Es ist das unsinnlichste Kurzfilmfestival der Welt, so drückte sich ein Filmkritiker aus, um eine Tendenz beschreiben, die nicht mehr zu übersehen ist im altehrwürdigen Kurzfilmfestival Oberhausen, das jährlich in seinen Eröffnungs- und Abschlussreden an die eigene kulturell engagierte Vergangenheit und den anhaltenden Willen zur Innovation erinnert, ohne sich zu fragen, ob man dieser Geschichte z.Z. noch gerecht wird. Oberhausen war ein Festival der politischen Öffnung zum Osten, es war ein Festival, das immer wieder ideologische, politische und soziale Tabus hinterfragte, das Toleranzräume schuf, ein Festival, das am Puls der Zeit war, Outsidern und Widerständlern Raum gab für ihre Programme, Positionen und provozierende Ästhetiken.
Was ist davon geblieben? Die Tatsache, dass vier von fünf der nach Oberhausen geladenen Mitglieder der internationalen Jury nicht im Filmgeschehen aktiv sind, sonders in der Gegenwartskunstszene, ist bereits signifikant genug. Vertreter der Kunstinstitutionen und des Kunstmarktes, wie die Tate Galerie, das Museum der Gegenwartskunst in Helsinki, die kanadische Art Metropole und das Pariser Jeu de Paume vergaben hier die Hautpreise. Hinreichend bekannt sind die zirkulären Prozesse zwischen affirmativer Theorie und pragmatischer Engführung der Ausstellungspraxis in der Gegenwartskunstszene, die funktional gesehen Koordinierungsleistungen für die Anforderungen des Kunstmarktes leisten. Der artifizielle Selektionsprozess nutzt der Kapitalakkumulation in Form von Marktpreisen von Kunstwerken. Ebenso bekannt ist, dass die Gegenwartskunst weitgehend die vitalen Impulse einer sozialen, politischen, psychologischen und philosophischen, kurz existenziellen Konfrontation mit dem Realen seit den 80ger Jahren verloren hat. Unumstritten ist weiterhin, dass die Differenz zwischen ästhetisch fassbarem Werk und theoretischen Überbau sich in der Kunstwelt immer mehr zugunsten letzterem verschoben hat. Doch was in der Kunstwelt noch Sinn macht, da ein konzeptuelles Erfassen der Arbeiten zur Leitschiene der Kunstinterpretation und Kunstwahrnehmung geworden ist, ist für den Film, der all seine Kapazität grade in seine ästhetisch sensuelle Erfassung fliessen lässt, eine kontraproduktive Verengung und Verarmung, aus der blosse Galerievideokunst entsteht.
In Oberhausen jedoch schickt man sich an, sich gerade hier immer stärker verankern zu wollen, in dieser weitgehend hermetischen Welt zirkulärer Gewinn- und Bestätigungsstrategien zwischen selektierten Produktherstellern (Künstlern), theoretischen Begleitschriften (Kunsttheoretiker und Kuratoren) und den per se symbolisch wertstiftenden Kunstinstitutionen in Form von renommierten Kunsthallen, Ausstellungshallen und Kunstmuseum. Werke und Namen werden hier – als medialisierte Vorposten - profiliert zur privaten Kapitalanlage. Noch unmittelbarer leisten Galerien die Vermittlerrolle zum Geschäftlichen.
Konnte man im Vorjahr in Oberhausen noch kurz die Hoffnung aufkeimen sehen, dass nach einigen Warnungen seitens unabhängiger Jurymitgliedern, die ihre Arbeit fast abgebrochen hätten, auch seitens eines manifesten - doch leider nur zu selten direkt kommunizierten - Unbehagens von Festivalleitern, Oberhausen den Weg wieder offen schaltet zum reflektierten, manchmal verspielten, politisch provokanten und Risiken auf sich nehmenden Film, in permanenter Konfrontation mit komplexen Wirklichkeiten, so vermag die Oberhausener Edition 2015 – zumindest im internationalen Wettbewerb - diese Hoffnung nicht mehr zu nähren. Der "konzeptuelle" Film dominiert, dessen theoretische Reflexionen oft interessanter und inspirierter erscheinen als das eigentlich audio-visuelle Werk. Diese Differenz zwischen Werk und theoretischem Input kennzeichnet weite Teile der Gegenwartskunst. Das Werk ist hier lediglich der oft unzureichende, aber pragmatisch noch notwendige Objektträger einer Reflexionsleistung.
Dass nun gerade dem noch bestehenden potenziell freiesten, engagiertesten und undomestizierten kreativen Bereich, in aktuellen Kontext eines zunehmend ins Virtuelle abdriftenden Kunstproduktion, sprich dem Kurzfilm, der permanent Aufklärungs- und kulturelle Widerstandsarbeit leisten kann, die Federn gekappt werden und er in die sterilen Mechanismen marktechnischer Verwertung einspeist wird, kann nur - will man naiv bleiben - Verwunderung, auf jeden Fall Enttäuschung auslösen. Auch die Tatsache, das ein Grossteil der stets beachtlichen Seitenprogramme in Oberhausen, die künstlerisch komplexe Positionen in historischen Dimensionen zur Anschauung bringen, und so oftmals bisher unbekannt gebliebene, tabuisierte oder schlicht marginalisierte Werkschauen in nicht hoch genug zu schätzender Pionierleistung zur Anschauung brachten, nun weitgehend ersetzt wird durch die Schau der Heimprogramme der weltweit dominanten Filmvertreiber, die Kurzfilme zumeist für ihre kommerzielle Vermarktung aufbereiten, demonstriert wiederum Oberhausens Abdriften in die Marktlogik.
Glücklicherweise jedoch sind die thematischen Seitenprogramme nach wie vor nicht ganz von der Oberhausener Bühne verschwunden. Eine Hinwendung jedoch zu Verwertungspotenzialen ist nicht zu übersehen. Man mag vermuten, dass ein Verwertungsdruck auch von aussen an ein Festival dieser Grössenordnung in ökonomisch kritischen Zeiten herangetragen wird, das sich zunehmend mehr über Besucherzahlenziffern zu legitimieren und zumindest prinzipiell Geldfluktuation in Aussicht zu stellen hat. Hier sind integrierte Kunst-Institutionen selbstredend hilfreicher als vereinzelte Künstlerexistenzen oder mittellose Schaffende. Mit Bedauern muss in diesem Zusammenhang auch konstatiert werden, dass das Oberhausener Festival seinen akkreditierten, unterschiedliche Kapazitäten und Interessen vertretenden, zuweilen weit angereisten Teilnehmern eigentlich in Form von Einladungen die Möglichkeit zum gegenseitigen Kennenlernen und intensiverer Austausch eröffnen sollte, in seiner heutigen Praxis diese Chance jedoch nur einigen, nach "institutionellen Bedeutung" filtrierten Vertreter zugesteht. Die übrigen werden nicht einmal informiert über die Zeitpunkte und Orte dieser Zusammenkünfte.
Im kurzen Blick zurück ist weiterhin festzuhalten, dass auch die thematischen Reflexionsblöcke des Festivals in den letzten beiden Jahren durch technologische Themenstellungen wie Flat-Images und 3D-Techologien ersetzt worden sind. Auch die vor einigen Jahren in das Festival integrierte Musikvideoschau versprach eher leichtere Unterhaltungskost als konzentrierte Positionierung brisanter Werkmaterialien. Auf der Strecke blieb der tendenziell unabhängige, individuelle, trendlose, zuweilen auch namenslose Film, der sich auf eine einsame Suche nach Wirklichkeitserfassung begab. Dies aber war vor allem der Film, für den man nach Oberhausen kam.
Doch die Zukunft liegt vor uns. Es mangelt weder an kreativen Potenzialen noch Realisierung poetisch-reflexiver Gegenwartsdurchquerungen. Also auf zu einer neuen Anstrengung…
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