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 FILM REVIEWS I TITLE I VERSAILLES, PIERRE SHÖLLER I DIETER WIECZOREK I 2008
VERSAILLES
PIERRE SHÖLLER
Ins Abseits
VON DIETER WIECZOREK
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Versailles ist – entgegen der Indizierung des Titels – ein Film über das Leben am Rande. Die ersten Szenen sind dem Überlebenskampf einer jungen Mutter und ihrem Sohn auf den Straßen von Paris gewidmet, die gegen alle Formen der Disziplinierung durch Sozialdienste rebelliert und die letzte Chance einer wirklichen Reintegration ergreifen will. In der Nacht vor ihrem Vorstellungsgespräch trifft sie ausgerechnet auf einen extremen Außenseiter, der sich bereits verabschiedet hat von der »Zivilisation« und in einer Waldhütte ohne Elektrizität lebt. Er ist dort nicht der einzige. Gerade diesem Mann überläßt die hilflose Mutter ihr Kind, für kurze Zeit, wie sie glaubt, doch als sie nach einer ersten Anerkennung in ihrem neuen Metier zurückkehrt, findet sie
nur noch eine heruntergebrannte Hütte vor. Die schwierige Annäherung zwischen dem verwilderten Mann und anmutigen Jungen liefert wunderbare szenische Motive. Um dem Jungen nicht die Chance auf ein normales Leben zu verbauen, kehrt der Mann sogar – zumindest für einen Zeitraum – in die verhaßte Gesellschaft zurück.
Der Franzose Pierre Schoeller situiert das verwilderte und freie Waldleben genau neben dem Prachtschloß Versailles, was eine unglaubliche Filmsequenz ermöglicht: Der verschmutzte und vereinsamte Junge hastet über die unendlich langen Stufenaufgänge hinein in die Luxusgemächer, um Hilfe zu suchen für seinen schwer erkrankten Ersatzvater.
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Schoellers Film ist ein überzeugendes Plädoyer für ein selbstbestimmtes Leben fern der Mechanismen der Ausbeutung, des endlosen Überlebenskampfes und der sozialen Anerkennung, ein Leben, dessen physische Härten nicht verschwiegen werden. Zur gleichen Zeit liest sich Versailles als Kampfansage an eine Gesellschaft, die ihre sensibelsten und aufrechtesten Teilnehmer ins lebensgefährliche Abseits preßt 
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