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px rouge FESTIVALS REVIEWS I 68. CANNES FILM FESTIVAL 2015 I VORWIEGEND BEEINDRUCKENDE WERKE DER ERSTEN TAGEI VON DIETER WIECZOREK I 2015

Das Festival in Cannes 2015

Vorwiegend beeindruckende Werke der ersten Tage

 

von DIETER WIECZOREK

"Louder than Bombs", Joachim Trier

Louder than Bombs

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Dieses Jahr empfängt Cannes seine Besucher im Gegensatz zum verregneten Vorjahr mit wohltuendem Sonnenlicht. Das oft überaus lange Warten zum Einlass in die Wettbewerbsfilme wird auf diese Weise etwas aufgehellt.

Gleich zu Beginn offeriert Cannes mit “The Lobster” ein Werk, dass genau das leistet, was wir von einem Meisterwerk der Kinokunst erwarten : die Kreation eines fremdartigen, in sich homogenen Kosmos mit eigenen Riten und Verhaltensweisen, der durch seine schrille Distanz zur Norm virulente und verborgen wirksame Mechanismen hinter dem schönen Schein der seichten Normalität evoziert. Wie schon in “Dogtouth” (2009) entwirft  der griechische FilmemacherYorgos Lanthimos hermetische Gesellschaften mit autarkisch diktatorischen Tendenzen, die ihre Partizipanten zu Marionetten ihre Regelwerke degradieren. Hier ist es eine Organisation, die Einzelgängern 45 Tage lang Zeit lässt, einen Partner zu finden, wollen sie vermeiden, in ein Tier (nach eigener Wahl) transformiert zu werden. Ort des Geschehens ist ein am See gelegenes Hotel. Als Kulisse dient hier Irlands Country Kerry. Gesten und Dialogeformen sind hier extrem stilisiert. Die Partnersuche orientiert sich an gemeinsamen Schwächen und Handikap, die gleichzeitig auch als Eigennamen dienen. Aus diesem System gibt es nur die Fluchtmöglichkeit in den angrenzenden Wald, hin zu den so genannten Loners.

The Lobster

"The Lobster", Yorgos Lanthimos

 

Der Diktatur des Paar-Daseins entraten finden sich die Fliehenden jedoch in einer ebenso restriktiven Ordnung wieder. Jeder sexuelle Kontakt, jede Spur von Partnerschaft, selbst jede Annäherung oder Zärtlichkeit steht hier unter Verbot. Entsexualisierte Freiheit vs. genormte, erzwungene Partnerschaft  sind die alternativlosen Alternativen in Lanthimos Kosmos. In diesem paranoischen Ambiente reihen sich ebenso extrem grausame wie grotesk komischen Szenen aneinander, die den noch möglichen Spielraum des Verhaltens ausleuchten. In seinem ersten englischsprachigen Film mit zugleich internationaler Besetzung bedient sich Lanthimos Kompositionen von Beethoven, Schnittke, Stravinsky und Shostakovitch, die die Zwangswelt pervertierter Lüste noch zusätzlich emotinal aufheizen.

trailer Trailer 1
Trailer 2

Ein weiterer Höhepunkt gleich zu Festivalbeginn ist der ungarische Beitrag  “Son of Saul” (Saul Fia) László Nemes. Das Auschwitz des Jahres 1944 ist Schauplatz des irrsinnigen Alleingangs Saul Ausländers, einer der dort Gefangen mit der fixen Idee, einem jugendlichen Kadaver ein rituell jüdisches Begräbnis zu verschaffen. Der junge Mann überlebte unerklärlicherweise die Gaskammer und wurde darauf manuel getötet. Wie in solchen Fällen üblich soll seine Leiche zu Studienzwecken autopsiert werden.
Von der ersten Einstellung an, einer langsam an Schärfe gewinnenden Fokusierung  auf Sauls Gesicht, folgt die Handkamera der atemlosen, 107 Minuten andauernden Fahrt durch die Vielzahl von Mikrokosmen innerhalb des Lager, deren Herausarbeitung allein den Film absetzt von der Vielzahl verfilmter Holocaust-Vorgänger. Nemes assistierte Bela Tarr 2007 in “The Man From London”. Hier transformiert er die nachklingende visuelle Engführung Tarrs in ein Übermass impulsiver, hautnaher audiovisueller Gewalt.
Saul gehört einem Sonderkommando an, das Hilfsarbeiten verrichtet, in der Hoffnung, einige Monate länger überleben zu können. Im Sprachbabylon des Lagers haben sich Hierarchien, Abhängigkeiten und Beziehungsgeflechte aller Art etabliert. Sauls vorgesetzte Capos sind wiederum unterschiedlich agierenden SS-Wächtern unterstellt. Noch komplizierter wird das Beziehungsgeflecht, da sich im Lager eine Widerstandsgruppe gebildet hat, die in Kürze einen Aufstand plant. Sauls selbstmörderische Idee, ein letzter Versuch individueller Würde zu bewahren, kommt allen ungelegen und ist schlicht absurd. Und doch kommt Saul – den Mythos Einer-gegen-Alle rekonstruierend – mit Strategie und Situationsgeschick seinem Ziel langsam näher. Nemes kontrapunktiert den inpulsiven Aktionsfluss mit einer ununterbrochenen, chaotischen Geräuschkulisse und einer meandernden Kameraführung Matyas Zrdelys. Die Nahansicht lässt das Leitfaden oft in einer Fülle von Mikroevents untergehen, die vielmehr die Verlorenheit des Einzelnen in der unaufhaltsamen Todesmaschinerie akzentuieren.

Zur visuellen  Orientierungslosigkeit gesellen sich die überaus beeindruckende Soundarbeit Tamas Zanyis, der einen vibrierendes Gefüge unlokalisierbaren Lärmes, gemischt mit Geräuschen aller Art, nebst Schreien von fern und nah schafft, die fast aller ausserhalb des engen Sichtkanals situiert sind. Sauls Beziehung zu dem jungen zu rettenden Körper bleibt trotz des Titels bis zur letzten Einstellung offen. Nemes rekonstruiert keine Familienwerte, die in der Hölle überleben könnten. Das Begehren Sauls scheint eher determiniert durch das Mysterium des Überlebens, selbst wenn es, wie in diesem Fall, nur wenige Minuten andauerte. Sein erleuchteter, bohrender und selbstbestimmter Blick ist das einzige Gegengewicht zur ablaufenden Apokalypse.

 

Son of Saul

“Son of Saul” (Saul Fia), László Nemes

Trailer

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In dagegen moderate Gefilde führt Cannes Wettbewerbsfilm “Carol” des US-Amerikaners Todd Haynes. Spannung wird hier sozialpsychodramatisch geschaffen: eine scheue junge Verkäuferin verfällt in eine von Faszination und emotionaler Abhängigkeit geprägte Leidenschaft für eine aristokratische Frau, beeindruckend verkörpert in ihrer eigene fragilen, stets um Form ringende Sensibilität durch Care Blanchett. Beide Frauen, die eine selbstbewusstlose, degradierte Store-Verkäuferin, die andere, scheinbar souverän, letztlich aber ebenso unterworfene Marionette eines aufgezwungenen Rollenspiels, erscheinen als Opferfiguren der bigotten und hypokriten US-Realität der 50ger Jahre. Die aufbrechende erotische Spannung zwischen den Frauen erlaubt ihnen eine partielle Ausflucht aus ihren Verhaltensnormen, jedoch keinen wirklichen Ausbruch. Nuanciert verfolgt Haynes die Etappen aufbrechender Wünsche und Hoffnungen und das unmittelbar folgende Stadium der Enttäuschungen und Verletzungen.

Carol

“Carol”, Todd Haynes

 

Neben der gelungenen emotionalen  Nachzeichnung jedoch enttäuscht Haynes Werk Zuschauer, die von einem Film mehr erwarten als emotionale Identifikationsangebote und ästhetischen Glanz. Gewiss schafft er eine Studie des immer noch anhaltenden us-amerikanischen Konservatismus, bis heute Mainstream jenseits der Metropole, doch die literarische Vorlage, Patricia Hightmith’s “Price of Salt”, böte andere subversive Elemente als die blosse Zurschaustellung der morbiden Konsolidierung der Happy Few.

trailer Trailer 1
Trailer 2

Wie schon in “Oslo, August 31st” (2011) widmet sich der norwegische Filmmacher Joachim Trier in “Louder  than Bombs” der Dynamik einer inneren Destruktion. Im Zentrum steht die ausgelaugte Kriegsreporterin Isabelle Read, überaus beeindruckend verkörpert durch Isabelle Huppert. Konfrontiert mit dem Horror der Aussenwelt, die nicht in die Privatsphären der Privilegierten dringt, vermag sie nur schwer, ein Familienleben am Leben zu halten, das zugleich jedoch für sie ein letzter Ort eins noch zu Gefühlen fähigen Selbstseins ist, wie sie eines Nachts ihrem bereits in Schlaf gefallenen Ehemann gesteht. Ihre Sexualität teilt sie zugleich mit ihrem professionellen Kollegen, der sie zu den Kriegsschauplätzen begleitet, ein Pakt auf Zeit, beschränkt auf eine andere, doch wirklichere Realität. Ihr Leben endet im Selbstmord, vielleicht das klarste Zeichen an das nur scheinhaft bestehende Familienidyll. Ihr Ehemann, der litt und anklagte, ohne offen zu rebellieren, ihr pragmatischer erster Sohn, der angesichts seiner eigenen ersten Kindes auf dem Kurs des Nichtexpliziten verweilen will, und ihr zweiter 15jähriger Sohn, der in eine innere Isolation flüchtete, sind die Figuren, die die Konsequenzen einer Lebenslüge austragen.

Deren untereinander vielschichtigen Beziehungen gibt Trier in zeitlich hin und her driftenden Sequenzen ene beeindruckende Form. Gegenseitige Versäumnisse, zwischen den Ehepartnern, aber auch zwischen Eltern und Söhnen, sind der Grundton in Triers erstem englischsprachigem Film, der bereits “Oslo” charakterisierte. Allen Figuren, der Geliebte der Journalistin eingeschlossen, werden mit gleicher Komplexität behandelt. Sucht man eine visuelle Metapher der misslingenden Beziehungen in Triers kühlen Kosmos, bietet sich der lange nächtliche Spaziergang des vereinsamten Sohnes Conrad mit seiner im Geheimen angebeteten, nun aber völlig trunkenen Beauty der Oberschicht an, der Momente der Intimität birgt, die am nächsten Tag jedoch von ihr vergessen sein werden rouge

 

Louder than Bombs

"Louder than Bombs", Joachim Trier

Trailer

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68. CANNES FILM FESTIVAL 2015

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13 - 24 / 05 / 2015

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Louder than bombs

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