Es war und ist schwierig zu verstehen, wie Trumps Wahl möglich war.
Wie kann eine zivilisierte Gesellschaft eines gewissen Bildungsniveaus
sich für eine Rückkehr ins Mittelalter entscheiden, für einen
Rhetoriker, der ein demokratisches System, basierend auf
Gewaltenteilung, polemisch in Frage stellt und ein Desaster für die
ökologisch prekäre planetare Situation ist? Wie ist es möglich, dass
jemand, der “Journalismus” zur Manipulation erklärt und
wissenschaftliche Erkenntnisse zu Geschichten degradiert, die Kindern
Angst machen sollen, neben einer langen Reihe weitere Idiotien, sich
als Präsidentschaftskandidat aufstellen lassen kann und Erfolg hat?
Wer wählte Trump, wie und warum?
Zumindest einige Elemente für eine mögliche Antwort werden in Lionel
Rupp und Michael David Mitchell Dokumentarfilm “A Campaign of Their
Own” geliefert, der im Schweizer Festival “Vision de Réel” in Nyon nun
zu sehen ist. Die Filmemacher folgen denjenigen, die an die starken
Ursprünge der US-Amerikanischen Ideologie anknüpfen wollen, genauer,
an den Kampf gegen Rassismus, Frauendiskriminierung und Segregation,
die sich einsetzen für Gedanken- und Redefreiheit, vor allem aber für
soziale Gerechtigkeit durch gänzlich neue Formen der Verteilung des
Reichtums mit dem Ziel, den permanent ansteigenden Abgrund zwischen
reich und arm entgegen zu steuern. Und es gab einen Namen, der für ein
solches Programm stand: Bernie Sanders. “Campaign” folgt seinen
Anhängern während den entscheidenden Phasen der letzten Wahlen.
Die erste überraschende Information, die der Film einem nicht
spezialisierten Publikum bietet, ist die Tatsache, dass viele
unabhängige, will sagen nicht parteigebundene Wähler, die grössten
Schwierigkeiten hatten, überhaupt zu den Vorwahlen des demokratischen
Kandidaten zugelassen zu werden. Sechs Monate zuvor hätten sie ihren
Antrag stellen müssen. Einer zitierten Schätzung zufolge waren dies
allein im Staat New York bereits 3,2 Millionen auf diese Weise
Ausgeschlossen. Die Partei entschied, wer wählen kann, wer nicht.
Nicht unerwähnt darf auch bleiben, dass eine Wahlbeteiligung 27 Dollar
kostet, was wiederum den Ausschluss vieler Minderbemittelter und
Marginalisierter zur Folge hat.
Stand Obama für eine Hoffnung, so repräsentierte Sanders ein konkretes
Programm der sozialen Revolution hier und jetzt. Doch angesichts
dieser Herausforderung spielte das “National Democratic Comity” (NDC)
Wie Wikileaks offenlegte, eine fatale Rolle und manipulierte die
Regeln. Das höchste politische Organ ist faktisch die National
Convention (Nationalversammlung), nicht das Komitee. Dieses Faktum
wurde im politische Entscheidungsprozess überspielt. In der
Versammlung hätten die Delegierten aktiv, sichtbar und
wahlentscheident werden können. Sanders bekam die weitreichendste
Unterstützung der Unabhängigen, ca. 8 Millionen Dollar und 13
Millionen Stimmen, doch die Dinge nahmen einen anderen Lauf.
Der jedoch in “Campaign” dokumentierte noch weit gravierendere
enttäuschende Effekt die eine neue Gerechtigkeit fordernde Sanders
Anhänger jedoch war es zu sehen, wie dieser selbst, angesichts seiner
Niederlage, nicht einmal die von ihm artikulierten Werte und Ideale
erneut einklagte und zum anhaltenden notwendigen Kampf für ihrer
Realisierung aufforderte, im Stil von “We lost the Battle, but not the
War”, sondern die fragwürdige Rolle spielte, zu suggerieren, dass
Clinton diese Aufgabe nun übernehmen werde.
“A Campaign of Their Own”, Lionel Rupp, Michael D. Mitchell |
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Im Wohnzimmer von Jonathan Katz und seiner Partnerin, beide bis zu
diesem Moment uneingeschränkte Anhänger von Sanders, fangen die
Filmemacher den tiefen Schock ein, den Sanders neue Rhetorik bei ihnen
auslöst, “erreichte Ziele” deklarierend, wo alles gerade verloren
scheint, wofür sie sich seit Wochen stritten. Sie hätten zumindest von
ihrem Kandidaten erwartet, dass er zur Einklage seines Konzepts steht.
Stattdessen delegiert er es an eine Figur, die für Hunderttausende
Amerikaner die Inkarnation der Machtspiele und Manipulationen der
Regierung verkörpert, eine Politik der Happy-Few-Gewinner neuer
Szenarien kapitalistischer Machtakkumulation, eine Figur, die niemals
Interesse für die Verteidigung der Nichtprivilegierten gezeigt hatte.
Clinton repräsentiert eine Politik grotesker sozialer Ungleichheit,
eingeschlossen unakzeptabler Mindestlöhne und massive
Steuererleichterungen für Wohlhabende, kurz: die Inkarnation der Wall
Street, nicht zu vergessen ihre Kommentare der 90ger Jahren gegen
Afro-Amerikaner.
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Trailer |
Sanders gibt die Revolution auf. In der Tradition des “Direct Cinema”
folgen Lionel Rupp und Michael David Mitchell den Partisanen in die
Versammlungen und auf Strassenmanifestationen. Sie fangen ihren
Enthusiasmus ein, wie später ihre Desorien, von “Campaign”
dokumentierte tierung. Sie sind die neue “Lost Generation”, doch
diesmal eine aller Altersschichten. Wir folgen denjenigen die
skandieren “Trumps beats Clinton, but Bernie beats Trump”, neben
solchen die gestehen, Sanders habe sie aufgeweckt und ihnen neue
Hoffnung gegeben, Gesänge indianischer Herkunft intonierend, dann
jedoch auch jenen, die in tiefe Depression fallen. Einige flüchten
sich in Zynismus und behaupten, dass letztlich diejenigen die
wirklichen Wandel wollen, keine Change haben in diesem System.
Vielleicht steht Sanders nur für eine fatale Strategie, Wählerstimmen
zu sammeln, um sie dann zu delegieren. War er ein bewusster Komplize?
Daneben bleiben auch viele Zweifel an der Auszählung der Stimmen.
Der Glaube an die Möglichkeit, eine Regierung zu bekämpfen, die gegen
ihre eigene Bevölkerung arbeitet, ist nun für lange Zeit erneut, von
“Campaign” dokumentierte auf Eis gelegt. Angesichts dieser
traumatischen Erfahrung scheint es verständlich, das die “Verlierer”
ihre Stimmen gegen die Repräsentantin der Zerstörung ihrer Hoffnungen
richteten und nicht gegen die unglücklicherweise bis dahin nicht ernst
genommene Schaupuppe Trump.
Ein weiteres, im gleichen Wettbewerbsprogramm Nyons laufendes Werk,
vertieft den Einblick in Hintergründe der Trump Wahl. Lech Kowalski kehrt in “I pay for Your Story" zurück nach Utica, eine ehemals
industriell blühende Ortschaft ca. vier Autostunden von New York
entfernt. Hier verbrachte er einen Teil seiner Jugend. Nun trifft auf
eine Stadt im Verfall, eine der vielen an der US-Ostküste, die zu
Opfer veränderter Produktionszentren und Formen wurden. Heute ist die
einstige Migrationsstadt Utica ein No-Futur-Ort, wo besonders die die
farbige Bevölkerung treffende Arbeitslosigkeit verbunden mit einem
kompletten Mangel an Kultur- oder Begegnungsstätten fast zwangsläufig
in die Kriminalität führen. Kowalski (be)sucht die einst lebhaften
Orte der Stadt, ein Plattengeschäft, ein Musikclub, eine überdachte
Schlittschuheisbahn, die in heissen Sommertagen Kühle spendete, jedem
gratis zugänglich. Nun erinnern nur noch Ruinen an sie, wie auch
nahezu alle anderen Magazine und Vergnügungsparks verschwunden sind. |
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"I pay for Your Story", Lech Kowalski
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Trailer |
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Kowalski beginnt kurze Lebensgeschichten zu sammeln, für die er den
doppelten Mindestlohn pro Zeitaufwand zahlt. Schnell kristallisiert
sich die Matrix der aktuellen Lebensabläufe heraus. Einmal in der
Jugend kriminell geworden und kommentarlos aus der Schule suspendiert,
meist wegen Drogendelikten oder Diebstählen, von da an chancenlos auf
Jobsuche für den Rest des Lebens, folglich Rückkehr in die
Kriminalität. Der Alltag all dieser pendelt zwischen Verhaftungen und
Entlassungen. Vor allem ein Akteur profitiert davon: die neue blühende
Gefängnisindustrie. Wie es oft dort am Ausgang heisst: “Come back with
a friend”.
Viele der Abgeschlagenen ziehen den Gefängnisaufenthalt dem
Dahinsiechen in der maroden Stadtlandschaft vor. Dort haben sie
zumindest eine medizinische Grundversorgung, während sie draussen
selbst mit Kugeln im Arm, Schädelbruch, teilweise beschädigtem Gehirn
und verlorenem Auge, wie einer der seine Geschichte Preisgebenden in
Anwesenheit seiner Familie vor der Kamera zu Protokoll gibt, noch
nicht einmal einen Invaliditätsanspruch einklagen können, der Weissen
mit weit weniger Beschädigungen problemlos zugesprochen wird.
Auch neu ins Land Gekommene ("Stangers“) haben es in Utica einfacher.
Sie kommen mit Startkapital und werden 10 Jahre lang von den Steuern
entlastet. Dagegen werden Einheimischen weder Ausbildungs- noch
Weiterbildungskurse angeboten. Einige wenige Glückliche unter ihnen
finden eine unbezahlte Facharbeiterschulung, aber keine Anstellung.
Für viele junge Frauen sind angesichts dieses Szenariums ihre oftmals
zahlreichen Kinder die einzige Lebensfreude. Sie hoffen auf eine
bessere Zukunft für sie, ohne sie jedoch erkennen zu können.
Hinzu kommt eine zunehmende Polizeigewalt. Immer mehr Farbige werden
auf der Strasse erschossen. Ermittlungen folgen kaum. Viele der
Befragten sehen einen neuen gewaltgeprägten Rassenkonflikt
wahrscheinlich werden. Drogen und Aggressionen bestimmen den Alltag.
Ein Anwohner schätzt, dass 80% seiner ehemaligen Freunde einsitzen,
der Rest ist bereits tot.
Leicht ist nachzuvollziehen, wie diese auf Dauer gestellten
Zwangsaussenseiter der Gesellschaft auf ein Versprechen regieren, dass
ihnen Arbeit in Aussicht stellt. Genau dies aber tat Trump mit
polemischen Polarisierung gegen die “Gouvernements-Mafia”. Die
Dahinvegetierenden haben weder Mittel noch den Background, solche
Versprechen in Frage zu stellen. Die Polemik findet hier folglich
einen fruchtbaren Boden.
Kowalski richtet sein Warenschild “I Pay for Your Story” in
Leuchtbuchstaben auf einer schäbigen Terrasse ein. Er wird Teil der
Abstiegsumgebung. Gerade daher kann er Stimmen einfangen, die vor
allem nach einem suchen: nicht verachtet zu werden |