interference
interference
eng
de
es
it
it
tr
 
px px px
I
I
I
I
I
I
 

px

impressum
contact
archive
facebook

 

px

 

pxrouge FESTIVAL REVIEWS I ROTTERDAM FILM FESTIVAL 2018 I Der Dokumentarfilm im Rotterdamer IFFR 2018 I VON DIETER WIECZOREK I 2018

Der Dokumentarfilm im Rotterdamer IFFR 2018

Beissende Realitätsaspekte

 

 

von DIETER WIECZOREK

"Stammering Ballad", .

The Cleaners

px
px

Ein Festival der Grössenordnung Rotterdams offeriert zweifellos Beiträge in allen Kategorien und Genres. Wettbewerbsprogramme korrespondieren hier problemlos mit Wiederaufführungen herausragender Werke. Rotterdam realisiert damit ein wohltuendes praktisches Korrektiv zu einer Reihe fragwürdiger thematischer "Talks" (siehe unten).

Speziell geehrt wurde dieses Jahr José Camusano und Artur Zmijewski. Camusano entwirft in seinen Werken ein umfassendes sozialpolitisches Panorama der argentinischen Gesellschaft, eingeschlossen die im Exil Lebenden. Zmijewski konfrontiert sich permanent mit der Frage der Andersheit und Aufgeschlossenheit in sozialen und mentalen Bezügen. Filmemacherische, soziologische und aktivistische Aktivitäten des polnischen Künstlers koinzidieren in der nun in Rotterdam zugänglich gemachten Werkschau.

Weiterhin bietet Rotterdam eine überfällige kondensierte Aufwertung afrikanischer Kulturen, nach Dekaden immer noch anhaltender kultureller und intellektueller Kolonisierung.

Atomic Soldiers

"Atomic Soldiers", Morgan Knibble

 

Ein erster markanter Beitrag des diesjährigen Dokumentarfilmangebots war "Atomic Soldiers" von Morgan Knibble (USA, NL 2018. Durch Archivmaterial und Interviews mit Überlebenden wird die unglaubliche Geschichte der US-Amerikanischen Armee rekonstruiert, die ihre jungen, unerfahrenen und nicht informierten Soldaten als Versuchskaninchen in die unmittelbaren Nähe von Atombombenexplosionen zu Testzwecken schickte. Die Soldaten konnten währen der Explosion ihre eigenen Knochen und Arterien, wie zugleich die ihrer Kameraden sehen. Der grösste Teil dieses Soldaten erkrankte daraufhin lebenslang an Leukämie oder wurde Opfer einer Fülle unterschiedlicher Krebserkrankungen. Auch impotent war an der Regel. Die noch Zeugungsfähigen wurden mit Kinder, die ebenfalls deformiert waren oder mit Krebserkrankungen zu kämpfen hatten konfrontiert.

trailer Trailer

Ein weniger akzentuierter Aspekt des Dokumentarfilms ist das Schweigen dieser Soldaten über Jahrzehnte hinweg, zu den sie unter Androhung von Gefängnisstrafen verpflichtet wurden. Sie folgten erstaunlicherweise (nahezu?) alle auch diesem letzten Befehl, obwohl der Verursacher der evidenten Zerstörung ihrer Lebensmöglichkeiten zweifelsfrei feststand. Bleibt zu vermuten, dass im Falle einer Preisgabe ihrer Erlebnisse sie auch die letzte finanzielle Überlebenshilfe verloren hätten. Dies wäre das letzte Aus all derjenigen gewesen, dessen Gesundheitszustand es nicht mehr erlaubt hätte, eine andere Arbeit zu finden. Mehr Anschauungsmaterial zur Problematik findet sich hier.

Heavy Metal Musik in Kabul, kaum zu glauben und doch wahr. Der Musiker, Journalist Organisator und Filmemacher Travis Beard unterstützte zaghafte Ansätze der Formierung einer Szene. Bald darauf wurden die ersten halböffentlichen Konzerte in geschlossenen Räumen organisiert, unter Lebensgefahr für alle Beteiligten, da religiöse, unkontrollierten Fanatiker - nicht nur diese - Musik als satanisch ansehen und vor Tötungsakten nicht zurückschrecken. Und doch wagte die hier porträtierte Gruppe den Schritt auch ins Freie. Sicherheitshalber war ihre Musikanlage auf einem Laster montiert, so dass die bei versuchten Steinigungen hätten fliehen können. Travis dokumentiert aber vor allem die spontane Begeisterung nicht nur junger Afghanen angesichts dieses musikalischen Befreiungsschlages. "RocKabul" (Afghanistan, Australien, Bosnien-Herzegowina 2018)  verbirgt jedoch auch nicht, dass das Risiko für die Musiker und ihre Familien schliesslich überhand nahm und die sich für das Exil entscheiden mussten.

 

International Film Festival Rotterdam

"RocKabul", Travis Beard

Trailer

trailer

Rabot

"Rabot", Christina Vandekerckhove

 

Ein berührendes und engagiertes Porträt sozial bedürftiger Bewohner eines zum Abriss frei gegebenen Hochhauses in Ghent brachte Christina Vandekerckhove nach Rotterdam. In "Rabot" (Belgien 2017) gibt sie den Marginalisierten Stimme und Körper, um über ihre sich degradierenden Lebensumstände Auskunft zu geben. Ebenso intim sensibel wie distanziert respektvoll bleibt die Kamera in angemessener Distanz, um den Raum einer noch möglichen Selbstdarstellung intakt zu halten. Der Alltag dieser untereinander recht unterschiedlichen Bewohner dokumentiert die Welt der permanent Vergessenen unserer Gesellschaft. Ihr TV bleibt für sie die einzige illusorische Teilhabe am sozialen Leben. Kommunikationsstrukturen unter den Nachbarn Listen sich auf angesichts der Implantierung andere Bedürftiger ethnisch differenter Herkunft.

trailer Trailer

Der beeindruckenden Montagearbeit in "Rabat" gelingt es, ein dichtes Feld von Gedanken und Emotionen zu vermitteln und eine Dokumentarkunst solidarisch mit den Entmündigten zu entfalten. Vandekerckhove transformiert die selbst in diesen tristen Umständen noch anzutreffende Lebensenergie in ein "Happy End" zusammen zu führen, einen Tanz der Bewohner, jeder in seiner isolieren Wohnzelle, doch zu einer gemeinsamen Musik. Ein würdiges Ende für einen Film, in dem die Würde der Sprachlosen im Mittelpunkt steht.

In Rotterdam selbst machte sich im Sommer 2017 eine Gruppe willensstarker Aktivisten auf, um mit einem aus eigenen Mitteln instand gesetzt alten Fischkutter zur libyschen Küste aufzubrechen, um Migranten in Seenot Hilfestellung zu leisten. Aber wie ist wirkliche Hilfe möglich? Was tun ohne hinreichend professionelle medizinische Ausrüstung, ohne Kühlraum für die Körper derjenigen, für die jede Hilfe zu spät kam, ohne administrative Absicherung? René Hazekamps "Gangway to a Future" (NL 2018) zeigt, dass dieses Abenteuer durch die lebhafte Mithilfe all der Freiwilligen zum Teil gelingt. Doch das bald überfüllte Boot vermag in der sichtbaren Katastrophe nur ein Tropfen auf dem heissen Stein sein. Doch Hazekamps Film bezeugt ein Beispiel einer hellsichtigen Initiative, die politische Apathie und Hypokrisie bereits antizipiert. Er schafft ein starkes Dokument für Zivilcourage und Organisationstalent, ein Zeugnis mündiger Bürger, die unmittelbar gegen Unrecht aufbegehren, trotz aller nicht zu vermeidenden Rückschläge.

 

International Film Festival Rotterdam

"Gangway to a Future", René Hazekamps

Trailer

trailer

Rabot

"Stammering Ballad", Zhang Nan

 

"Stammering Ballad" biete eine politische Kritik subtiler Art: ein junger Chinese durchquert die Territorien seines Landes als Vagabund. Er ist Sänger und auf der Suche nach folkloristischer Musik. Die alten, dem Vergessen anheim fallenden Gesänge zeichnet er auf, erlernt sie und  spielt sie in spontanen Konzerten für ein kleines Publikum entlang seines Weges. Der Film folgt dem einsamem Leben eines Mannes, der seinen Heimatort verlor, der einem technologischen Grossprojekt zum Opfer fiel. Er will das China nicht verloren gehen lassen, dessen Werte und Schönheit seine Kindheit umrahmten, das aber kaum mehr Echo findet im zeitgenössischen. Zhang Nans gelingt es, den Kontrast einer hyperaktiven, aber kalten und emotionslosen Gegenwartskultur mit den emotiven Räumen und Landschaften spürbar zu machen. Ebenso schafft er ein eindringliches Porträt des jungen Sound-Enthusiasten und Gitarristen Ga Song, das besonders berührt gerade durch seine Momente des Selbstzweifel und wiederkehrender Hilflosigkeit. China in Transfusion, dieses intime Dokument widmet sich dem Thema aus der Perspektive der zum Verstummen verurteilten Opfer des gewaltigen und gewaltsamen Technologieschubes.

trailer Trailer

Auch das "Kongo Tribunal" Milo Raus (Deutschland, Schweiz 2017), bereits in Locarno präsentiert, fand glücklicherweise eine Wiederaufnahme in Rotterdam. Im rechtlosen, von westlich Kapitalinteressen in einen desolaten, von Korruption dominierten Dauerzustand versetzten Kongo arrangiert Rau ein symbolischen Tribunal. Das Argument der Filmerstellung nutzt er mit Erfolg, um selbst wirkliche Autoritäten und Verantwortliche vor das Tribunal und damit vor die Kamera zu bringen, die hier mit ihrer Anklageschrift konfrontiert werden. Ihr oftmaliges Lächeln zeigt nur die arrogante, von der westlichen Welt gestützte Lokalmacht, mit der versehen sie nichts zu befürchten haben. Allerdings gibt es angesichts des nachgewiesenen, eklatanten Dilettantismus unter den Ministern, vor allem jedoch ihrer Untergebenden, einige Bauernopfer nach dem symbolischen Prozess. Die nachgewiesenen Morde und Massaker konnten nicht völlig folgenlos bleiben.

 

International Film Festival Rotterdam

"Kongo Tribunal", Milo Raus

Trailer

trailer

Doch auch ein anklagender Student, der auf die seine Identität schützende Gesichtsmaske verzichtet hatte, verschwand nach den Dreharbeiten für immer. Entscheidend bleibt, für die Opfer und Überlebenden dieses mörderischen Rohstoffabbaus war dies der einzige und entscheidende Moment, wo ihr Leiden ausgesprochen und gehört wurde. Selbst als bloss symbolischer Akt war dies ein nicht zu unterschätzendes realpolitisches Ereignis, das zu unmittelbaren Konsequenzen in der Zukunft führen kann.

Bedauerlich nur, dass die thematischen Treffen, die täglichen Film-Talks in Rotterdam, die besonders jungen Filmemachern als Orientierung dienen sollen, mit den immer wieder gleichen Diskussionsteilnehmerkreisen bestückt werden, die in einer an Brainwashing erinnernden Weise die Nachricht eintrommeln, das alle Welt ihre Film besonders an sie, die Leiter der einflussreichen, budgetstarken Festival (Rotterdam eingeschlossen) schicken sollen, wenn möglich durch Verleiher, um die mögliche Karriere ihres Filmes nicht zu zerstören.

Der Schaden für eine reiche, aktive kulturelle Filmlandschaft, die nur durch ihre Vielfalt zu existieren vermag, wird in diesen radikal Macht akkumulierenden Strategien weisslich ausgeklammert. Diese an die aggressiven Anfänge des Kapitalismus erinnernden Strategien wollen all die Hunderte kleinerer Festivals zu Sekond-Hand Spielorten degradieren und gefährden damit deren Existenz. Denn auf welch ein Publikum können diese Festival noch hoffen, wenn die - nach monatelanger Blockierung, mit oder ohne schliessliche Zusage durch die "wichtigen" Festivals - endlich zur Verfügung stehenden Werke schon online zu sichten oder zu downloaden sind? Auch bleibt Filmen nur ein relativ kurzer Zeitraum, um in die Internationalen Wettbewerbe auch der kleineren Festivals Eingang zu finden. Würde es diesen budgetstarken Festivals wirklich schaden, wenn eine sehr beschränkte Menge von Zuschauern ein Werk irgendwo schon einmal hat sehen können? Denn letztlich entscheiden die Budgets selbst über die Frage, wie viel Publikum an den Ort kommt, die Presse und Filmkritik mit eingeschlossen, die keine Reisen an Orte mehr auf sich nimmt, um Filme in kleineren Festivals zu entdecken.

Trotzdem stellen sie meist selbst Vertreter grosser Festivals, auch wenn sie hinter vorgehaltener Hand den Problemstand nicht leugnen, öffentlichen als Opfer dar, die nur den Forderungen ihrer Sponsoren folgen, die ihnen die Weltpremieren-Politik diktieren. Ein offensichtlich hypokrites Argument, denn Sponsoren sind faktisch an nichts anderem interessiert, als an der effektiven Star- sprich Publikumsquantität am Ort, die durch Minderheitensichtungen niemals in Frage gestellt würde. Die entscheidende Publicitymaschine läuft im Budgettakt. Stellt man aber die Zuschauerzahlen einer Präsentation im A-Festival-Rahmen den Tausenden Zuschauern, die kleinere, ebenfalls auf Entdeckungen angewiesen Festivals in oft harter und unbezahlter Arbeit an ihre Spielorte bringen, gegenüber, erscheint die Frage, ob die Filme durch die blockierende Intervention der A-Festivals gewinnen oder verlieren, in ein ganz neues Licht.

Auch die in den Rotterdamer Talks (und natürlich nicht nur hier) nun üblich gewordene unkritische Favorisierung der Verleiherpraxis, die zuweilen die Filmemacher nicht einmal über Anfragen ihrer Filme seitens Festivals informiert, da sie ihnen aus kommerziellen Gründen als uninteressant erscheinen, bleibt zu beklagen. Die erhobenen Ausleihgebühren, die vor allem ihre eigene Gewinnstrategie sichern, macht es vielen Festivals, die sich nicht der Gunst von Subventionen oder anderen Zuwendungen erfreuen, da sie beispielsweise lokalen Einflussnahmen nicht nachgaben, unmöglich, viele der angefragten Filme ihrem Publikum zu präsentieren. Nebenbei bemerkt kann dieses lokale Publikum auch nicht zu den Spielorten der A-Festivals reisen und geht damit leer aus. Man wünschte sich, auch diese Aspekte in die Rotterdamer Talks Eingang finden würden. Die verstärkte Kommerzialisierung der Filmkultur und deren fatale Konsequenzen für Vielheit und Vielfalt der Filmszene, der in den letzten Jahren teilweise sogar die Kurzfilmszene zum Opfer fiel und in der sich der Untergang einer nicht zentralisierten Sichtungskultur abzeichnet, bleibt eine Herausforderung, die nicht länger ignoriert werden sollte rouge

 

 

rouge FESTIVAL REVIEWS I ROTTERDAM FILM FESTIVAL 2018 I Der Dokumentarfilm im Rotterdamer IFFR 2018 I VON DIETER WIECZOREK I 2018
rouge FESTIVAL REVIEWS I ROTTERDAM FILM FESTIVAL 2018 I The Cleaners I VON DIETER WIECZOREK I 2018

 

px

px

47. ROTTERDAM FILM FESTIVAL 2018

info

24 / 01 - 04 / 02 / 2018

International Film Festival Rotterdam

International Film Festival Rotterdam

International Film Festival Rotterdam

International Film Festival Rotterdam

International Film Festival Rotterdam

link
px
Home Festival Reviews Film Reviews Festival Pearls Short Reviews Interviews Portraits Essays Archives Impressum Contact
    Film Directors Festival Pearls Short Directors           Newsletter
    Film Original Titles Festival Pearl Short Film Original Titles           FaceBook
    Film English Titles Festival Pearl Short Film English Titles           Blog
                   
                   
Interference - 18, rue Budé - 75004 Paris - France - Tel : +33 (0) 1 40 46 92 25 - +33 (0) 6 84 40 84 38 -