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px rouge INTERVIEWS I MARTIN WITZ I DIETER WIECZOREK I 2011

MARTIN WITZ

LSD reloaded

DIETER WIECZOREK

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Wie sind Sie zu ihrem Thema gekommen?

Ich bekam einen Telefonanruf eines Produzenten, dem mein letzter Film gefallen hatte. Er hatte einen Kontakt zu Hoffmann und fragte schlicht: Hättest Du Lust? Was er nicht wußte war, daß ich als junger Erwachsener die Substanz allein oder mit meiner Freundin, ergiebig erforscht hatte. Ich war von meinem Jahrgang her recht spät dran, in den frühen 1980er Jahren, als dies in meiner Umbebung eigentlich niemand mehr gemacht hat, aber ich bin drauf gestoßen und es hat mich nicht losgelassen. Dies setzte sich später auch in einem therapeutisch geleiteten Zusammenhang fort, der damals in der Schweiz gerade noch möglich war. Als die Anfrage kam, dachte ich sofort, das ist ein Thema, warum bist Du nicht selbst schon darauf gekommen. Diese Geschichte ist in dieser aufgefächerten Form einer historischen Kulturreise im Kino noch nicht gezeigt worden. Erstaunlicherweise.

Wie erklären sie sich, das es ein Mittel, LSD genannt, gibt, das verspricht, nicht nur zu einer ganz anderen Form der Wahrnehmung und Bewußtseinsbildung zu kommen, sondern auch wirksam ist, angesichts konkreter existenzieller Aspekte wie Todesangst, das auch bereits in die breite Öffentlichkeit gelangte, dann wieder verschwinden kann, so daß niemand mehr, die Intellektuellen eingeschlossen, sich mit einer solch lebenserweiternden Möglichkeit auseinandersetzte?

Ich glaube es ist verschwunden, weil es immer Modewelten gibt. Das erklärt aber nur einen Teil. LSD wurde von allen, die es konsumiert, geschätzt und eingesetzt haben, meiner Meinung nach überschätzt. Die Hippies haben die moralische und friedensstiftende Funktion überschätzt, die Militärs haben die Mind-Controlling-Kapazität mit Sicherheit überschätzt und dies auch bald eingesehen, das gleiche gilt für die Geheimdienste. Anders liegen die Dinge in der Psychiatrie, wo die Debatte offen und die Substanz wieder präsent ist. Offen ist die Frage, ob und wie man diese Substanz als Werkzeug und Hilfsmittel, bei welchen therapeutischen Prozessen und auf welche Weise einsetzen kann. Es gibt hier keinen wirklich gesicherten Erkenntnisstand. Dies wäre zu leisten. Was in der Öffentlichkeit unter dem Aspekt der Legalität zu praktizieren ist, will ich offen lassen, aber in der Forschung und Therapie müßte das LSD, wie andere komplexe und gefährliche und Substanzen, zugänglich sein.

Wie sehen sie den Bezug zu anderen Drogen, die heute überall konsumiert werden und trotz ihrer Illegalität zugänglich sind? Die spezifischen Substanz LSD dagegen ist vom Markt fast ganz verschwunden…

Aus der Partyszene ist das LSD zu Recht und nachvollziehbar verschwunden, weil es zu heavy ist. Beim LSD-Konsum ist man zwischen 8-12 Stunden in einem derartig verschobenen Zustand, das eine gleichzeitige Konfrontation mit dem Partyterror destruktiv sein kann. Ich hab nie verstanden, wie es in den 1960er Jahren möglich war, LSD mit Partys, Musik, sozialen Kontakten zu verbinden und das noch goutieren konnte. LSD ist zu unkontrollierbar, zeitaufwendig und massiv für Fastfood-Partys.

Wieviel Zeit haben sie mit Albert Hoffmann, dem Erfinder und ersten Erforscher des LSD verbracht? Hatten sie die Gelegenheit, ihn näher kennen zu lernen?

the substance
Leider nicht. Es ist eine traurige Geschichte. Ich hatte ihn früher einmal kurz getroffen. Als ich jetzt Kontakt aufnahm, erfuhr ich eine dezidierte Ablehnung aus gesundheitlichen Gründen. Er fragte mich: wo waren Sie vor 10 Jahren? Einige Wochen später insistiert ich noch einmal, versprach, daß er die alten gleichen Fragen nicht noch einmal beantworten müsste, sondern daß es mir um die größeren Fragen geht, um die Grenze zwischen Materie und Geist, Molekül und Spiritualität, den Tod und die seltsame Kraft in dieser Substanz. Da antwortete er: wenn es so ist, müssen wir uns kennenlernen.

 

Eine andere wichtige Figur in ihrem Film ist der Forscher Stanislav Grof. Sie befragen ihn sehr fokussiert auf die unmittelbaren Folgen des LSD-Konsums, aber angesichts seiner auf empirischen Daten aufruhenden Theorie der durch LSD sich vollziehenden Wissens- und Bewußtseinserweiterung, die unser gesamtes physikalisch-materialistisches Weltbild sprengt, sowie seinen Forschungen, die ebenfalls abgebrochen und verboten wurden, stellt sich mir die Frage, warum sie diesen Aspekt ausgelassen haben?

Ich habe Grof genau lesen. Die »Topographien des Unbewussten« ist eine der wichtigsten Veröffentlichungen zu dem Thema. Seine Theorie der vier Matrixe und der perinatalen Erfahrungen hab ich genau studiert, soweit mir das als Laie möglich war. Ich vermute auch, daß dies ziemlich effizient das dualistisch-materielle Weltbild in Frage stellt, aber als zusätzliches Thema zu dem bereits recht breit angelegten kulturhistorischen Rahmen des LSD wäre es zu komplex, um in einen 90 Minuten Film eingebaut zu werden. Zu Grof und seiner perinatalen Vier-Matrix Theorie müßte man einen eigenen Film machen.

Werden Sie diesen Film machen?

Auf diese Frage habe ich noch keine intelligente Antwort. Ich denk darüber nach, habe aber Zweifel, ob man diese Komplexität in einem Film hinreichend aufbereiten kann. Grofs Theorie ist recht abstrakt und teilweise auch esoterisch. Ich bin ein klarer Anhänger der Aufklärung, habe mit zunehmenden Alter auch mehr Interesse an den unklaren, spirituellen Seiten des Lebens, nicht aber an esoterisch-astrologischen Tendenzen, die Grofs spätere Konzepte kennzeichnen. Meiner Meinung nach sind sie für ihn der Schlussstein langjähriger Forschungsarbeiten ins Ungewisse, die in dieser Form zu einem gewissen Sinn abgeschlossen werden. Wir waren uns einig, daß diese Aspekte in der verkürzten Form meines aktuellen Filmes nicht ohne Risiko von Mißverständnissen zu behandeln sind.

Doch sie beschreiben luzide, daß LSD keine Traumdroge oder Allheilmittel, wohl aber ein für jedermann zugänglicher Erfahrungsspender ist, der unter anderem dazu führen kann, das beschränkte Ich-Bewußtsein zu überschreiten. Neben psychologischen Auswirkungen kann dies auch erhebliche politische und soziale Konsequenzen nach sich ziehen. Es ist ein Mittel, das unsere von Eigeninteressen gesteuerte Gesellschaftsform sprengen kann. Würde dieser Aspekt sie nicht für weitere Filme stimulieren?

Natürlich. Doch wenn Sie sagen, LSD hat das Potenzial, die westliche, materialistisch dualistisch kapitalistische Gesellschaftsform zu sprengen, gebe ich ihnen auf der Ebene der Potenzialität recht, aber faktisch hat es dies nicht getan. Diese eigenartige Welt, in der wir leben, war so stabil, daß sie diese fundamentale Bedrohung durch das LSD offenbar überstehen konnte.

…zum Teil durch Tabuisierung und Kriminalisierung…

Mit harten Gegenmaßnahmen, aber nicht nur. Wenn diese sprengende Funktion wirklich effektiv wäre, ließe sie sich durch keine staatliche Intervention wirklich abstellen. Der Demokratiegedanke und der Wille zur Partizipation an der Macht sind so ausgeprägt, daß Machthaber auf längere Sicht immer den Kürzeren ziehen. Ich bin jetzt mal so optimistisch.

Aber es gibt andere Gründe?

Sie wollen von mir eine Überlegung hören, warum LSD quasi verloren hat…

Genau…

Eine große Frage. Ich freue mich, daß Sie mir die Antwort zutrauen.

Ein Element einer Antwort…

Ich wurde gefragt: Hat LSD die Welt verändert? Ich würde behaupten, nein. Die LSD Erfahrung bindet an die Schöpfung, löst das Duale auf und steigert unsere Gefühl für Mitgeschöpflichkeit, mit einem sehr schönen Wort von Alfred Hoffmann gesprochen. Als Konsequenz steigert es ein Verantwortungsgefühl und die Sorgfalt um den Planeten. Doch wenn dieses Gefühl wirklich stark genug wäre, würde die Welt heute anders aussehen. Es hat mich verändert, ich bin mit dieser Erfahrung sorgfältiger und ökologischer, solidarischer und mitgeschöpflicher gestimmt worden, wie viele andere auch, aber weltweit gesehen hat dies nichts verändert.

Es gab hinreichend Viele, die daran interessiert haben, daß dies auch nicht geschieht und das LSD kriminalisiert haben. Wer in die Kriminalität geht, ist natürlich isoliert und kontrolliert.

Ich bin da vorsichtiger und skeptischer gegenüber einer Konspirationstheorie, die das gezielte erfolgreiche Abstellen von LSD behauptet. Dem folge ich nicht. Die Dinge sind komplexer und unsteuerbarer.

Die Kriminalisierung dagegen ist Faktum und bedarf keiner Verschwörungstheorie. Die Bereitschaft, in die Kriminalität zu gehen erlaubt fast schon eine ausreichende Kontrolle.

Es hat ausgereicht, aber selbst, wenn LSD 1966 nicht kriminalisiert worden wäre, halte ich es trotzdem für möglich, daß der Konsum abgeebbt wäre.

Hat es neben dem bereits genannten noch weitere Aspekte gegeben, die sie interessiert hätten aber nicht integriert werden konnten?

Die große Fusion von LSD und Rockmusik hätte mich schon sehr interessiert, sowohl die Musikerseite wie das Publikum betreffend. Ich mußte mich aus dramaturgischen und ökonomischen Gründen neben einer kleinen atmosphärischen Nennung der »Grateful Dead« auf den Jimi Hendrix-Auftritt konzentrieren, der dem Film hilft, den Höhepunkt der Country Culture und der psychedelischen Subkultur, den »Sommer of Love« hoch zu steuern und zugleich die bald einsetzende destruktiven Verformung zum Bad Trip anzudeuten. Hendrix verkörpert diese beiden Aspekte von der Ekstase bis zur Selbstzerstörung in recht kurzem Zeitraum.

Hatten sie bei Drehbeginn ein fixes Drehbuch oder hat es sich dynamisch entwickelt?

Ich hab mich lang vorbereitet, viel gelesen und auf die Suche gemacht nach geeigneten Protagonisten. Selbst die Short List der zu Besuchenden belief sich auf 45 Personen. Ich fand eine Produktionsfirma, die Mittel für die Recherche fand. Aus diesem Informationsfundus habe ich eine Story heraus kristallisiert. Ich wollte von der quasi zufälligen Entdeckung des LSD, über die Psychiatrie und die düsteren Nebenaspekte, über den Exzess der Hippiekultur, der folgenden Katastrophe, hin zu der heutigen Katharsis angesichts psychotherapeutischer Anwendungsformen kommen. Man merkt dem Film das dramaturgische Konzept an. Ich habe großen Respekt für den offenen atmosphärischen Dokumentarfilm. Mein Stil ist eher narrativ.

Welche Reaktionen wünschen sie sich auf ihren Film?

Grosse Zustimmung von allen Seiten (lacht). Ich hörte oft von Journalisten: wird das LSD nicht zu positiv dargestellt, werden sie nicht zum Propagandisten des LSD? Meine Antwort ist: der Film ist der Versuch, nach Jahrzehnten der Dämonisierung und Stigmatisierung einmal entspannt, präzise und offen hinzuschauen. Was ist das für eine Substanz, was ist ihre Geschichte, was sind ihre positiven und negativen Qualitäten und was ist die gegenwärtige Situation. Es geht mit darum, eine in riesiger Hysterie geführte Debatte in die Atmosphäre der Genauigkeit, Neugier und der Fairness zu überführen.

Und das alles macht Ihnen keine Lust, beim Thema zu bleiben.

Doch. Ich habe eine Anfrage aus Deutschland zum Thema Therapien mit halluzinogenen Mitteln. Ich denk noch drüber nach. Ich kann und will nicht einen Film nach dem anderen machen. Ich arbeite als Drehbuchautor, Editor und Tonmeister und mache meine Filme, wenn mich ein Thema besonders anspricht und ich dazu etwas sagen möchte. Dies geschieht alle Schaltjahre einmal. rouge

 

 

 

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MARTIN WITZ

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Martin Witz, "The Substance"

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