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Rotterdams IFFR 2018

The Cleaners
Ein essentieller Beitrag zur Transformation der Kommunikationsstruktur und der Etablierung kontrollierter Gesellschaften

 

 

von DIETER WIECZOREK

"The Cleaners", Hans Block & Moritz Riesewieck

The Cleaners

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Einer der wichtigsten Dokumentarfilm dieses Jahres: Facebooks Geschäftspraktiken und ihre Konsequenzen für die zukünftige Gesellschaft werden in Hans Blocks and Moritz Riesewiecks "The Cleaners" (Germany, Brasilien 2017) analytisch offen gelegt. Facebook pendelt im Freistil zwischen Hass-Toleranz und lokalen Interessen folgenden Politik massiver Zensur hin und her. Am nicht allzu fernen Horizont dieser Entwicklung steht eine Demontierung möglicher Kommunikation als solcher.

"The Cleaners" beginnt mit einer schlichten statistischen Auflistung. Drei Milliarden Menschen sind weltweit durch soziale Medien vernetzt. Jede Minute werden 500 Stunden Video Footage allein auf Youtube hochgeladen sowie 450,000 Tweets auf Twitter und 2,5 Million Facebook Nachrichten veröffentlicht. The Facebook Gemeinschaft wird auf 2 Milliarden Mitglieder geschätzt. Ihr Einfluss auf die "öffentliche Meinung" ist grösser als die jedes Staates.

The Cleaners

"The Cleaners", Hans Block & Moritz Riesewieck

 

Die Filmemacher folgen den Vertretern technologischen Versprechungen in ihre High-Tech-Büro- und Arbeitsräumen. Gleichzeitig porträtieren sie die Lebensbedingungen der praktischen "Cleaner", so der Fachausdruck für die Gruppe der die publizierten Nachrichten sichtenden, kontrollierenden und zensierenden Angestellten. Die hier im Zentrum stehende Gruppe wohnt in schlichten bis schäbigen Unterkünften in Manila. Diese "context moderators" sind fast allesamt von der Strasse rekrutiert worden, ohne jede politische, soziologische oder psychologische Vorbildung, von Wissen um Kunst und künstlerischen Aussagestrategien ganz zu schweigen. Sie werden bezahlt um zu löschen. Offiziell ist es Facebook nicht erlaubt, ihren Kontrollpersonal auf den Philippinen zu rekrutieren, doch lokale Unternehmen, die als Vermittler dienen, machen dies zur geläufigen Praxis. Sie zahlen die Facebook-Gehälter aus.

trailer Trailer

Der Dokumentarfilm bietet einen intimer Einblick in das Leben dieser Cleaners, beobachtet sie in ihren Privaträumen, ihrer Freizeit, in Kirchen, Diskotheken and Spielhallen (Bibliotheken werden nie besucht). Einige von ihnen nehmen es in Kauf, den Vertrag zu brechen, der sie zu Stillschweigen verpflichtet. Andere Zeugenaussagen erscheinen als anonymisierten Emails oder Internet-Kommunikationen.

Die Moderatoren verteidigen "Prinzipien", die sie erst vor kurzem gelernt haben. Die Filmemacher nehmen sich Zeit, den geistiges Stand der Cleaners zu beschreiben, die sich in der Rolle sehen, Facebook und damit die Gesellschaft "gesünder" zu machen, indem die mit dem "Dreck" aufräumen und "Verdächtiges" online nicht erscheinen kann. Einige von ihnen halten die Welt schlicht für krank und sehen sich in der Rolle, gegen das Böse zu kämpfen. Einige unter ihnen geben auch ihre  persönlichen Meinungen preis. Auch einige ihrer evidenten Fehlinterpretationen werden an Beispielen veranschaulicht, wenn etwa das Foto eines aggressiven offiziellen Soldaten als ISIS-Mitglied identifiziert und das Bild folglich gelöscht wird. Ein anderer Cleaner erklärt, Staatsautoritäten sollten nicht attackiert werden, ein weiterer vergleicht sich mit dem hoch umstrittenen Präsidenten Rodrigo Duterte, der sich ohne Zögern zu Hitlers effizienten Holocaust-Programm bekennt.

Zusätzlich werden diese Moderatoren aufgefordert, terroristische Inhalte zu identifizieren. Systematisch werden die Inhalte von 39 "terroristischen Organisationen", die auf einer fragwürdigen, unhinterfragten Liste notiert sind, online gelöscht, gleichzeitig jedoch die Inhalte ihrer Kommunikationen zu Überwachungszwecken gespeichert. Die Moderatoren wiederum werden überwacht von Führungskräften, die  etwa 3% ihrer "Reinigung"-Arbeit kontrollieren. Die Moderatoren sichten täglich etwa 25 000 Bilder.

Angesichts mechanischer Regelbefolgung besteht kein Zweifel daran, dass Nick Uts mit dem Pulitzerpreis honoriertes Foto der im Vietnamkrieg vor Napalmbomben fliehende Kinder, unter denen auch ein unbekleidetes Mädchen ist, sofort gelöscht würde, wie ebenso ein Foto unbekleideter, an den Strand gespülte Kadaver ertrunkener Migranten. Selbst blosse Nacktheit ist verboten, wie selbstredend auch alle Anspielungen auf sexuellen Verkehr. Facebook zeigt sich radikal islamischen Zensurpraktiken verpflichtet. Nicole Wong, die ehemalige Strategieleiterin von Google und Twitter bestätigt: "Wir löschen was wir in unserer Gesellschaft nicht wollen".

Ein Opfer dieser Zensurpraxis ist die in Los Angeles lebende Künstlerin Illa Gore, die einen nackten, mit kleinem Penis und Donald Trumps Kopf ausgestatteten Körper online stellte. Wir leben in Zeiten, wo dieses Foto 15 Millionen mal angeklickt wurde. Trump sah sich in einer öffentlichen Debatte zur Reaktion gezwungen, versichernd, dass er mit seiner Penisgrösse  keine Schwierigkeiten habe. Weniger Tage später jedoch wurde Gores Facebook sowie alle anderen sozialen Medienzugänge geschlossen. Sie wurde zur Kommunikationssperre verdammt, mit all den für sie als Künstlerin entstehenden Konsequenzen für ihr Werk und materielles Überleben.

Andere Opfer sind NGO Aktivisten, hier besonders die Luftkrieg-Dokumentationsgruppen, die Evidenzen und Materialien zur Analyse der Verantwortlichkeiten aus den spontan hochgeladenen Augenzeugenvideos ermitteln. Ohne diese Arbeit würden Aggressoren straflos ausgehen und in Folge kämen noch mehr Zivilisten ums Leben. Sie versuchen in Eile zu speichern, bevor Facebook die Inhalte als ISIS-Propaganda klassifiziert oder löscht. Auch wurden einige ihrer Youtube-Konten blockiert, sowie auch ihre Konten auf anderen Medienservicen suspendiert.

In öffentlichen Anhörungen, wie etwa im "Senate Judiciary Subcommittee on Crime and Terrorism" am 31 Oktober 2017 in Washington D.C. und vor dem "Intelligence Committee am 1. November 2017 , bestätigt der Google-Repräsentant, dass Tausende Mitarbeiter an der Inhaltskontrolle arbeiten (Good Bye Privacy!). Gleichzeitig wurde Facebook hier mit der Tatsache konfrontiert, nicht genug für die Unterdrückung radikaler politischer Propaganda zu tun, gleichzeitig aber dem Druck lokaler politischer Mächte Folge leistet, die auf die Löschung  für sie unangenehme Inhalte dringen, um ihre Marktanteile in diesen Territorien nicht zu verlieren.

Faktisch wollte Facebook nie als Inhaltsgestalter agieren, sondern ein einflussreiches Marktelement für Verbraucher und Anbieter etablieren. Diese Strategie führte zur Akzeptanz spezifischer Einflussnahmen, wie die der türkischen Regierung, die alle sie betreffenden kritischen Inhalte zur Löschung anbefahl unter Androhung, ansonsten Facebook vom türkischen Markt zu eliminieren. Eine geo-lokale Schliessung machte so kritische Statements unzugänglich für Internetnutzer mit türkischen IP-Adressen. Auf der anderen Seite tolerierte Facebook in Miramar und Bangladesh Hasspropaganda gegen die Rohingyas, die von den Vereinen Nationen als die weltweit am meisten attackierte Minderheit deklariert worden war. In Gesellschaften, in denen die Internetpraxis auf den Gebrauch von Facebook reduziert ist und der Grossteil der Bevölkerung nicht einmal über eine eigene Email-Adresse verfügt, hat Online Propaganda einen enormen Einfluss verzerrte Wirklichkeitsdeklarationen und deren praktische Konsequenzen. Die alternativlos akzeptierte "Information" kann schnell zum Genozid führen. Ein ehemaliger Verantwortlicher der "Google design ethics" erinnert daran, dass lokale Opfer keine Chance hätten, Falschnachrichten anzuzeigen oder gegen Hassvideos Einspruch zu erheben. Auch hier ist es Facebooks Interesse, Nachrichten an die höchstmögliche Anzahl von Verbrauchern und potenziellen Käufern zu adressieren. Nichts bekommt mehr "views" als Hassnachrichten und Gewaltszenen.

Facebook liefert Nachrichten an Interessengruppen, um deren Erwartungen zu befriedigen. Der frühere Facebook Produktmanager Antonio Garcia bestätigt, dass Facebook eine aktive Rolle in der Reduzierung von Kommunikationskapazitäten spielt. Der Nutzer wird bestätigt durch von Facebook nach Informationskriterien ausgewählte Nachrichten. Die ursprüngliche Regel war, dass jedermann das Recht auf seine eigenen Meinung habe, nun wird diese Regel ausgeweitet auf das Recht auf eine eigene Realität. Er resümierte: "Wenn wir unsere Werte verlieren, unsere akzeptierten Regeln und Verhaltensweisen, wenn wir das Prinzip der Wahrheitssuche aufgeben, können wir keine Demokratie mehr aufrecht erhalten." Der Verlust der Kommunikationskapazität bedeutet den Verlust des zentralen Bausteins einer funktionierenden Gesellschaft.

David Hayes, UN Reporter der Meinungsfreiheit, sieht in dem ansteigenden Einfluss von Unternehmen auf Facebook, d.h. ihrer zunehmenden Macht über die Heraushebung und Löschung von Inhalten, einen direkten Einfluss auf unsere Fähigkeit zu kritischem Denken, wie auch auf unsere Fähigkeit, sich mit anderen Meinung zu konfrontieren, sie zu hinterfragen oder auch nur zu akzeptieren. Er resümiert: "Niemand sollte sich wundern, wenn in der Zukunft weniger Informationen zugänglich sein werden".

"The Cleaners" stellt entscheidende Schlüsselfragen. Unter welchen Umständen ist die Nichtveröffentlichung von Inhalten als Ausnahmefall legitim, in welchem Masse dagegen läutet die technisch sich perfektionierende Zensur von Inhalten den Zusammenbruch der Kommunikation, der Demokratie und schliesslich der Zivilisation selbst ein rouge

The Cleaners
Hans Block and Moritz Riesewieck
Germany, Brazil 2017
88 min

 

 

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