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pxrouge FESTIVAL REVIEWS I 72. CANNES FILM FESTIVAL I Cannes Kurzfilmwettbewerb: Migrationen, Frauenopfer, soziale Abgründe I VON DIETER WIECZOREK I 2019

CANNES 2019

Cannes Kurzfilmwettbewerb: Migrationen, Frauenopfer, soziale Abgründe

 

 

 

VON DIETER WIECZOREK

Rafiki Wanuri Kahiu

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Cannes Kurzfilmwettbewerb hält sein in den jüngsten Jahren etabliertes hohes Niveau und bietet ein breites Spektrum filmischer Potenzialität, die besonders der ökonomisch unwichtigere, daher freiere Kurzfilm offeriert.

Filme können "unmoralische" Tagträume um Ausdruck bringen und Katharsis-Effekte leisten, ohne reale Opfer beklagen zu müssen. Das aus Finnland stammende Werk "All Inclusive" exemplifiziert dies. Er beschriebt einen einfachen, von allen Seiten unterdrückten, nicht ernst genommenen Mann mittleren Alters, der kein glückendes Leben mehr zu erhoffen hat. Selbst in seinem eigenen Wohnraum ist er Opfer der Dominanz seiner Ehefrau. Dabei ist er ein freundlicher Mann, der überall nach Sympathien und Anerkennung sucht. Situiert in einer kühlen nordischen Gesellschaft, die Aggressionen oft dialoglos appliziert, wird unser Protagonist permanent der Lächerlichkeit preisgegeben. Doch eines Tages wird diesem Opfer der andauernden Degradation ein magisches Mittel in die Hand gespielt, das es ihm erlaubt, alle ihn Malträtierenden zu transformieren in Befehlsempfänger. Seine Wünsche werden augenblicklich ausgeführt. Versehen mit quasi göttlicher Macht verwandelt sich der Mann in einen lächelnden, lakonischen Tyrannen, der das erste Mal aufatmet.

 

Donbass Sergei Loznitsas

"All Inclusive", Teemu Nikki

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Gewiss wird man Teemu Nickis Film auch als die amüsanten Rekonstruktion der Entstehung des Faschismus lesen können, der Transformierung der Erniedrigung über Ressentiments zu einer lustvoll erlebten Machtposition, hier jedoch nicht gestützt durch die Partizipation an einer politische Machtstruktur, sondern als zufällig Erwählter, einer Figur also, die üblicherweise sich manifestiert als Selbstdefinitionen in religiösen Kontexten. Wird dieser Mann den Zauberstab wieder aus der Hand geben können? Was könnten die Gründe dafür sein? Teemu Nickis Film bleibt hintergründig, fängt die Atmosphären unserer sterilen Gesellschaften mit der Härte eines Ulrich Seidl ein, und bleibt doch spielerisch und humorvoll.

Rafiki Wanuri Kahiu

"The Van", Erenik Beqiri

 

Gewalt in reinster Form ist Thema der französisch-albanischen Koproduktion 'The Van" von Erenik Beqiri. Katharsis auch hier, die römischen Spiele kehren in die Gegenwart zurück, in Form von Faustkämpfen ohne Schutz und Grenzen, bis zum völligen Zusammenbruch eines der Kontrahenten. Auf den Sieger wird gewettet. Da diese Kämpfe illegal sind, finden sie innerhalb von geschlossenen Lastwagen statt, die sich fortbewegen. Ein junger Mann, der verzweifelt das Geld für eine Schlepperbande aufbringen will, um mit seinem Vater das Land zu verlassen, sieht hier die einzige Chance an das nötige Geld zu kommen. Verschiedene Kämpfe bringen ihn zunehmend in Lebensgefahr. Der Film kulminiert im Auftauchen seines eigenen Vaters, der sich als sein Kontrahent präsentiert um sich lieber von seinem Sohn zusammenschlagen zu lassen, als mitansehen, dass diesen sein Leben riskiert.

 

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Beqiri verdichtet das Todesrisiko der einer Lebenshoffnung folgenden Migranten hier zu einem oft übersehenen Schauplatz, bevor die riskante Reise überhaupt angetreten wird. Beqiri schafft eine der beeindruckendsten Vatergestalten nicht nur dieses Festivals, einen Mann, der nicht nur nicht der Illusion eines besseren Lebens folgt, sondern alles tut, um das Leben seines Sohnes zu erhalten. Die Dialoge zwischen Vater und Sohn werden mit gleicher sensibler Präzisen eingefangen wir die Szenen vom Kampfplatz. In der Figur des Sohnes gestaltet Beqiri überzeigend einen jungen Mann, der wie sich ein wildes Tier bewegt und seine Wunden heilt, um an seinem Freiheitsbegehren festzuhalten.

Die Atmosphäre einer anonymen apokalyptischen Bedrohung schafft Agustina San Martins (Argentinien) in "Monster God" (Monstrum Dios). Wie reale Gefahren sich - fatalerweise für den globalen Weltzustand - oft der unmittelbaren Wahrnehmung entziehen, wird auch hier der Gefahr keine konkrete Form gegeben. Vielmehr wird sie hintersinnig als allpräsente metaphysische Disposition präsent gehalten, als Metapher eines unabwendbaren Schicksals. Der Film beginnt mit einem religiösen Gebet im Off, währen im Bild ausschliesslich Hochspannungsmasten erscheinen. Dort bildet sich darauf ein roter Energieball, der sich in Bewegung setzt. Sirenen ertönen. Tiere und Menschen fühlen die Bedrohung. Ein Kind fragt: "Wohin gehen wir?". San Martin schafft ein intensives Werk der Andeutungen, Vermutungen und Verunsicherungen situiert in meist nächtlichen, regnerischen Situationen. Die Katastrophe findet (noch) nicht statt. Doch das Memento mori ist klar angesagt.

 

Donbass Sergei Loznitsas

"Monster God", Agustina San Martin

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Das Werk kristallisiert eine Bedrohung als solcher, die nur konterkariert wird durch eine Art religiöser Popmusik, zu der junge Leute tanzen, eine Generation, die in diesem Kontext als eine schon verlorene erscheint. "Monster God" ist der enigmatischste Beitrag dieses Wettbewerbes, der gerade durch seine Abstraktion eine besondere Intensität schafft. Nur das Unbekannte vermag wirklich zu bedrohen. Erneut wie bereits in ihrem 2017 realisierten Kurzfilm "La prima sueca" steht vor allem die junge Generation im Zentrum. War es dort die verunsichernde Initiationspassage vom jugendlichen Dasein zum Frau-Sein, von der Verspieltheit zum Heiratsobjekt, ist hier die Bedrohung unfassliche rund daher umfassender. "Monster God" wagt den Schritt von einer sozialen zu einer existenziellen Dimension.

Yomeddine AB Shawky

"Anna", Dekel Berenson

 

Migrationswunsch und Heiratsprostitution sind thematisches Feld auch in der ukrainisch-israelisch-britischen Koproduktion "Anna". Dekel Berenson geht dem Phänomen der Heiratsagenturen nach, die Frauen ein besseres Leben im Ausland versprechen. Anna ist eine reife Frau, die dank eines harten Job in einer Schlachterei ihr karges Leben fristet in der östlichen, vom Krieg gezeichneten Ukraine. Sie folgt einer Radioreklame, die ihr das Kennenlernen von wohlhabendem Heiratswilligen in Aussicht stellt. Obwohl nicht mehr die ideale Kandidatin, wird sie zu einem dieser Kontaktabende zugelassen. Trotz aller Versuche der vermittelnden Agentur, ihr die direkten sexuellen Forderungen der "Anwärter" zu verschleiern, versteht die realistische Frau doch bald, dass der einzige Profit für sie an diesem Abend nur das Büffet sein kann. Als sie dann auch noch ihre eigene Tochter im gleichen Raum mit einem Mann flirten sieht, flippt sie aus.

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Am Ende bleibt sie allein gelassen zurück, gefangen in der gleichen hoffnungslosen Situation wie zuvor. Berenson variiert das Thema der globalen Degradierung der Frau zum Warenangebot hier in einer milden, humorvollen Form. "Anna" beeindruckt durch seine genaue Nachstellung der ärmlichen sozialen Wirklichkeit. Sein Film ist inspiriert von seiner 2012 unternommenen Busreise mit durch Europa, die ihn auch zu dieser ukrainischen Region führte, von der seine Grossmutter stammt, der kleinen ukrainischen Grenzstadt Khust. Auch Jahre später zurückkehrend beobachtet er Armut und Korruption als die dominanten Faktoren der sozialen Wirklichkeit. Auch seinen Schauspielerinnen ist dieses Milieu der milden Prostitution, in der beide Seiten das Beste für sich herausschlagen wollen, nicht fremd, da allgegenwärtig in den lokalen Bars. Berenson gelingt es, die situative Ambiguität zwischen romantischer Hoffnung und materieller Kalkulation, zwischen westlichen und östlichen Kulturen präzis und wiederum nicht ohne Humor einzufangen.

Hervorzuheben in Cannes Kurzfilmwettbewerb ist auch das dokumentarische Porträts des 21jährigen Alain Demaria. Der junge Marseiller hat sich seine eigene Legende kreiert, als jemand, der viel riskiert. Über Jahre stürzte er sich kopfüber aus grosser Höhe von den Felsenküsten der Corniche ins Mittelmeer, um "das Wasser zu brechen". Nicolas Davenel und Vanessa Dumont schaffen in "The Jump" (Le Grand Saut) sein Porträt. Es zeigt überraschender Weise keinen kraftstrotzenden Draufgänger, sondern einen selbstreflexiven jungen Mann, der vaterlos und ab dem sechsten Lebensjahr von der Mutter getrennt in einem Internat aufgewachsen, sucht, sich selbst zu finden und seine aggressiven Impulse unter Kontrolle zu halten, denn Zuschlagen möchte er häufig. Lediglich das Rauchen und Risikospringen bieten ihm Kompensationen. In seiner sensibel, mit schlichter Kamera auf grobkörnigem Material eingefangenen, Selbstbeschreibung bezieht er auch die anderen Jugendlichen Marseilles ein, die wie er, wenn auch mit geringerem Risiko, sich ins Wasser stürzen, um sich von traumatischen Erfahrungen zumindest momentan zu befreien.

 

Donbass Sergei Loznitsas

"The Jump", Nicolas Davenel & Vanessa Dumont

 

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Alain sucht keine, wie vielleicht zu vermuten wäre, Popularität. Facebook, Twitter und Instagram nutzt er nicht einmal. Seine sozialen Kontakte beschränken sich auf einen Freund und seit kurzem eine Geliebte, die ihm durch neue Perspektiven auch eine andere Selbstwahrnehmung erlaubt. Luzid genug sieht er ich in seine eigenen Träumen oft auf den Felsen zerschellen. An sich arbeitend sieht das Ende seiner Risikosprünge zumindest am Horizont. Unterdessen hat er auch einen Job akzeptiert. In überzeugender Einfachheit verdichten Davenels und Dumont sein Porträt zum Stellvertreter einer postökonomischen Generation marginalisierter Jugendlicher auf der Suche nach einer Existenzform, die es ihnen erlaubt, den täglichen Degradierungen Paroli zu bieten rouge

 

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72. CANNES FILM FESTIVAL 2019

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08 - 19 / 05 / 2019

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