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pxrouge FESTIVAL REVIEWS I 47. FESTIVAL INTERNATIONAL DE CINÉMA VISION DU REEL, NYON I WARUM TRUMP UND NICHT SANDERS ? I VON DIETER WIECZOREK I 2016

Das Festival Vision du Réel in Nyon

Warum Trump und nicht Sanders ?

Bereits das offizielle Wettbewerbsprogramm in Nyons “Vision du Réel” legt den Finger auf die Wunde

 

von Dieter Wieczorek

“A Campaign of Their Own”, Lionel Rupp, Michael D. Mitchell

A Campaign of Their Own

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Es war und ist schwierig zu verstehen, wie Trumps Wahl möglich war. Wie kann eine zivilisierte Gesellschaft eines gewissen Bildungsniveaus sich für eine Rückkehr ins Mittelalter entscheiden, für einen Rhetoriker, der ein demokratisches System, basierend auf Gewaltenteilung, polemisch in Frage stellt und ein Desaster für die ökologisch prekäre planetare Situation ist? Wie ist es möglich, dass jemand, der “Journalismus” zur Manipulation erklärt und wissenschaftliche Erkenntnisse zu Geschichten degradiert, die Kindern Angst machen sollen, neben einer langen Reihe weitere Idiotien, sich als Präsidentschaftskandidat aufstellen lassen kann und Erfolg hat? Wer wählte Trump, wie und warum?

Zumindest einige Elemente für eine mögliche Antwort werden in Lionel Rupp und Michael David Mitchell Dokumentarfilm “A Campaign of Their Own” geliefert, der im Schweizer Festival “Vision de Réel” in Nyon nun zu sehen ist. Die Filmemacher folgen denjenigen, die an die starken Ursprünge der US-Amerikanischen Ideologie anknüpfen wollen, genauer, an den Kampf gegen Rassismus, Frauendiskriminierung und Segregation, die sich einsetzen für Gedanken- und Redefreiheit, vor allem aber für soziale Gerechtigkeit durch gänzlich neue Formen der Verteilung des Reichtums mit dem Ziel, den permanent ansteigenden Abgrund zwischen reich und arm entgegen zu steuern. Und es gab einen Namen, der für ein solches Programm stand: Bernie Sanders. “Campaign” folgt seinen Anhängern während den entscheidenden Phasen der letzten Wahlen.

Die erste überraschende Information, die der Film einem nicht spezialisierten Publikum bietet, ist die Tatsache, dass viele unabhängige, will sagen nicht parteigebundene Wähler, die grössten Schwierigkeiten hatten, überhaupt zu den Vorwahlen des demokratischen Kandidaten zugelassen zu werden. Sechs Monate zuvor hätten sie ihren Antrag stellen müssen. Einer zitierten Schätzung zufolge waren dies allein im Staat New York bereits 3,2 Millionen auf diese Weise Ausgeschlossen. Die Partei entschied, wer wählen kann, wer nicht. Nicht unerwähnt darf auch bleiben, dass eine Wahlbeteiligung 27 Dollar kostet, was wiederum den Ausschluss vieler Minderbemittelter und Marginalisierter zur Folge hat.

Stand Obama für eine Hoffnung, so repräsentierte Sanders ein konkretes Programm der sozialen Revolution hier und jetzt. Doch angesichts dieser Herausforderung spielte das “National Democratic Comity” (NDC) Wie Wikileaks offenlegte, eine fatale Rolle und manipulierte die Regeln. Das höchste politische Organ ist faktisch die National Convention (Nationalversammlung), nicht das Komitee. Dieses Faktum wurde im politische Entscheidungsprozess überspielt. In der Versammlung hätten die Delegierten aktiv, sichtbar und wahlentscheident werden können. Sanders bekam die weitreichendste Unterstützung der Unabhängigen, ca. 8 Millionen Dollar und 13 Millionen Stimmen, doch die Dinge nahmen einen anderen Lauf.

Der jedoch in “Campaign” dokumentierte noch weit gravierendere enttäuschende Effekt die eine neue Gerechtigkeit fordernde Sanders Anhänger jedoch war es zu sehen, wie dieser selbst, angesichts seiner Niederlage, nicht einmal die von ihm artikulierten Werte und Ideale erneut einklagte und zum anhaltenden notwendigen Kampf für ihrer Realisierung aufforderte, im Stil von “We lost the Battle, but not the War”, sondern die fragwürdige Rolle spielte, zu suggerieren, dass Clinton diese Aufgabe nun übernehmen werde.

A Campaign of Their Own

“A Campaign of Their Own”, Lionel Rupp, Michael D. Mitchell

 

Im Wohnzimmer von Jonathan Katz und seiner Partnerin, beide bis zu diesem Moment uneingeschränkte Anhänger von Sanders, fangen die Filmemacher den tiefen Schock ein, den Sanders neue Rhetorik bei ihnen auslöst, “erreichte Ziele” deklarierend, wo alles gerade verloren scheint, wofür sie sich seit Wochen stritten. Sie hätten zumindest von ihrem Kandidaten erwartet, dass er zur Einklage seines Konzepts steht. Stattdessen delegiert er es an eine Figur, die für Hunderttausende Amerikaner die Inkarnation der Machtspiele und Manipulationen der Regierung verkörpert, eine Politik der Happy-Few-Gewinner neuer Szenarien kapitalistischer Machtakkumulation, eine Figur, die niemals Interesse für die Verteidigung der Nichtprivilegierten gezeigt hatte. Clinton repräsentiert eine Politik grotesker sozialer Ungleichheit, eingeschlossen unakzeptabler Mindestlöhne und massive Steuererleichterungen für Wohlhabende, kurz: die Inkarnation der Wall Street, nicht zu vergessen ihre Kommentare der 90ger Jahren gegen Afro-Amerikaner.

trailer Trailer

Sanders gibt die Revolution auf. In der Tradition des “Direct Cinema” folgen Lionel Rupp und Michael David Mitchell den Partisanen in die Versammlungen und auf Strassenmanifestationen. Sie fangen ihren Enthusiasmus ein, wie später ihre Desorien, von “Campaign” dokumentierte tierung. Sie sind die neue “Lost Generation”, doch diesmal eine aller Altersschichten. Wir folgen denjenigen die skandieren “Trumps beats Clinton, but Bernie beats Trump”, neben solchen die gestehen, Sanders habe sie aufgeweckt und ihnen neue Hoffnung gegeben, Gesänge indianischer Herkunft intonierend, dann jedoch auch jenen, die in tiefe Depression fallen. Einige flüchten sich in Zynismus und behaupten, dass letztlich diejenigen die wirklichen Wandel wollen, keine Change haben in diesem System. Vielleicht steht Sanders nur für eine fatale Strategie, Wählerstimmen zu sammeln, um sie dann zu delegieren. War er ein bewusster Komplize? Daneben bleiben auch viele Zweifel an der Auszählung der Stimmen.

Der Glaube an die Möglichkeit, eine Regierung zu bekämpfen, die gegen ihre eigene Bevölkerung arbeitet, ist nun für lange Zeit erneut, von “Campaign” dokumentierte auf Eis gelegt. Angesichts dieser traumatischen Erfahrung scheint es verständlich, das die “Verlierer” ihre Stimmen gegen die Repräsentantin der Zerstörung ihrer Hoffnungen richteten und nicht gegen die unglücklicherweise bis dahin nicht ernst genommene Schaupuppe Trump.

Ein weiteres, im gleichen Wettbewerbsprogramm Nyons laufendes Werk, vertieft den Einblick in Hintergründe der Trump Wahl. Lech Kowalski kehrt in “I pay for Your Story" zurück nach Utica, eine ehemals industriell blühende Ortschaft ca. vier Autostunden von New York entfernt. Hier verbrachte er einen Teil seiner Jugend. Nun trifft auf eine Stadt im Verfall, eine der vielen an der US-Ostküste, die zu Opfer veränderter Produktionszentren und Formen wurden. Heute ist die einstige Migrationsstadt Utica ein No-Futur-Ort, wo besonders die die farbige Bevölkerung treffende Arbeitslosigkeit verbunden mit einem kompletten Mangel an Kultur- oder Begegnungsstätten fast zwangsläufig in die Kriminalität führen. Kowalski (be)sucht die einst lebhaften Orte der Stadt, ein Plattengeschäft, ein Musikclub, eine überdachte Schlittschuheisbahn, die in heissen Sommertagen Kühle spendete, jedem gratis zugänglich. Nun erinnern nur noch Ruinen an sie, wie auch nahezu alle anderen Magazine und Vergnügungsparks verschwunden sind.

 

I pay for Your Story

"I pay for Your Story", Lech Kowalski

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Kowalski beginnt kurze Lebensgeschichten zu sammeln, für die er den doppelten Mindestlohn pro Zeitaufwand zahlt. Schnell kristallisiert sich die Matrix der aktuellen Lebensabläufe heraus. Einmal in der Jugend kriminell geworden und kommentarlos aus der Schule suspendiert, meist wegen Drogendelikten oder Diebstählen, von da an chancenlos auf Jobsuche für den Rest des Lebens, folglich Rückkehr in die Kriminalität. Der Alltag all dieser pendelt zwischen Verhaftungen und Entlassungen. Vor allem ein Akteur profitiert davon: die neue blühende Gefängnisindustrie. Wie es oft dort am Ausgang heisst: “Come back with a friend”.

Viele der Abgeschlagenen ziehen den Gefängnisaufenthalt dem Dahinsiechen in der maroden Stadtlandschaft vor. Dort haben sie zumindest eine medizinische Grundversorgung, während sie draussen selbst mit Kugeln im Arm, Schädelbruch, teilweise beschädigtem Gehirn und verlorenem Auge, wie einer der seine Geschichte Preisgebenden in Anwesenheit seiner Familie vor der Kamera zu Protokoll gibt, noch nicht einmal einen Invaliditätsanspruch einklagen können, der Weissen mit weit weniger Beschädigungen problemlos zugesprochen wird.

Auch neu ins Land Gekommene ("Stangers“) haben es in Utica einfacher. Sie kommen mit Startkapital und werden 10 Jahre lang von den Steuern entlastet. Dagegen werden Einheimischen weder Ausbildungs- noch Weiterbildungskurse angeboten. Einige wenige Glückliche unter ihnen finden eine unbezahlte Facharbeiterschulung, aber keine Anstellung. Für viele junge Frauen sind angesichts dieses Szenariums ihre oftmals zahlreichen Kinder die einzige Lebensfreude. Sie hoffen auf eine bessere Zukunft für sie, ohne sie jedoch erkennen zu können.

Hinzu kommt eine zunehmende Polizeigewalt. Immer mehr Farbige werden auf der Strasse erschossen. Ermittlungen folgen kaum. Viele der Befragten sehen einen neuen gewaltgeprägten Rassenkonflikt wahrscheinlich werden. Drogen und Aggressionen bestimmen den Alltag. Ein Anwohner schätzt, dass 80% seiner ehemaligen Freunde einsitzen, der Rest ist bereits tot.

Leicht ist nachzuvollziehen, wie diese auf Dauer gestellten Zwangsaussenseiter der Gesellschaft auf ein Versprechen regieren, dass ihnen Arbeit in Aussicht stellt. Genau dies aber tat Trump mit polemischen Polarisierung gegen die “Gouvernements-Mafia”. Die Dahinvegetierenden haben weder Mittel noch den Background, solche Versprechen in Frage zu stellen. Die Polemik findet hier folglich einen fruchtbaren Boden.

Kowalski richtet sein Warenschild “I Pay for Your Story” in Leuchtbuchstaben auf einer schäbigen Terrasse ein. Er wird Teil der Abstiegsumgebung. Gerade daher kann er Stimmen einfangen, die vor allem nach einem suchen: nicht verachtet zu werden rouge

 

 

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47. FESTIVAL INTERNATIONAL DE CINÉMA VISION DU REEL, NYON

info

15 - 23 / 04 / 2016, France

Vision du Réel

 

 

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