Der Presseansturm auf den us-amerikanischen Film «Inside Llewyn
Davis» der Coen Brüder war nach der ersten Durstrecke in Cannes leicht
nachzuvollziehen. Die Erwartung eines hohen technischen Niveaus wurde
nicht enttäuscht. Darüber hinaus besticht das Werk durch seine
szenischen Unvorhersehbarkeit. Im Mittelpunkt steht der gestresste, um
sein materielles Überleben kämpfende Sänger und Gitarist Llewyn Davis.
Sein Repertoire besteht vorwiegend aus existenziellen, komplexen und
poetischen Songs. Verseichenden Kompromisse oder der Mainstream Folk
sind keine Option für ihn. Von seiner schwangeren Freundin verstossen,
von Managern vernachlässigt und Kollegen missachtet hastet er von
einer Schwierigkeit zur nächsten. Ethem und Joel Coen bieten kein
Happy End, bestenfalls ein offenes. Eine Stärke ihres Werkes ist der
verspielte Figurenset, der die Groteske nicht scheut und doch einen
Realismus treu bleibt. Die Gestaltung der anhaltenden, angespannten
Ausgeliefertheit und Degradierung wird durch immer wieder heitere
Sequenzen in Balance gehalten.
"Jimmy P. Psychotherapy of Plains Indian", Arnaud Deplechins |
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In origineller Weise vermischt findet sich ethnologisches Wissen und
psychoanalytische Praxis im französischen Wettbewerbsbeitrag «Jimmy
P. Psychotherapy of Plains Indian» Arnaud Desplechins. Ein verspielter
und lebenslustiger Psychoanalytiker - hervoragend dargeboten von dem
sich hier für den Schauspielpreis empfehlenden Mathieu Amalric –
versucht seine in den Staaten nicht anerkannte Therapieform an einem
im Kriegtraumatisierten indianischer Herkunft unter Beweis zu stellen,
sein einziger Patient, seine einzige Chance. Gewiss wird Psychoanalyse
bei Desplechin wieder einmal zum Detektivspiel reduziert. Doch die
Dialogsequenzen halten zumindest eine permanente Entdeckungsspannung
wach. Situiert ist das Werk in den USA am Ende des zweiten
Weltkrieges.
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Die Begegnung zwischen dem junger Gelehrter, der sich
gegen Ignoranz ankämpft und dem entwurzelten, degradierten Mann, der
seine Kraft und Würde zurück zu gewinnen sucht, macht den Film
sehenswert. Eine Kinematographische Besonderheit lässt er jedoch
vermissen.
Auf die Frage, wo in der aktuellen Filmindustrie der Wurm steckt,
antworten Autoritäten wie Roman Polanski, Bernado Bertolucci, Francis
Coppola, Martin Scorsese, Diane Kruger u.a. in «Seduced and Abandoned»
von James Toback (USA). Alle sind sich einig: die grossen, visionäre,
eigenständige und eigenartige Filme haben heute kaum noch eine Chance
auf Realisierung. Es gibt keine einzelgängerischen Produzenten mehr,
die ihrer eigenen Version folgen. Filme entstehen heute in
Produzentenkartellen als Mischfinanzierung, wo sich originelle
Filmideen schnell verwässern. Werke wie Bertolucchis «Der Letzte
Tango» fänden heute schlicht keine Produktionsmittel mehr. Einige der
einflussreichsten Produzenten kommen zu Wort, die offen zugestehen,
keine Drehbücher nicht mehr lesen, dagegen ihr möglichen Budget allein
am Marktwert der auftretenden Schauspieler kalkulieren.
Die Befragungsstrategie des Dokumentarteams James Tobacks und Alec
Baldwin ist, den Produzenten ein virtuelles Filmprojekt schmackhaft zu
machen: zwei traumatisierte amerikanische Soldaten treffen sich zu
befremdlichen Sex. Über dieses Konzept finden dann ernsthafte
Diskussionen statt mit verschiedenen nationalen Filmkommissionen und
selbständigen Produzenten. Und in der Tat... die Zusagen kommen. Hier
könnte ohne grosse Schwierigkeiten Geld fliesen, bis zu fünf Millionen
Dollar, vielleicht mehr, da die Schauspielernamen hinreichend Erfolg
versprechen. Auch der Festivalleiters Cannes, Thierry Fremeaux, kommt
zu Wort. Er verteidigt die grosse Show um die teuren Filme auch als
Protektion der kleineren und unabhängigeren Werke. Doch die Frage
bleibt offen, ob man die grossen schlechten Filme und den
Schauspielglamour wirklich braucht, um eine Filmkunst am Leben zu
erhalten, die mit sehr viel weniger Mittel auskommt und nicht von
Schauspielerpräsenzen abhängig ist, da sie der Originalität eines
Konzepts folgt und Ideen der Bildgestaltung und Sounds in den
Vordergrund stellt. Tobaks Werk gewinnt am Ende noch an Intensität.
Nahezu allen aufgetretenen Schlüsselfiguren stellt er die schliesslich
Frage, wie sie ihrem eigenen Tod entgegen sehen. Die Antworten können
unterschiedlicher nicht ausfallen |