Eine Romeo und Julia Story unter lesbischen Vorzeichen situiert in Nairobi ist zumindest eine Herausforderung. Die beiden sensuellen Frauen, die die trotz aller Wahrscheinlichkeit und in seiner Anbannungsgeschwindigkeit für den Zuschauer nicht wirklich nachvollziehbarer Weise ihrer erotischen Anziehung nachgeben, stammen aus politisch verfeindeten Familien. Ihre beiden Väter streiten gegeneinander im Wahlkampf um jede Stimme. Die eigentliche Stärke des Filmes ist gewiss die verträumte und verspielte Atmosphäre, die beide Frauen als ihre poetische Wirklichkeit der harschen Wirklichkeit entgegen setzen.
"Rafiki", Wanuri Kahiu |
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Die Glaubwürdigkeit und Plausibilität einer lesbischen Liebe brachte “Rafiki” des kenianischen Direktors Wanuri Kahiu im eigenen Land sogleich auf die Zensurliste des “Film Classification Board”, nicht wirklich verwunderlich in einem Land, wo gleichgeschlechtliche Beziehungen bis zu 14 Jahren Gefängnis riskieren. Dass Kahiu den Akzent auf die sofort einsetzenden Diffamationen seitens der Bevölkerung setzt, die schliesslich auch vor einem Lynchmord nicht zurückschrecken würden, mag als eine weitere Provokation realistischen Inputs gewertet worden sein. Kahius Film basiert auf einer Kurzgeschichte “Jambula Tree” der ugandischen Schriftstellerin Monica Arac. Das poetische Bündnis der Frauen, niemals so zu werden wie ihre Umgebung, zerbricht angesichts der massiven Lebensbedrohung. Trotzdem endet Kahius Werk nicht hoffnungslos. Ein mutiger Film. Cannes dient erneut als Transmitter differenter und lokal tabuisierter Wirklichkeiten.
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In den ukrainisch-russischen Konflikt führt das gleichfalls in der „Certain Regard“-Sektion gezeigte Werk "Donbass“ Sergei Loznitsas. Der ukrainische Filmemacher wirft einen Insiderblick auf die anhaltende Barbarei in den Grenzgebieten. Dabei lässt er oft offen, welche Seite hier eigentlich porträtiert wird in ihrer perfiden Destruktivität, ein beachtlicher konzeptueller Schachzug, der nur deutlich macht, dass auf beiden Seiten der Grenze vergleichbare kriminelle organisierte Aktivitäten Raum greifen. Loznitsa liefert für de auf Massenmedien beschränkten Zuschauer, der lediglich Kenntnis hat von einer nationaleren Konfrontation, nachhaltige Wirklichkeitsdetails. Er dechiffriert Nationalismus als Vorwand professioneller Gangs zur Betreibung ihrer Geschäfte. Die Bevölkerung wird unter Druck gesetzt und bei jeder Gelegenheit ihrer Privatgüter beraubt, um nicht als Staatsfeind diffamiert zu werden. Opulent und pathetisch wirken zuweilen diese Szenen, bis hin zu einer pathetische Hochzeit fellinischen Ausmasses, die Propagandazwecken dient. |
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"Donbass", Sergei Loznitsas
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Zugleich porträtiert Loznitsa eine aufgetriebene, hysterische Bevölkerung, die im Rausch oktroyierter nationaler Werte auch einen an einen Pfahl geketteten Gefangenen lynchen würde. Er zeigt ein Regime, das vor Massenmord nicht zurückschreckt, um diese Tat medienwirksam sogleich in perfekt inszeniertem Emotionsset den Feinden zuzuschreiben. Es vergehen nur wenige Sekunden zwischen der Abfahrt des Mörderfahrzeugs und dem gleichzeitigen Eintreffen von Polizei, Ambulanz und Kamerateam. Verfehmungsstrategien sind Teil einer eingespielten Routine
"Yomeddine", AB Shawky |
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Ein Verfemter ist Hauptfigur auch in AB Shawkys "Yomeddine“, der dieses Jahr um die Goldene Palme streite. Beshay (Rady Gamal) ist auch faktisch an Lepra erkrankt. Ihn ohne jede schauspielerische Ausbildung zum Zentrum eines ägyptischen Filmes zu machen ist, vorsichtig gesagt bemerkenswert. Noch erstaunlicher ist seine schauspielerische Leistung. Er vermeidet jede Übertreibung, Sentimentalität oder Appel an an Mitleid. Er spielt einen vorsichtigen und umsichtigen Mann, der sein Schicksal akzeptiert hat. Iden Grossteil seines Lebens verbrachte er in einer Kolonie für Leprakranke. Vereinsamt entscheidet er eines Tages, sich aufzumachen zur Suche nach seiner Familie, die ihn einst schlicht abstiess. Motiviert ist seine Reise durch das Versprechen seines Vaters, ihn nicht fallen zu lassen.
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Auf seiner nicht angstlosen Reise, mit der er riskiert, erneut zurück gewiesen zu werden, begleitet ihn der ebenfalls verwaiste 10jährige Obama. Ihre Reise führt sie quer durch durch Ägypten nach Qena. Episodenhaft durchqueren sie szenische Episoden, die zwischen krudem Realismus und Anflügen anekdotischer Heiterkeit zirkulieren, wie etwa die Begegnung mit einer Gruppe von Behinderten, die eine stabile solidarische Lebensgemeinschaft organisiert hat und schliesslich auch Beshay weiterhelfen. "Yomeddine“ ist erneut ein Beitrag Cannes zur Akzeptanz Marginalisierter |