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pxrouge FESTIVAL REVIEWS I 64. CANNES FILM FESTIVAL I VON DIETER WIECZOREK I 2011

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62. CANNES FILM FESTIVAL 2011

Die Kultiviertheit des Bösen und der letzte Appell zum Überleben

 

 

 

VON DIETER WIECZOREK

"Duch, Master of the Forges of Hell", Rithy Panh

Duch Master of the forges of Hell

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Es gehört zu einer der weniger bekannten Seiten des Cannes Festival, einige ausgewählte Dokumentarfilme in sein Programm zu integrieren, die aktuelle, provozierende Konfliktfelder aufgreifen. Neben einigen hier gezeigten Arbeiten Michael Moores’ waren in den letzten Jahren der Mord eines jungen Demonstranten durch Polizeikräfte in Genua, Klimawandel und die mediale Vermarktung des Terrorismus Themen dieser Seitenprogramme.

Nunmehr markierten zwei Dokumentarfilme eine willkommene Bereicherung eines, durch seine fiktionalen Werke nur selten überzeugenden Festivalprogramms. In Duch, Me maître des forges de l’enfer (»Duch, Master of the Forges of Hell«) von Rithy Panh kommt einer der Anführer der Tötungsmaschine der Roten Khmer zu Wort, zugleich der Erste, der sich vor einem internationalen Tribunal zu verantworten hat. Vier Jahre lang war der »Duch« verantwortlich für eines der politischen Gefängnisse, in dem allein an die 20 000 Gefangene gefoltert und massakriert wurden. Insgesamt fielen etwa 1,8 Millionen der Roten Khmer zum Opfer. Der eigentliche Schock ist, daß statt der erwarteten monströsen Gestalt ein, hinter seinem wohl organisierten Schreibtisch voller historischer Dokumente sitzender, hoch kultivierten Beamter erscheint, der detailliert und offen, zuweilen auch in fließendem Französisch über Folterpraktiken und Tötungsformen Auskunft gibt, in seine Rede immer wieder Zitate europäischer Literatur wie christlicher und buddhistische Texte einflechtend. Sich selbst bezeichnet der Duch nicht als Sadist, sondern als Stoiker, der von der Unausweichlichkeit eines widerstandslos zu ertragenden Schicksals ausgeht. Mit Bedauern, aber bestimmt, erklärt er, daß es in einem Terrorsystem wie der Roten Khmer keine Alternativen gab, wollte man nicht selbst zum Opfer von Folter und Mord werden. Der Duch wirkt wie ein fast melancholischer Mann, der seine – zumeist delegierten – Taten als Opfer des Systems gegen sein eigenes Empfinden zu vollziehen hatte. Panhs Film dechiffriert, daß kein moralisches Bewußtsein, keine kultivierte Lebenserfahrung, kein Wissen und keine humane Sensibilität einen hinreichenden Schutz gegen eine animalische Barbarie bieten, sobald das eigene Leben der zu zahlende Preis einer nahezu chancenlos erscheinenden Auflehnung ist. Neben Dokumentarfilmen über Kambodscha hatte Rithy Panh bereits 2002 in S21, die Todesmaschine der Roten Khmer sich mit den Mechanismen des Terrors auseinandergesetzt.

Der wohl wichtigste Dokumentarfilm, der in seiner ersten Pressevorführung in Cannes im großen »Bunuel« -Saal einer erschreckend kleinen Journalistengruppe vorgeführt wurde, kommt aus den USA. In The Big Fix von Rebecca und Josh Tickell wird von der Ölkatastrophe in der mexikanischen Bucht ausgehend eine globale Bilanz des fortschreitenden Desasters gezogen. Der Film resümiert einerseits bekannte Fakten, liefert andererseits auch eine Fülle weit weniger bekannter Details, die im Kontext weltweiter Verflechtung multinationaler Entitäten dargestellt werden, die sich Politik als Oberflächenshow leisten, faktisch aber alle Entscheidungen dominieren.

Um den Ölteppich auf der Meeresoberfläche unsichtbar zu machen wird in militärisch abgesicherten Zonen die Chemikalie Corexit eingesetzt, die Öl zerstäubt und in die Atmosphäre katapultiert, wo das noch gefährlichere Gemisch unmittelbar in Organismen eindringen kann. Massenhaft auftretende Haut- und Atemwegserkrankungen bis zu inneren Blutungen sind die Folge, denen auch die Regisseurin zum Opfer fiel, die lebenslange Schäden vom kurzem Aufenthalt im Krisengebiet davontrug. Zum anderen verklumpen die ausgestoßenen 7,5 Millionen Liter Corexit Öl, das daraufhin bis zum Meersgrund abtaucht. Breite Zonen aller Fauna und Flora sind dort bereits dauerhaft zerstört. Unsichtbar sind auch riesigen Ölseen, die unter Wasser treiben. Dagegen läßt die US-Regierung durch bestochene Wissenschaftler die These verbreiten, Bakterien hätten bereits einen Großteil des Öls absorbiert. Obama nimmt mit seinem Sohn ein medienwirksames Bad im vorgetäuschten Golfwasser, faktisch jedoch in einer von der Verschmutzung abgesicherten Bucht. Bis heute sind weite Zonen des Krisengebiets abgesperrt. Für die Filmarbeiten machte erst die Präsenz des ebenfalls als Mitproduzent wirkenden Peter Fondas zumindest einen kurzfristigen Zugang zu den Schauplätzen der Zerstörung möglich.

Tausende angeschwemmte Delphin- und Schildkrötenkadaver sind nur die sichtbarsten Symptome einer Katastrophe, die die gesamte Fischerkultur zerstört und größere Teile der Bevölkerung erkranken ließ. Weiterhin berichten die Tickells vom nach wie vor ausströmenden Öl und erinnern an ähnliche, erst kurz zurückliegende Katastrophen wie etwa das Entströmen von Millionen Litern Öl 2006 in Alaska und an die große Raffinerieexplosion 2005.

Die Tickells gestehen in der Pressekonferenz auch zu denen gehört zu haben, die Obama mit der Hoffnung auf einen Neuanfang und eine weitgreifende Umorientierung gewählt zu haben. Nun konstatieren sie, daß das System auch einen einst in seinen Intentionen wohl aufrichtigen Präsidenten schlicht brechen kann. Obamas Schuldlast gegenüber den Sponsern seiner Präsidentschaftskampagne sowie die Anhängigkeit des amerikanischen Militärs von BP machen ihn zur Marionette einer Oligarchie weltweit arbeitender Banken, deren Absicherung wiederum an den Ölkonsum gebunden ist, da der Dollar über keine reale Absicherung als Gegenwert mehr verfügt. Die anhaltende Finanzkrise wird durch ständigen Geldnachdruck vertüncht. Um überhaupt noch konkurrenzfähig zu bleiben wird auch in den Staaten die Annäherung an ein chinesisches Sklavenarbeitssystem unausweichlich sein.

Weitere Bögen werden geschlagen, beispielsweise zur Atomindustrie, die auch in den USA innerhalb von zehn Jahren durch erneuerbare Energien ersetzt werden könnte. Es ist an der Zeit, umfassend und organisiert zu reagieren, will man einen weltweiten ökonomischen und sozialen Zusammenbruch verhindern. Die Tickells erträumen sich, daß ihr Film in alle Sprachen übersetzt und gezeigt wird. Die US-amerikanische Gesellschaft hat sich seit Vietnam niemals mehr derart in Frage gestellt, wie nach der jetzigen Golf-Katastrophe. Der Film zeigt dutzende Amerikaner, die ihren Glauben an das Land verloren haben.

Nach Dokumentarfilmen, die eine derart klare Sprache sprechen, wird man lange suchen müssen. Während die Medienmanipulation voranschreitet und eine scheinbar bewältigte Katastrophe inszenieren, kommen Journalisten und Wissenschaftler zu Wort, die einen umfassenden Systemwandel als letzte Chance des Überlebens ansehen. Aber zu noch größeren Katastrophen muß es nach Ansicht vieler politischer Experten noch kommen, etwa angesichts des weltweit nicht mehr gesicherten Wasserbedarfs, bis die Bevölkerung endlich zum umfassenden Angriff auf etablierte Machtsysteme bereit sein wird, ohne die nichts mehr zu erhoffen ist. Wer nun nicht zum Aktivist wird, wer weiterhin naiv an die Selbststeuerung demokratischer Systeme glaubt und auf deren Kapazität der Organisation eines möglichen Überlebens setzt, so der Schlußkommentar der Tickells, ist Mittäter des programmierten Untergangs rouge

 

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64. CANNES FILM FESTIVAL 2011

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11 - 22 / 05 / 2011

Festival de Cannes

Duch Le maitre des forges de l'enfer

 

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