Es ist ein Moment der Vereinsamung: in der Hoffnung auf ein wenig Geld und vielleicht auch eine Form der Anerkennung entscheidet sich eine Minderjährige, sich aus den Slums Medellins, Kolumbiens zweitgrösster Stadt, aufzumachen, um für einen Pornofilm zu casten.
"Madre" di Simón Mesa Soto |
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Simón Mesa Soto zeichnet in "Madre“ ein sensibles Porträt einer jungen, fragilen Frau, die weniger an ihrer Schönheit als an sich selbst zweifelt. Sie begibt sich auf einen Weg, dessen Konsequenzen sie nicht absehen kann. Was in dem professionellen Porno-Studio dann geschieht, entzieht Soto wohlweislich des Zuschauers Blick, der aber um so genauer ihren anschliessenden Schritten folgen kann. Präzis in jeder Einstellung kulminiert der Film in der Rückkehr zu ihrer ärmliche Unterkunft am frühen Morgen, empfangen von der scharfen Stimme ihrer Mutter, die sie nach ihrem Verbleiben befragt. Die erlittene seelische Verletzung der jungen Andrea lässt sich nur erahnen durch ihrer Frage, ob sie sich noch einmel neben die Mutter legen darf, wie einst als Kind.
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Die Überlastung einer kindlichen Sensibilität ist Thema auch in Farnoosh Samadis und Ali Asgaris Werk “The Silence”. Eine schwerkranke exilierte kurdische Frau hat in einem italienischen Krankenhaus alle Schwierigkeiten, die Kommentare ihrer Ärztin zu verstehen. Daher wird ihre Tochter in die Pflicht gerufen, ihr die Nachricht über ihre weit vorgeschrittene Krebserkrankung zu übersetzen. Die Kamera folgt der jungen Frau in ihren hilflosen Bemühungen, diesen Moment hinaus zu zögern. Die junge Fatma Alakus spielt in berührender Weise den introvertierten, nicht kommunizierbaren Schmerz, ihre Mutter mit der Wahrheit zu konfrontieren. Korridore und Warteräume stellen den Echoraum des Schweigens dar. Die mehrjährige Zusammenarbeit des Filmteams iranischer Herkunft nennt die langjährige Wegbegleiterin und Drehbuchautorin Farnoosh Samadi nun auch als Ko-Regisseurin. Durch politisch-kulturell restriktive Kontexte verursachte Tabus und Kommunikationsbarrieren sowie eine nicht immer fei gewählte Intimität standen bereits im Zentrum ihrer vorangegangenen Werke. Mit “The Silence” verlängert sie die Thematik in einen ausseriranischen Kosmos.
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"The Silence", Farnoosh Samadi, Ali Asgari
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Die besten Komödien sind diejenigen, die der Fatalität der Wirklichkeit ins Auge schauen und doch in der Lage sind, Fluchtlinien (Gilles Deleuze) zu schaffen, hin zu einem Ausserhalb, zu einem neunen Terrain. Jango Giminez (Spanien) gelingt in “Timecode” genau dies. Er zeichnet eine aktuelle Welt der Überwachung durch “Sicherheitssysteme”, in der dem menschlichen Körper lediglich noch die Rolle potenzieller Bedrohung zukommt. Freudlos verrichten die Beobachter vor den Kontrollmonitoren ihre Arbeit. Ihr eigenes Leben ist zu einer automatisierten Farce von Wiederholungsschleifen degradiert. Doch genau in diesem leblosen Feld kommt es zu einer Mikrorebellion. Ein Sicherheitsbeamter beginnt in unbeobachteten, nächtlichen Momenten zu tanzen. Seine Kollegin entdeckt diesen Skandal per Zufall im Videoarchiv. Doch statt den Fall zu melden, ist sie fasziniert von diesem für sie völlig überraschenden Potential ihres bisher konturlosen Kollegen. Sie beginnt die einzige angemessene Kommunikation mit dem Ausbrecher und sendet ihrer eigenen vorsichtig einsetzenden Tanzschritte, aufgezeichnet durch die gleichen Überwachungsanlagen, zu ihm. Ein Spiel ohne Grenzen zwischen den beiden beginnt.
"Imago", Ribay Gutierrez |
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Einzelgängerisch ist auch das Leben der Mutter eines handikapten Kindes, die ihren ganz eigenen Weg gefunden hat, zu überleben am Rande von Manila. Sie steht zu nächtlicher Stunde vor Krankenhäusern bereit, um gegen ein Handgeld Fehlgeburten oder Abtreibungen entgegenzunehmen, um den Körpern, die sonst schlicht im Abfall enden würden, zumindest ein provisorische Begräbnisstätte zu verschaffen. Dieser Akt ist illegal. Raymund Ribay Gutierrez konturiert in “Imago” eine menschenverachtende grosstädtische Lebenswelt, in der die einfachsten humanen Gesten keinen Raum mehr finden. Wie eine Kriminelle muss sich die Frau verstecken und mehrfach Risiken eingehen, bis sie am frühen Morgen endlich mit grosser Gewissenhaftigkeit, ihre Moral gegen die Entmenschlichung stellend, ihr Werk verrichten kann, bevor sie in ihre ärmliche Unterkunft zurückkehrt. Gutierrez zeichnet ein Szenarium moralischer Dekadenz, in dem die Dominanz materieller Not in ethische Abgründe führt.
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Genau diese Welt jenseits von Gut und Böse, in der nur noch kleine Vergnügungen, schnelle Betäubungsmittel und anonymer Sex den Alltag bestimmen, taucht der aus Grossbritannien stammende Beitrag Sara Dunlops ein. In “Dreamlands” schildert sie das Leben von Jugendlichen in ihren Fahrzeugen, von Sexparty zu Drogenparty pendelnd. Ihre Beziehungen sind reduziert auf Gruppenkumpanei. Die 17jährige Pixie ist Teil dieser Gruppe. Reflektionslos nimmt sie mit, was zu haben ist. Doch dann wird sie mit einem jungen Mann konfrontiert, der sich merkwürdigerweise heraushält aus dem Vergnügungstreiben um jeden Preis. Sein Zögern irritiert sie. Ihre Coolness beginnt zu bröckeln. Gefühle hinter der leichten Oberfläche, vor allem der Wunsch nach Zärtlichkeit und Wahrgenommenheit, dringen in ihr Bewusstsein. Pixie wird schweigsam. Mit beeindruckender Stilklarheit konfrontiert sich Sara Dunlops mit dem zynischen jugendlichen Nihilismus der Oberfläche, hinter dem sie eine noch intakte Welt der Suche nach Authentizität aufspürt |
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"Dreamlands", Sara Dunlop
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