In “The Trial: The State of Russia vs Oleg Sentsov“ beschreibt Askold Kurov in transparenter Form die Funktion eines Schauprozesses für die juristische und politische Wirklichkeit im aktuellen Russland. Von Beginn an legt er Wert darauf, die Hauptfigur des Schauprozesses, Oleg Sentsov, in hinreichender Komplexität darzustellen, der unterschiedliche Fähigkeiten vereint: Cybersport-Spezialist, Schriftsteller, Familienvater und schliesslich Filmemacher.

“The Trial: The State of Russia vs Oleg Sentsov”, Askold Kurov |
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Sein preisgekrönter Erstlingsfilm “Gaamer” gewann breite Anerkennung. Eine Reihe internationaler Filmkollegen setzten sich seitdem für ihn ein. Als (abwesendes) Jurymitglied wurde er nach Venedig, San Sebastian, Warschau und Motovun sowie zu den Polish Film Awards und den Catalan Gaudi Awards eingeladen. Namhafte Filmdirektoren wie Wim Wenders, Agnieszka Holland, Ken Loach, Mike Leigh und Pedro Almodóvar richteten am 10. Juni 2014 einen öffentlichen Brief an Vladimir Putin, indem sie seine Freilassung fordern. Der wohl erfolgreichste zeitgenössische russische Filmmacher Aleksander Sokurov wagt es in einer öffentlichen Anhörung, sich zu seiner Verteidigung mit Putin zu konfrontieren. Allerdings verdeutlicht die von Kurov zitierte Archivsequenz die Scheue in Sokurovs Argumentation, der sich einerseits entschuldigt, “falls er etwas Falsches gesagt hat”, andererseits nicht wirklich argumentiert, sondern an russisch-christliche Werte appelliert, die “Verzeihen vor Gerechtigkeit” gelten lassen. Deutlich wird bereits hier die monarchisch-diktatorische Willkür als allgemein akzeptierte Realität.
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Sentsov lebt im zumeist russischsprachigen Sektor der heute russischen Administration unterstehenden Territoriums der Krim. Seine Identität definiert er klar als ukrainisch. Die Annexion und militärische Okkupation der Krim erkennt er nicht an. Er wird angeklagt, als Mitglied der paramilitärischen Formation “Rechter Sektor”, die von russischer Seite als “terroristisch” gebrandmarkt wird, Anschläge geplant zu haben, eine Mitgliedschaft, die von beiden Seiten abgestritten wird. Problemlos dagegen gibt Sentlov zu, eingeschlossene ukrainische Truppen mit Nahrung versorgt zu haben.
In einem Scheinprozess ohne jedes faktische Beweismittel und mit - wie sich im Laufe des Prozesses herausstellt - unter Folter und mit Hafterleichterungsversprechen erzwungenen falschen Zeugenaussagen wird ihm die Vorbereitung terroristischer Angriffe auf Denkmäler, Zuggleise, Brücken und Starkstromleitungen vorgeworfen. Ihn zum Führer einer terroristischen Bereinigung aufzubauen geschah erst, nachdem er selbst unter Folter sich weigerte, falsche Zeugenaussagen gegen Maidan–Führern machen, um diese als Terroristen zu diffamieren. Schon vor dem ersten Prozesstag, dies exponiert Sentsov auch während seines Prozesses, wird ihm mitgeteilt, zu 20 Jahren verurteilt zu werden, zu einer Haftstrafe unter “harten und interessanten Bedingungen”. Zugleich integriert Kurov dokumentarische Bilder, die zeigen, wie eine Vorführung von Sentsovs Film von Polizeikräften unterbrochen und die Personalien der Anwesenden erfasst werden. |
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“The Trial: The State of Russia vs Oleg Sentsov”, Askold Kurov
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In Kurovs Film erscheint Sentsov als Person, die nach eigenen Angaben auch langer Folter widerstand. Dem widerspricht allerdings der ihm gewidmete Wikipedia Artikel, der eine zunächst erfolgtes Geständnis notiert, das daraufhin jedoch widerrufen wurde: (https://en.wikipedia.org/wiki/Oleg_Sentsov).
Fakt ist, dass die Europäische Fimakademie ohne Erfolg die russische Föderation zur Untersuchung der Foltervorwürfe aufforderte.
Der politische Wissenschaftler Krill Rogov erläutert die Funktion eines Terroristen-Schauprozesses, vor allem, wenn es prominente Persönlichkeiten trifft und der Prozess ohne jede Beweislast auskommt. Er dient schlicht als Einschüchterung, signalisierend, dass niemand vor der Willkür des Staates geschützt ist. Er wirkt als “Illustration des Terrors”, als Warnung an Eliten und Aktivisten, aber auch an die einfache Bevölkerung, was die Konsequenzen eines oppositionellen Handelns sein können.

“The Trial: The State of Russia vs Oleg Sentsov”, Askold Kurov |
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Selbst als eines der Scheinzeugen in Sentsovs Prozess vor Gericht die durch Folter erzwungene Aussage zurückzieht – ein ausgesprochen rarer Akt im heutigen Russland - geht das Justizsystem den erhobenen Folter-Vorwürfen erneut nicht einmal nach. Selbst ohne den Hauptanklagezeugen wird Sentsov zu den - vorhergesagten - 20 Jahren verurteilt, ein Mitangeklagter zu einer etwas geringerer Strafe. Während der Urteilsverkündigung lachen die Angeklagten über die Farce. In seinem Abschlussplädoyer erinnert Sentsov an das Meisterwerk russischer Literatur, Bulgakovs “Meister und Margarita”, wo Feigheit als die grösste Sünde eingestuft wird. Er ruft dazu auf, die Furcht zu überwinden und Putins System sowie die Annektierung nicht als unüberwindlich einzuschätzen. Seine Haftstrafe verbringt er ihn einem Hochsicherheitsgefängnis in Sibiriern.
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Kurov Werk überzeugt durch Klarheit und Stringenz. Ein marodes System tritt hier selbst vor Gericht und entlarvt sich durch seinen Scheinprozessuren.
“The Trial: The State of Russia vs Oleg Sentsov”
org.: Proces: Ruský stát vs. Oleg Sencov
von Askold Kurov
Lettland, Polen, Tschechische Republik / 2017/ 70 min  |