interference
interference
eng
de
es
it
it
tr
 
px px px
I
I
I
I
I
I
 

px

impressum
contact
archive
facebook

 

px

 

pxrouge FESTIVAL REVIEWS I 61. INTERNATIONAL KURZFILMTAGE OBERHAUSEN 2015 I VON DIETER WIECZOREK I 2015

Die Retrospektiven der Oberhausen Kurzfilmtage 2015

Der Ort für Fremdartigkeiten :
Vipin Vijay
Jennifer Reeder
Ito Takashi

 

 

VON DIETER WIECZOREK

“A Silent Day” Ito Takashi

The Chimera of M Sebastian Buerkner

px
px

Oberhausen bot auch dieses Jahr Werkschauen, die eine rare Chance zur Wahrnehmung künstlerischer Positionen jenseits der Vermarktungskultur bieten.

Der in Indien beheimatete Vipin Vijay ist eine kaum auf einen Trend oder Stil zu reduzierende Figur. Seine Filme sind schwer zu fassen, zu resümieren oder auch nur zu beschreiben. Sein in Schwarz-Weiss gehaltener Film Egotic World (Unmathabudham Jagath)  (2010) beginnt mit einem Blick in ein schwarzes Loch. Dann fängt die Kamera ein über den Boden rollendes, nicht identifizierbares Architekturfragment ein, vielleicht ein abgebrochenes Kapitel. Im Off erklingen Stimmen, die ihre Ich-Ansprüche deklarieren und ihre Reinkarnation einklagen. Die materielle Welt erscheint in einem unwirklichen Schwebestatus. Ihre “Nicht Existenz” wird es aus dem Off deklariert. Die Dinge werden “nur gefühlt”. Es folgen traumartige Sequenzen am Rande einer potenziellen, nie aber wirklich eingelösten Narrativität. Dann plötzlich eine weitere Offstimme, die sich als auktorialer Erzähler qualifiziert und der eine Art Fabel erzählt, eine metaphysische, fast  abstrakte Fabel, die kaum Klärung schafft. Ein Mann tritt auf, der sich als die Inkarnation der Melancholie einer Frau tituliert, der er begeht… Wir befinden uns in einer ahistorischen Landschaft, in einem mythologisch-symbolischer Raum, in dem existenzielle Fragen neu artikuliert werden. Naturelemente sind mit spirituellen Kräften erfüllt. Doch ebenso deutlich wird, dass die Kontaktnahme mit der Transzendenz schmerzhaft versagt ist. Es bleibt keine Rettung, heisst es hinreichend klar, wiederum aus dem Off. Plötzlich erfolgt der weiterer Umbruch: die unverortbare, archaische Landschaft wird durch ein industrielles Panorama ersetzt, Schornsteine und  Industriekomplexe treten ins Bild.

Vipin Vijay

Vipin Vijay

 

Dieser Abschlussfilm Vijay am Satyajit Ray Film and Television Instituts ist, wie wir aus dem Abspann erfahren, in West Bengalen gedreht. Dort notiert ist ebenfalls, dass er inspiriert ist vom Yoga-Vashishtha, dem zwischen dem 6. und 14. Jahrhunderts schwer zu lokalisierenden Sanskrittext eines unbekannten Autors, in dem Kosmologie und metaphysische Theorien in Geschichten und Fabeln transformiert werden. Schulabschlussfilme sind oftmals Filme, die noch alle Potenziale eines nicht konsumgerechten Filmes in sich vereinen können. Doch liesse sich heute, zumindest an einer deutschen Filmhochschule, noch ein solcher Abschlussfilm vorstellen?

   

Auch “Venomous Folds“ (Vishaparvam) beginnt mit einem Loch, doch in umgekehrter Sehrichtung, auf den lichtdurchtränkten Ausgang einer Höhle.  Mit einem aus dem Off erzählten Fabel beginnt der  Film: der Kampf der Götter um die Substanz Ambrosia. Das Gift Vasuki ist notwendig, um diese Substanz zu subtrahieren. Gifte sind ab da an das Leitmotiv in “Venomous Folds “, das zu Magiern, Heilern, Medizinen und  Schlangenbeschwörern führt.

Ein Mann berichtet von mythischen Begegnungen, mit Anspielungen auf  indische Mythologeme und übersinnliche Kräfte, die dem Sprechern zufolge bis heute ihre tödliche Wirkung entfalten, wie von Geister, die Ortschaften verheeren können. Darauf erfolgt ein wiederum überraschender Schwenk zu einem lebenslang verurteilten Häftling, dem nach zehn Jahren Haft ein erster Ausgang für einen Monat gewährt wird. Er begegnet seiner Mutter, eine schwierige, misslingende Zusammenkunft.

 

Venomous Folds Vipin Vijay

“Venomous Folds“, Vipin Vijay

   

Nach dieser filmischen Input kehrt Vijay zu den Protagonisten des Giftes und der Heilung zurück, bevor erneut in einer isolierten Frequenz  ein Wärter von den Praktiken der in der Todesstrafe berichtet Diese anhaltenden abrupte Interferenz von Gegenwartsdokumentation und mythischer Erzählung schafft ein beeindruckendes Panorama einer anders als rational erlebten Realität.

Jennifer  Reeder

"Nevermind" Jennifer  Reeder

 

Ein gänzlich anderes, gleichfalls jedoch hermetisches kulturelles Plateau eröffnet Jennifer  Reeder. In ihrem frühen Werk “Nevermind” (1999) werden unscharfe von Gewalt und Wildheit geprägte Sequenzen kontrapunktisiert vom Porträt eines Frauenkopfes (Jennifer Reeders), der emotional reagiert auf Geschehnisse, die sich im Off ereignen oder ihr über ihren Kopfhörer vermittelt werden. Rhythmische Bewegungen und Sequenzen, die zwischen Schrei und Gesang pendeln, deuten an, dass sie sich in einer Studiosituation befindet. Zwei maskierte, als weisse Bräute gekleidete Frauen durchqueren in “1000 ways to skin it“ (2011) einen Wald und beginnen einen Gesang wie ein auf einer Bühne stehend.

trailer Trailer

In “Tears cannot restore her: Therefore I Weep” (2011) wird der Diskurs eines Lehrers über Elektromagnetismus vor einer mit tauben Schülern besetzten Schulklasse von der Zeichensprachen-Übersetzerin in einen sexuell orientieren, delirierenden, sehr persönlichen Diskurs transformiert, während vor der Schulklasse eine Sekretärin Vaginabilder zeichnet. Zuweilen wird das Bildfeld von kleinen immateriellen Symbolen, etwa einem roten Herz, deterritorialisiert. Diese Formen der Überschreitung des Realen hin zu sexuellen Halluzinationen vollziehen einen deutlichen Schritt über die bloss performativen Dimensionen ihrer früheren Film hinaus.

War schon in Reeders kurzem Werk “A Double Image Both in Focus Simultaneously, Part Two” (2001) ein sehr intensiver Blick auf körperliche Details, sprich hier auf den Ausschnitt eines männlichen Gesichts mit – kein unwichtiges Detail - keiner besonders gesunden Haut, das signifikante Ereignis, zwischen Begehren Abstossung oszillierend, so wird diese Ästhetik der Ambivalenz in Reeders “Blood Below the Skin” (2015) weiter entwickelt. Schon die erste Szene zeigt in extremer Nahansicht einen Blutaustausch zwischen Fingers unterschiedlicher Partner, die  ungeschönt mit allen ihren ungepflegten Partikeln ins Bild gesetzt werden.

 

Double Image Both in Focus Simultaneously, Part Two

"Double Image Both in Focus Simultaneously, P.II", Jennifer  Reeder

 

 

Jennifer  Reeder

Jennifer  Reeder

 

Reeder rekonstruiert einen exaltiert femininen Kosmos von Teenager zwischen Narzissmus und sexueller Verunsicherung. Identitätsprobleme, Ringen um Anerkennung in der Gruppe, um Geliebt-Werden, werden schmerzhaft exaltiert in Szene gesetzt. Diese Frauen sind Gefangene eines hermetisch geschlossenen Kosmos. Sie leben in plüschigen Innenräumen, die die Kamera kaum einmal verlässt. Männer erscheinen nur als lächerlich dümmliche Machos, die keinen Zugang zu diesem Kosmos haben. Selbst die Töchter-Mütter-Beziehungen sind von einem durch beidseitige Egozentrik resultierenden Missbehagen geprägt. Gesangsequenzen geben dem Szenarium noch zusätzlich einen Soap Opera Anstrich.  Reeder kreiert eine Welt sterilisierter Pubertät, die selbst ins Alter gekommene Mütter mit einbezieht. Übersinnliche Kräfte nutzende Freundschaften zwischen jungen Frauen sind die einzige Fluchtlinie hin zu einer vorsichtig erotischen Begegnung.

   

Mit manischer Insistenz fährt Ito Takashi sein Zoom hinein in Architekturen, Gebäudeansichten, Parkanlagen, Baumstrukturen. Die Kamera vollzieht eine nicht aussetzende, permanent sich wiederholende Bewegung, ein ständiges Hinein und Heraus, zwischen Fern- und Nahansichten pendelt, bis die statischen Strukturen sich in rhythmischen Schwingungen zu beleben scheinen. Die an sich marginalen Szenerien wandeln sich zu halluzinatorischen Klängen. Auch Photographien, die wiederum Detailansichten von Fassaden und Räumen zeigen, können zum Fixpunkt dieses zirkulierenden Bewegungen werden, auf die die Kamera ein- und ausfährt, ihr mechanisches Spiel mit einer gleichzeitig  potenzialisierten und degradierten Repräsentation anschaulich machend, bewegte Statik und statische Bewegung inszenierend:

Ito Takashi

Ito Takashi

 

“Spacy” (1981). In “Box” (1982) wird die Architektur zum Würfel kondensiert, in “Thunder” (1982) vermischen sich mehrere Bildebenen in Überblendungen. Das Gesicht einer jungen Frau erscheint, sich hin und her bewegend, orientierungslos. In “Drill” (1983) beginnt die Kamera vertikal zu taumeln. Schnelle Bildschnitte sorgen für eine weitere Steigerung der Komplexität. Der Schritt zu “Ghost” (1984) ist nur noch ein kleiner Sprung. Flackerndes Licht, in der eine menschliche Gestalt aufflammt, in schnellem Rhythmus oszillierend in ihrer Sichtbarkeit als Figur im Raum und als Motiv von Bildprojektion, schwebend in immateriellen Raumgefügen:  der latente Horror übernatürlicher Kräfte ist nur eines der  Potenziale in Takashis Bildseqenzen.

   

“Grim” (1985) beschreitet den gleichen Weg: eine Frau allein in ihrem Appartement, deren Umgebung sich verzerrt, zu schwenken beginnt, zirkuliert, flackert, sich ins Immaterielle auflöst. Überraschend ereignet sich erstmals ein Bildstillstand in “Photo Diary” (1986): eine Frau auf einem Photo im anhaltenden Bildstillstand, dann ein weiteres Photo, eine Gruppe Jugendlicher, bis alles wieder eintaucht in den bekannten, frenetischen Rhythmus. In “Venus”  (1990) weilt die Kamera ungewöhnlich lang auf einer Frau mit ihrem Kind auf dem Arm. Ihre Gesichter sind in der Überkonturierung nicht zu erkennen. Mehrfach kehrt der Film zu diesem Motiv zurück, dazwischen die üblichen Architekturdynamismen.

In “December Hide-and-Go-Seek” (Ju-Ni-Gatsu No Kakurenbo) (1993)  wird der Filmemacher mit seinem 5jährigen Sohn bei der Arbeit sichtbar. Der Rhythmus hat sich nun verlangsamt. Die Bildeffekte wirken verspielter, kleineren narrativen Sequenzen wird Raum gegeben. “The Moon” (1994) bestätigt dies neue Tendenz. Im Zentrum steht ein Junge, der seine Umgebung entdeckt. Der Blick auf den Mond bildet ein Gegengewicht für die immer noch, aber weniger akzentuiert ablaufenden Raumschleifen und materiellen Instabilitäten. In “Zone” (1995) wird dieser Junge zur Lichtfigur, zur Spukgestalt, in einem Appartement, das die Utensilien des Filmmachers zeigt, sowie eine kopflose Statur, die für kurze Momente zum Leben erwacht. Erneut schafft Takashi ein Werk zwischen Horror und Poesie, verspielt und überirdisch.

 

December Hide-and-Go-Seek

“December Hide-and-Go-Seek”, Ito Takashi

 

 

Schattenbewegungen im Zeitraffer, begleitet von einem bedrohlich klingenden  Sound sind die hauptsächlichen Dynamikstifter In “Dizziness” (Memai) (2001). Zum ersten Mal ereignet sich eine sinnliche Berührung,  eine verbundenen Hand und eine Frauenhand umschliessen sich. Der Film ist durchgehend in ein artifizielles Grünblau getaucht. Takashi zeigt sich zum ersten Mal als Filmemacher bei der Arbeit. Ein insistierender Ein-Ton-Sound schafft eine permanente Spannung. Zum ersten Mal auch nutzt ein Protagonist in Takashis Werk eine Zeichnung, um eine andere Figur zu erfassen.

A Silent Day

“A Silent Day” Ito Takashi

 

Zu Beginn von “A Silent Day” (2002) transformiert Takashi das Gesicht einer Frau in die Projektion dieses Gesichtes, dann in eine Maske, die wiederum sich im nächsten Schritt in der Hand einer eine Schleuder tragenden Figur befindet. Diese Frau macht sich des Öfteren auf den Weg mit den Utensilien eines Photographen. Sie fotografiert sich im Spiegel, fesselt sich bei laufender Kamera. Dann nutzt sie die Schleuder selbst. In der nächsten fremdartigen Bildsequenz, in plötzlich einsetzenden Animationsstil, legt sie die Maske an, um ein rebellierendes Puppenkind am Esstisch mit Schleuder und Stock zu attackieren. Erneut wechselt Takashi die Technik. In grobkörnigen Schwarz-Weiss bespritzt die Frau sich ihre weisse Bluse mit Ketchup, inszeniert sich als Mordopfer, zieht ihre Super 8-Kamera in der Badewanne mit sich unter Wasser und begibt sich mit dieser defekten Kamera, sich ihre Lippen rot nachzeichnend, auf den Weg zu einer Zuggleisbrücke, wo sie sich selbst in Drehbewegungen filmt. Es folgen Blumenansichten, Atelieraufnahmen und die Porträtphotographie eines Kindes.

   

Dieser detaillierte Durchgang durch die Filme Takashis scheint notwendig, um deren Komplexität nicht zu hintergehen. Der nächste Schritt wäre eine Deutung oder gar Interpretation. Hier bieten sich psychoanalytische, soziale, medienkritische und ästhetisch orientierte Diskurse gleichermassen an. Konstatieren wir vorsichtig, dass in Takashis Werk eine Entwicklung, ausgehend von einem rein mechanisch delirierenden Kosmos zu einer langsamen und verlangsamten Begegnung beobachtet werden kann, eine Öffnung hin zur einer – doch stets fragmentierten - organischen Körperlichkeit und zu einer Integration von Natursegmenten. Bei dieser Entwicklung scheint der Existenz eines Kindes eine Schüsselrolle zuzukommen. Takashi schafft einen Kosmos des Unbehagens und der Körperferne, der Destruktion und Autodestruktion. Seine Protagonisten residieren in einer mechanischen Einsamkeit, in der Aufzeichnungsgeräte Kommunikation ersetzen rouge

rouge Die Kurzfilmtage Oberhausen 2015 Zwischen Galeriekunst und Kurzfilm : Zeit der Wende

rouge Die Retrospektiven der Oberhausen Kurzfilmtage 2015 Der Ort für Fremdartigkeiten : Vipin Vijay, Jennifer Reeder, Ito Takashi

 

px

px

61. INT KURZFILMTAGE OBERHAUSEN

info

30 / 04 - 05 / 05 / 2015

Oberhausen Film Festival
 
 
Oberhausen Film Festival

 

 

px
Home Festival Reviews Film Reviews Festival Pearls Short Reviews Interviews Portraits Essays Archives Impressum Contact
    Film Directors Festival Pearls Short Directors           Newsletter
    Film Original Titles Festival Pearl Short Film Original Titles           FaceBook
    Film English Titles Festival Pearl Short Film English Titles           Blog
                   
                   
Interference - 18, rue Budé - 75004 Paris - France - Tel : +33 (0) 1 40 46 92 25 - +33 (0) 6 84 40 84 38 -