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pxrouge FESTIVAL REVIEWS I 72. CANNES FILM FESTIVAL I Cannes Kurzfilmwettbewerb: Migrationen, Frauenopfer, soziale Abgründe I VON DIETER WIECZOREK I 2019

CANNES 2019

Cannes Cinefondation Programm 2020 : ein Ort des Aufbruches

 

 

 

VON DIETER WIECZOREK

Rafiki Wanuri Kahiu

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Die Cinefondation ist Cannes Sektion der Entdeckung junger Talente. Oftmals sind es noch Filmstudenten, die hier ihre Werke zeigen. Doch bereits jetzt zeigen einige der Beiträge der diesjährigen Filmschau eine Reife und Souveränität, die ihnen auch einen legitimen Eingang in den Hauptwettbewerb hätte schaffen können.

Hoffnung gegen alles Wissen könnte die sehr kurze Zusammenfassung Katalin Moldovai´s Kurzfilm "As Up to Now" (Ahogz Eddig) lauten. Das ungarische Werk behandelt die Konfrontation mit Sterben und Tod mit sensibler Radikalität. Eine anmutige ältere Dame, die sich gerne stilvoll einkleidet, hat nur noch wenige Wochen zu leben. Nicht direkt erfährt sie diese Wahrheit, aber aus dem Verhalten ihrer sonst ungeduldigen und eher lieblosen Tochter vermag sie es zu erahnen. Diese versucht alles, die Bestechung der behandelnden Klinikärztin eingeschlossen, um ihrer Mutter weiterhin eine Heilungshoffnung zu erlauben. Der Deal ist, ihr täglich frühmorgens eine Scheinbehandlung zu verabreichen. Der Gang in die Klinik wird für die Dame das tagesstrukturierende Ereignis, für das sie sich jeweils ein anderes Kostüm zurechtlegt. In der Klinik wird lediglich ein leeres Ritual vollzogen, ohne den Bestrahlungsapparat auch nur einzuschalten. Als schliesslich die Krankenpflegerin angesichts der zerbrechlichen Frau, die selbst im starken Regen sich nicht scheut zu erscheinen, die Wahrheit gesteht, tut die Kranke, als ob sie nicht verstehe und bittet um die Fortführung der gleichen Behandlung. Durch diskrete Zeichen lässt uns Moldavei verstehen, dass es nicht der Tod, sondern die Einsamkeit ist, die diese schmächtige, aber ehemals offensichtlich sehr lebensfrohe Frau fürchtet. In überaus beeindruckender Weise wird sie verkörpert durch Vera Venczel. Ihre Tochter teilt ihr Leben nicht mehr wirklich mit ihr. Die hellwachen, fragenden Augen der Kranken finden keine Antworten auf ihre wirklichen Fragen. Moldavei schafft ein kristallines Mosaik der Alterseinsamkeit, das lange nachhallt.

Der tschechische Beitrag "One Hunderd and Twenty-Eight Thousand" (Sto dvacet osm tisíc) von Ond?ej Erban führt uns ans Ende des Destruktionspotenzials des kapitalistischen Systems. Eine allein stehende Mutter kann ihre angehäuften Mietschulden nicht mehr begleichen. Die an sich schon große Schuldenlast ist von den Zusatzansprüchen der Banken und weiteren Nebenkosten noch einmal in für sie astronomische Höhen gestiegen. Es ist der Job der Eintreiber, in die Wohnungen zu gelangen, wenn nötig auch durch das Aufbrechen der Haustür, um die letzten noch Minimalerträge versprechenden Güter zu konfiszieren: einen alten Fernseher oder Computer, die Vase der Grossmutter.... Die Frau bietet den Bediensteten sogar noch Cafe an, weist auf ihren leeren Kühlschrank. Im Kinderbett finden die ihre Möbel Durchsuchenden schliesslich noch einen Restbetrag, der sie vielleicht noch über die nächsten Tage bringen könnte. Erst als sie verstehen, dass diese Frau an der Grenze ist, sich das Leben zu nehmen, lassen sie von ihr ab.

 

Donbass Sergei Loznitsas

"One Hunderd and Twenty-Eight Thousand", Ond?ej Erban

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Kondensierter kann man die finale Aggression der Marktwirtschaft kaum auf den Punkt bringen. Verarmung im Zentrum von Europe, Versagen sozialer Einrichtungen und die Auftragsarbeit von Lebensentziehern, die selbst bei aller Verhärtung emotional nicht immer mithalten können. Die Kurzfilmform reicht völlig aus, um die ganze Kosmologie der sozialen Dekadenz auf den Punkt zu bringen.

Rafiki Wanuri Kahiu

"Ambience", Al Jafari

 

Wie sieht der Alltag in Palästina aus? Diese Frage bekommt in Wisam Al Jafaris in seinem in Schwarzweiss gedrehtes Werk "Ambience" eine überraschende Antwort: er wird dominiert von einem unvermeidlichen, allgegenwärtigen und anhaltenden Krach, die eine zusammengepferchte Bevölkerung zwangsläufig produziert. Für Musiker, die an einem Wettbewerb teilnehmen wollen und keinen Ort für ihre Tonaufnahme finden, stellt sich das Problem noch dringlicher. Al Jafari koloriert den Dauerstress mit vielen Details, vom Handysound über frenetische Feste bis zu Bombengeschütz. Die beiden Musiker ziehen von Ort zu Ort, um schliesslich eine überraschend kreative Lösung zu finden. Sie integrieren die Lärmwellen in ihre Komposition als Hintergrundkulisse. Metaphorisch gibt "Ambience" die Antwort auf die Frage, wie ein würdiges Überleben in widrigen Umständen möglich ist. Störendes wird in Produktives, oder zumindest Brauchbares transformiert. Polemik, Pathos oder Gewaltkulisse vermeidend bietet der Film einerseits einen realistischen Einblick in das tägliche palästinensische Leben, andererseits schafft es ein ausdrucksstarkes Bild für die Lebensvitalität einer Bevölkerung, für die es keine Normalität gibt.

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In die lichtlose Welt der Millionen immigrierter Arbeiter, die als rechtlose Kräfte im fremden Land um ihr Überleben und das ihrer Familien kämpfen, führt der in seiner Präzision und Konzentration an Bresson erinnernde Film "Alien" (Ronghee). Jegwang Yeon behandelt das Thema angesichts illegaler chinesischer Arbeiter in Südkorea. Während der Intervention der Immigrationspolizei kommt eine junge Frau bei ihrem Fluchtversuch ums Leben. Statt ihr auch nur eine Beerdigung zuzuerkennen wird ihrer chinesischen Mitarbeiterin lediglich mitgeteilt, dass ihr Leichnam ihrer Familie zugeführt werden soll. Die Frau durchschaut schnell diese Lüge. Ihr Versuch, den Leichnam selbst zu retten scheitert. Zu spät kommend muss sie im Morgenlicht mit anschauen, wie der Leichnam am Straßenrand verbrannt wird, um Konflikte mit den korrupten Behörden, die den Unfall selbst mit verursacht haben zu vermeiden. Auch diese schmutzige Arbeit wird wiederum von offensichtlich noch verarmteren, südasiatischen Immigranten vollzogen. Entstanden an der koreanischen nationalen Kunsthochschule besticht „Alien" durch die Kraft der minimalen Gesten und Auslassungen, kommt mit Andeutungen aus, da wo üblicherweise mit emotionalem Pathos gearbeitet wird.

 

Donbass Sergei Loznitsas

"Alien", Jegwang Yeon

 

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Yomeddine AB Shawky

"Complex Subject", Olesya Yakoleva

 

Die Abwehr des Unbekannten, Andersheit und Aggression sind vielfach behandelte Themen. Diese Konflikte in das Szenarium der russischen Provinz zu verlegen, wo Frustration und Armut schnell in Gewalt umschlagen, wo Vereinsamung, Gruppenzwang und Machismus den Alltag kennzeichnen, ist der Ausgangspunkt von "Complex Subject" (Slozhnopodchinennoe) von Olesya Yakoleva. Bereits in ihrem Kurzfilm "Mommy´s Darling" (2017) thematisierte sie die Problematik traditioneller Beziehungen, hier im Fall einer Mutter, die ihren Sohn in emotionaler und materieller Abhängigkeit hält. "Complex Subject" kreist um die Figur eines jungen Mannes, der als Lehrer an eine heruntergekommene Provinzschule berufen wird. Langeweile und Abgestumpftheit sind die bestimmenden Elemente seiner neuen Umgebung. Doch der junge Mann hat nichts gemein mit dem üblichen Image eines Lehrers und entspricht keinen der an ihn gestellten Ansprüche. Weder autoritär noch seiner unsicher, fügt er sich keiner Status- oder Geschlechtsrolle.

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Seine Gesten und Aktionen interferieren zwischen Femininität und Maskulinität. Er verunsichert seine Umgebung, in dessen Fokus des Interesses er bald rückt. Für die einen wird er zum Objekt von Attacken, für andere zum Objekt der Begierde. Doch auch diesen Begehrlichkeiten enträt er. Er verkörpert eine unerklärliche Distanz und Souveränität, die nie zur Arroganz kulminiert. Seine Fremdheit provoziert und ruft zugleich oft nicht zugegebene Bewunderung hervorruft. Yakoleva variiert das Thema des Einzelnen gegen die Gesellschaft mit klaren Blick auf einen sozialen Kontext, der Normierung zur Pflicht macht, will man im Gruppenzwang einer Kleinstadt seine Position nicht verlieren rouge

 

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72. CANNES FILM FESTIVAL 2019

info

08 - 19 / 05 / 2019

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