Der aus Palästina stammende Filmemacher Hany Abu-Assad entwickelt in «Omar» ein kompliziertes palästinensisch-israelisches Konfliktszenario. Der Film beginnt mit Szenen unnötiger, sadistischer Demütigung der Palästinenser. Gleichzeitig bereitet sich im Untergrund ein bewaffneter Widerstand der Unterdrückten vor. Die zentrale Handlungsdynamik entwickelt sich als Konsequenz der Inhaftierung eines der Rebellen, der gefoltert hinter geschlossenen Gittern vor die Wahl gestellt wird, sein Leben in Haft zu verbringen oder als Spion zu agieren. Der provokanter Punkt in Hany Abu-Assad in der Sektion “Un Certain Regards“ platzierten, an Aktionsszenen reichen Film ist zu zeigen, dass die Israelis nicht so leichtes Spiel in ihren psychologischen Torturen hätten, würden sie nicht von Misstrauen und Missverständnissen unter den Palästinensern selbst profitieren. Sexuelle Tabus und Ehrencodes führen dort oftmals zur Verstellung und Heuchelei und zu einer gefährliche Unfähigkeit zur Kommunikation. Dies ist der fruchtbare Nährboden der israelischen Interventionen. Am Ende von Assads Werk steht ein Schuss, der beide Seiten tötet. Die Logik der Revanche ist mit dem Leben zu zahlen, ein konsequent realistisches Abschlussbild angesichts der ausweglosen realen Situation.
Gefangenschaft ist Thema auch in dem in der Nebenreihe «Quinzaine des réalisateurs » gezeigten Werkes «L’escale» von Kaveh Bakhtiari. Der in Iran geborene, in der Schweiz gradierte Autor geht dem Schicksal iranischer Emigranten nach, die in Griechenland über Jahre hinweg in Verborgenheit lebend die Entscheidung über ihre Visa-Anträge abwarten. Ihr Lebensraum ist meistenteils auf ihr Athener Appartement beschränkt, bis schliesslich einige unter ihnen als letzten Verzweiflungsakt öffentlich in den Hungerstreik treten, vor den Gebäuden der administrativen Aufsichtsbehörde. Bakhtiari verbringt Wochen und Monate mit den im erzwungenen Untergrund Lebenden. So gelingen ihm intime Porträts seiner Landsleute, heimatlos, getrennt von ihren Familien und ohne jede Chance einer Lebensgestaltung verbergen sie hier ihre Emotionen nicht.
"Ilo Ilo ", Anthony Chen |
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«Ilo Ilo» des Singapuräsen Anthony Chen, ebenfalls gezeigt in der «Quinzaine», der einstigen rebellischen Gegenveranstaltung zu Cannes Festival, heute lediglich sein wohl integrierter Baustein - selbst die Idee einer möglicher Rebellion in Cannes ist in unseren Tagen undenkbar geworden - wirft den Blick auf eine bourgeoise Familie, die sich ein philippinisches Hausmädchen leistet. Der verzogene Sohn macht der gerade Eingetroffenen zunächst das Leben zur Hölle, bis er einsieht, dass diese Fremde aufmerksamer und zärtlicher mit ihm umgeht als seine eigene Mutter. Diese wiederum steht unter Arbeitsdruck, ist mit möglicher Entlassung bedroht und sucht Trost in einer pseudoreligiösen Gruppe.Ihr Ehemann hat bereits seinen Job verloren. Chen macht die familiäre Degradation durch die ökonomische Krise ab dem Jahr 1997 eindringlich fühlbar, die allerdings bereits einsetzte als Seiteneffekt des Arbeitsstresses und Erfolgszwanges in materiell besseren Zeiten.
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Er zeigt aber auch die sich neu eröffnende Lebenschancen, da wo die Fassaden des perfektionierten Konsums nicht mehr funktionieren. Die eigentlich Gefangene bleibt die junge Philippinin, deren weit fortgeschrittenere Verarmung sie mit Tausenden Ihresgleichen teilt, die zu devoten Hausarbeiten degradiert werden, die sie widerspruchslos auszuführen gezwungen sind, um ihren Angehörigen ein Überlebensgeld überweisen zu können. Das gerade diese junge Frau Hoffnung und Anmut in diesem sensiblen, wohl beobachteten Werk an den Tag legt, gibt zu denken.
Gerade aus dem Knast entlassen ist Sombra, ein in Lissabon aktiver Drogenhändler, der eigentlich clean bleiben möchte, aber von seiner Ex-Gang kaum auf freiem Fuss unter Druck gesetzt wird, seine Schulden abzuzahlen. Bei dem Versuch, das Geld aufzutreiben, das er selbst verliehen hatte, gerät er schnell in die Kanäle der Kriminalität zurück. Der portugiesische, in der Schweiz lebender Realisateur Basil da Cunha bietet in «Até ver a luz» (Nach der Nacht) ein vielschichtiges, zuweilen an der Grenze der Glaubwürdigkeit balancierendes Bild der Drogenszene, dessen Protagonisten ihr emotionelles Repertoire oft blitzschnell wechseln, in alle denkbaren Richtungen. Basil da Cunha war schon 2012 mit seinem Kurfilm « Os vivos tambem » in der Quinzaine preisgekrönt worden, wie ebenfalls bereits 2007 Anthony Chen mit seinem Kurzfilm «Ah ma». Die Festivalsektion zieht sich ihre Featurefilmkandidaten selbst heran, fast eine Familiengemeinde |