Im Vergleich zu seinen Werken der letzten Jahre reduziert Loach in „Daniel“ tendenziell die Komplexität. Der Focus liegt eindeutig auf einer nahezu privativ spezifischen Situation. Ambiguitäten werden gemieden, doch die Einladung zur emotionalen Identifikation intensiviert sich. In „Daniel“ tritt die Disposition diverser Problemlagen und Perspektiven zurück, um einem moralischen Impetus“ gegen den sozialen Missbrauch einer deshumanisierten Bürokratie Raum zu geben.

Jede gelungene, emotiv überzeugende Komödie beruht auf tragischem Grund. Der deutsche Wettbewerbsbeitrag “Tony Erdmann” macht hier keine Ausnahme. Sein eigentliches Thema ist die Tristesse, existenzielle Leere und ethische Dekadenz, die das aktuelle Milieu der Macher und Mächtigen kennzeichnet. Maren Ades Film setzt hier ein, in der Welt der kleinen und grossen Machtspiele, Strategien, Hypokrisien und Intrigen, die weite Teile des Arbeitslebens prägen. Je höher man steigt in der Hierarchie, je mehr verhärten sich diese Bedingungen.

Tony Erdmann dagegen ist ein verspielter Mann, der noch Ideale hat, sich in der Natur wohl fühlt, sich gern verkleidet und Rollen spielt, um dem Alltag seine Poesie abzufordern. Er sieht gern zufriedene Menschen um sich ist sich der Gründe bewusst, warum es so wenige sind. Zu seinem grossen Bedauern muss er erkennen, dass seine eigene Tochter die Seite gewechselt hat. Aus einem verträumten Wesen ist eine harte Karrierefrau geworden. Tony macht sich auf, sie an ihre verlorenen Phantasien zu erinnern. Zunächst trifft er auf Beton. Dem unangemeldeten Besucher macht die Tochter in ihrer High-Tech Wohnung klar, dass er nicht gern gesehen ist. Er hat keinen Platz mehr in ihrem Zeitplan. Doch mit unglaublichem Ideenreichtum, Maskierungen und Etikettenschwindel gelingt es Toni immer wieder, Sicherheits- und Abschirmungsbarrieren zu überwinden, um sich in ihre Nähe zu katapultieren, mit dem einzigen Ziel, sie aus diesem Totenreich zurück zu holen. Langsam wird die junge Frau nachdenklich, beginnt auch mit gewisse Bewunderung für den keine Mühe und Risiken scheuenden Vater zu reagieren.

 

Cannes 2016

"Toni Ederman", Maren Ade

Trailer

trailer

Eine andere, nicht minder schmerzhafte Variante kulturellen Unbehagens thematisiert Xavier Dolan in seinem Werk “It’s only the End of the World”. Der kanadische Filmemacher eröffnete bereits mit seinem ersten Werk “I killed my Mother” (2008) das Tableau höchst konfliktreicher familieninterner Beziehungen. In “Mommy” (2014) schuf er eine fulminante Apotheose der Rebellion gegen Normen, die zugleich Suche war nach neuen, authentischen Beziehungsformen im Begehrensfeld Mutter-Sohn. Dolan dechiffriert, wie eine kompromisslose verbale Aggressivität nur ein nicht artikulierbares Liebesverlangen kaschiert. Nun kehrt Dolan erneut nach Cannes zurück, diesmal in den Hauptwettbewerb. An radikaler Emotionalität hat er nichts verloren, doch wirkt sein Werk reifer und nuancierter. Die Zeiten der Kaskaden infantiler Aggression sind überwunden. Zugleich wird die reale emotive Aggressivität unserer täglichen Kommunikationen nicht eskamotiert. Im Zentrum steht ein junger Mann, dem seine Todeskrankheit nur wenig Zeit lässt, seinem Leben noch Form, Sinn und Anmut zu geben. Er kehrt zu seiner Familie zurück, die er vor Jahren bewusst auf der Suche nach sich selbst verliess.

Cannes 2016

"It’s only the End of the World (Juste la fin du monde)", Xavier Dolan

 

Nun sucht er angesichts der Kürze und Fragilität des Lebens Einverständnis und Frieden bei seinen Nächsten, wie auch ein Wiedererinnern all all das, was vielleicht zu wenig Beachtung fand. Diese existenziellen Wünsche auch nur zum Ausdruck zu bringen, wird ihm, einmal am Heimatort eingetroffen, durch ununterbrochene Kaskaden verbaler Konfrontation, Anklagen, und Missverständnisse verunmöglicht. Dolans anhaltendes Thema bleibt die Unfähigkeit zu einer wirklichen Kommunikation, in der Verstehen sich durch die Fähigkeit des Zuhörens bildet. Als Angelpunkt dieses Versagens macht Dolan die Unfähigkeit aus, Schwächen, aber auch das eigene Liebesverlangen sich einzugestehen. Der Zuschauer wird Zeuge langer Dialoge, geprägt von Entgleisungen, narzisstischen Verstellungen und durch Ängste evozierten Aggressionen. Nur in wenigen Momenten wird die eigentliche Realität spürbar. Dolan bringt ein Meisterwerk der Beobachtung verdrängter Problematiken, die “Familienbande” charakterisieren, nach Cannes,. Er dechiffriert Aggressionspotenziale als Unfähigkeit zur Selbstfindung, ja zur Selbstsuche.

trailer Trailer

Eine weitere Form des Widerstandes fand ebenfalls Eingang in den internationalen Wettbewerb des Kurzfilms. Neben dem in diesem Zusammenhang bereits erwähnten Film “Timecode” zeichnet Joao Paulo Miranda Maria in “The Girl who danced with the devil”. (A moca que dançou com o diabo) ein dunkles, von Aberglauben, bis hin zu Teufelsaustreibungen, geprägtes Brasilien. Unter der Kontrolle ihres Vaters, der als Verdammungs-Prediger auf Strassen agiert, um dort alle Formen sinnlicher, spezifisch homosexuelle “Verwahrlosung” anzuklagen, führt die Tochter ein freudloses Dasein, dass nur hin und wieder durch ihre Freundin aufgeheitert wird. In dieser hermetisch isolierten Lebenswelt extrapoliert Miranda Miria noch einmal die Geste der Verdammung und Bestrafung, indem sie die beiden Frauen im Moment ihres ersten homoerotischen Kusses in Feuer aufgehen lässt. In dieser durchaus ambivalenten Szene verstärkt sie einerseits das Stigma der Verteufelung und signalisiert durch die absurde Übersteigerung eine humorvolle Distanzierung. Ihr skurriler Humor wird aber kaum zu einem befreienden Lachen führen können, angesichts der anhaltenden radikalen Verfolgung und Ermordung von Homosexuellen, nicht nur in Brasilien. Miranda Maria rekonstruiert den wahnhaften religiösen Hintergrund der Homophobie und verdichtet ihn zur kürzesten Form rouge

 

Cannes 2016

"The Girl who danced with the devil", Joao Paulo Miranda Maria

Trailer

trailer

 

rouge 69. CANNES FILM FESTIVAL I Einzelne in kollapsierenden Systemen Der Internationale Wettbewerb des Kurzfilms in Cannes I VON DIETER WIECZOREK I 2016
rouge 69. CANNES FILM FESTIVAL I Todesfugen Das Kurzfilmprogramm der "Semaine de la Critique" in Cannes gewinnt an Tiefe I VON DIETER WIECZOREK I 2016
rouge 69. CANNES FILM FESTIVAL I Cannes Wettbewerbsprogramm überzeugt durch Konfrontationen I VON DIETER WIECZOREK I 2016
rouge 69. CANNES FILM FESTIVAL I Die Rückschau auf das gesamte “Quinzaine” Programm Cannes’ I VON DIETER WIECZOREK I 2016

 

px

px

69. CANNES FILM FESTIVAL 2016

info

11 - 22 / 05 / 2016

festival de cannes

festival de cannes

festival de cannes

festival de cannes

festival de cannes

 

 

link
Cannes
px
Home Festival Reviews Film Reviews Festival Pearls Short Reviews Interviews Portraits Essays Archives Impressum Contact
    Film Directors Festival Pearls Short Directors           Newsletter
    Film Original Titles Festival Pearl Short Film Original Titles           FaceBook
    Film English Titles Festival Pearl Short Film English Titles           Blog
                   
                   
Interference - 18, rue Budé - 75004 Paris - France - Tel : +33 (0) 1 40 46 92 25 - +33 (0) 6 84 40 84 38 -