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pxrouge FESTIVAL REVIEWS I CLERMONT-FERRANT 38. FESTIVAL DU COURT METRAGE 2016 I VON DIETER WIECZOREK I 2016

Das internationale Kurzfilmfestival in Clermont-Ferrand 2016


Die gelassene Perfektion des weltweit grössten Kurzfilmmekkas

 

VON DIETER WIECZOREK

"The Reflection of Power”, Mihai Grecu

The Reflection of Power

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Es gibt Phänomene, von denen wünschte man sich, dass sie sich stets gleich blieben. Das Kurzfilmfestival Clermont-Ferrand gehört zu diesen. Über 8 Tage hinweg streifen hier über Hunderttausend Besucher durch die Stadt, oft mit Notizblock und Stift versehen, um die 31 Wettbewerbsprogramme und die ca. 60 thematischen, nationalen und Sonderprogramme zu sichten. Eine gewiss unmögliche Aufgabe, die die Qual der Wahl herauf beschwört. Zwischen den 14 Spielstätten hin und her pendelnd macht sich schnell ein Kinorausch breit, den die Anwohner zu einem alle Jahre wiederkehrenden Lebensstil entwickelt haben. Und da behaupten immer noch einige, der Kurzfilm könne kein Massenpublikum gewinnen.

Killing thre Chickens to Scare the Monkeys

"Killing thre Chickens to Scare the Monkeys“", Jens Assurs

 

Wie jedes Jahr wurde die Produktion eines Landes besonders geehrt. 2016 stand Schweden im Mittelpunkt. Eine 6-teilige Programmauswahl bot die Gelegenheit, so markanter Filme wie Jens Assurs "Killing thre Chickens to Scare the Monkeys“ wiederzusehen, eine hochstilisierte Abrechnung mit den absurden Strafstrategien totalitärer Systeme, oder die unvergleichliche fiktive Performance von sechs Schlagzeugspielern, die in eine bürgerliche Privatwohnung eindringen und mit höchster Präzision alle dort vorgefundenen Materialien zum Klingen bringen, um punktgenau ihre Aktion abzubrechen und zu verschwinden, bevor die Bewohner von ihren täglichen Spaziergang heimkehren. Der Film ist eine wunderbare Ode an die poetische Absurdität der Kreation („Music for one Apartment and Six Drummers“ von Ola Simonssons und Johannes Stjärne Nilsson). Auch den «Afrikanischen Perspektiven» blieb Clermont-Ferrand 2016 treu, wenn auch dieses Jahr nur mit zwei Programmblöcken.

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Auf diesem Kontinent arbeiten Kurzfilmer unter besonders erschwerten Bedingungen angesichts mangelnder Subventions- und Fördergelder. Nationale Kollaborationen, nicht zuletzt auch mit Frankreich, bieten oftmals die einzige Möglichkeit, ihre Projekte zu realisieren.

Das Hauptaugenmerk in Clermont liegt gewiss jedoch auf den drei Wettbewerbssektionen, die französische und internationale, sowie die des (experimentelleren) „Labo“. Einen Film in Clermont starten zu können verheisst weltweite Aufmerksamkeit. Ab hier reisen die Filme oft in alle Himmelsrichtungen. Im Internationalen Wettbewerb fielen einige Werke auf, die in besonderer Weise die Souveränität der Frauen in den Mittelpunkt stellen. Allen voran zu erwähnen sind die kurdische Kämpferinnen in Leyda Topaks "Uzak Mi…“ (In der Ferne...). Im Zentrum des in der Türkei produzierten Filmes stehen kurdische Soldatinnen in Kobanè (Aleppo), die nicht nur für ihre nationale Unabhängigkeit, sondern für die Anerkenntnis der Frauen im einem überaus patriarchalischen Umfeld kämpfen. Selbst in bewaffneten Konflikt verraten diese Frauen ihre Femininität nicht. Gesang und Tanz gehören zu ihrem Alltag. Einige Szenen wirken daher nahezu surreal. Die furchtlosen Frauen zelebrieren das Leben aufs Eindringlichste. Sofia Qiurós Ubeda zeigt in "Entre la terre“ (Geh in die Erde) (Argentinien, Chile, Costa Rica) in intensiven, langsamen Bewegungen die vorsichtige Annährung einer älteren Frau, die bewusst beginnt, vom Leben Abschied zu nehmen, an eine junge Aussenseiterin, die wiederum sich intuitiv einfühlt, die ältere bei ihren letzten Schritten zu begleiten. Im thailändischen Film "Ferris Wheels“ (Riesenrad) ist es eine Mutter, die sich mit ihrem jungen Sohn unter Lebensgefahr auf den Emigrationstrip von Myanmar nach Thailand begibt. Phuttiphong Aroonpheng zeigt die noch junge Frau in diversen Krisensituationen um ihren Sohn kämpfen. Sein realitätsnaher Film nimmt am Ende eine durchaus überraschende Wende und verdichtet sich zu einer poetischen Metapher der Menschlichkeit. Auch in "Fata Morgana“ der Regisseurin Amelie Wen ist es eine Mutter, die für ihre in der Ferne gestorbene Tochter die letzten Rituale verrichtet, deren symbolische Kraft sich ihrem Ehemann entziehen. Sie reist von China in die Vereinigten Staaten. Dezent lässt die chinesisch-us-amerikanische Koproduktion die immer noch fortwirkende Vorurteile der Minderwertigkeit der Töchter gegenüber erhofften Söhnen anklingen. Doch auch dieser Film endet in einer sensiblen Geste der Annäherung und Zärtlichkeit zwischen den Eheleuten.

Auch an eindringlichen Männergestalten mangelt es im internationalen Wettbewerb nicht. In dem aus Madagaskar kommende Film "Die Strasse gehört mir“ (Anay ny Lalana) schildert die Regisseurin Nantenaina Fifalana den Alltag eines verarmten alten Mannes, der voller Spiel- und Lebenslust immer noch seine Arbeit als Wasserträger nachgeht, um sich ein Handgeld zu verdienen. Die Kamera folgt ihm durch die engen Gassen. So hart die Arbeit scheint, sie ist seine Lebensfreude. Auch im argentinischen Film "La Indeferencia del vento“ (Die Indifferenz des Windes) von Ruben Guzman steht ein alter Mann im Zentrum. Don Roberto Yañez (1929-2014) lebt allein auf sich gestellt in der Steppenlandschaft Patagoniens sein schlichtes, hartes Leben führt. Die Fragilität und Unscheinbarkeit des menschlichen Lebens angesichts der überwältigenden Indifferenz der Natur wird in meditativen und poetischen Bildern spürbar. Aus Aserbaidschan kommt der bemerkenswert sozialkritische Film "The Light Side“. Khayyam Abdoullayev und Elmaddin Aliyev schildern den Alltag einer Familie, deren Vater sich als Tagelöhner auf dem benachbarten Ölbohrfeld durchschlägt. Seine Arbeit gibt ihm noch nicht einmal die Möglichkeit, genügend Öl genug im Hause haben, um seinen Kindern das nötige Licht für ihre abendlichen Schularbeiten bieten zu können. Er findet einen illegalen Weg und riskiert seine Inhaftierung. Sozialkritisch angelegt ist ebenfalls Carlos Piñeros aus Bolivien kommender Film "Amazonas“. Hier findet sich ein aus den Anden nach Brasilien geflohener Emigrant nicht nur seiner Papier beraubt, sondern in eine ausweglose Situation gepresst, die ihn zwingt, an einem illegalen Geldverkehr zu partizipieren. Er findet in seiner Verzweiflung zu einer ganz eigenen Form des Widerstandes.

Symbolic Threats

"Symbolic Threats", Lutz Henke, Mischa Leinkauf , Matthias Wermes

 

Eine Reihe beachtlicher Filme hatte die Labo-Sektion des Festivals dieses Jahr zu bieten, Die Sektion öffnet sich vor allem ästhetisch gewagten, experimentellen Arbeiten. Glücklicherweise folgt Clermont-Ferrand nicht der destruktiven Strategie der Premieren-Fetischisierung, die bei genauerem Hinsehen nichts anderes ist als die Applikation machtakkumulierender Strategien im künstlerischen Bereich. Die Opfer sind die Kurzfilme selbst. Die eingespielten Mechanismen des Hinhaltens und Ausschliessens seitens der Megafestivals erschweren artifiziell die weitgefächerte Sichtbarkeit der Filme. So konnte der bereits auf der Berlinale präsentierten, eine unglaubliche Performanz dokumentierende Film "Symbolic Threats", der deutschen Filmemacher Lutz Henke, Mischa Leinkauf und Matthias Wermes auch in Clermont gezeigt werden. In einer riskanten, kaum nachzuvollziehenden Nachtaktion werden die beiden auf der streng bewachten Brooklyn-Bridge angebrachten US-Flaggen gegen schlicht weissfarbene ausgetauscht.

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Tags darauf stehen die nationalen und internationalen Medien Kopf, Sicherheitsspezialisten aller Art werden zur Aufklärung herangezogen, doch das Ereignis bleibt ein Enigma, zumindest so lange, bis die Aktionisten das Land verlassen konnten. Die Hypokrisie der offiziellen Lobhudeleien auf die Freiheit der Kunst wird hier auf den Punkt gebracht. Der Kunstakt wie schlicht als Verbrechen interpretiert und mit hohen Haftstrafen geahndet. Die USA schraubt sich in kürzester Zeit zu einer umfassenden Sicherheitshysterie hoch. Zweifellos ist "Symbolic Threats“ einer der stärksten Kurz-Dokumentarfilme des Jahres.

Eine andere mit harter Realität jonglierende Performance kommt aus dem verarmten südafrikanischen Staat Lesotho. In der deutsch-afrikanische Koproduktion "Behemoth - or the Game of God" Lemohang Jeremiah Moseses zieht ein schwarzer Priester einen Sarg über weite Strecken hinter sich her. Er provoziert seine Landsleute mit der Behauptung, dass in diesem Sarg ihr Gott begraben liege. Als die Spannungen zunehmen öffnet er den Totenschrein und Geldscheine werden sichtbar, über die die gierige Masse herfällt, um gleich darauf den Priester wegen Blasphemie zu verfolgen. Der Mann entkommt nur knapp.

Performative, exotisch wirkende Todesrituale stehen im Zentrum des vietnamesischen Films "The Living Need Light The Dead Need Music" der Propeller Group. Dieser bereits in Rotterdam gezeigte Film dokumentiert die bezaubernd bizarren Formen enthusiastischer Todesriten, in denen Tanz und Musik einen zentralen Raum einnehmen.

Eine fiktional Performance bietet das aus Grossbritannien kommende Werk "H Positive". In Glenn Patons Achtminüter stellt der Protagonist Mark seine technisch ausgefeilte und überaus aufwendige Version eines nicht nur schmerzlosen, sondern lustvoll erlebten Selbstmordes vor: eine irrsinnig beschleunigende Euthanasie-Achterbahn, deren Benutzung einen sicheren, euphorisch erlebten Gehirntod durch zerebrale Hypoxie garantiert.

Einen beissend satirischen Kommentar zu Nordkorea Kultpolitik schafft der aus Rumänien kommende, in Frankreich lebende Mihai Grecu in "The Reflection of Power". Er lässt die allesamt der Inszenierung des Führerkultes dienenden, pathetischen Staatsmonumente und artifiziellen Zeremonien samt ihrer Architektur systematisch im Hochwasser versinken. Die Opfer spielen ihre Rollen wie Marionetten weiter. Individuelle Reaktionen sind hier nicht vorgesehen. Was bleibt ist eine menschenlose Ruinenlandschaft.

Natürlich darf auch der experimentelle Kurzfilm "The Exquisite Corpus" Peter Tscherkasskys in dieser gut sortierten Labo-Sektion nicht fehlen, der es bereits in die Kurzfilmauswahl der Quinzaine in Cannes geschafft hatte, ein Privileg, das experimentelleren Filmen wirklich nicht alle Tage gelingt. Der Österreicher offeriert hier mit dynamisch montierten Foodagematerial eine vibrierend erotisches Werk, situiert in einer südlich idyllischen Küstenlandschaft. Er setzt der freien Sexualität ein erfrischendes Zeichen in Zeiten pornografischer Tristesse. Die sensuellen Rhythmen des Filmes kristallisieren sich zur spürbaren Form.

Sinnliche Spürbarkeit vermittelt auch der aus Indien kommende Film "Kamakshi" Satindar Singh Bedis. Schatzplatz ist hier ein von grosser Wassernot gezeichneter, dürrer Landstrich. Mechanische Verrichtungen, die das Überleben sichern sollen, vollziehen sich in suggestiver Stärke. Sie wirken wie rituelle Handlungen, die allegorisch an eine zeitlose Dimension gemahnen. Im Mittelpunkt dieses eindringlichen, in scharfen Scharz-Weiss-Kontrasten gefertigtes Werkes steht eine alte Frau, die eine mystische Beziehung zu dem sie umgebenden Kosmos zu haben scheint.

William Laboury brachte mit "Hatura" ein Werk nach Clermont, dass die von Ridley Scoot in "Blade Runner" und Stanley Kubricks in "2001" entwickelten Themenfelder aufs Neue entfaltet. Der französische Film setzt eine junge, in eine Art Trance versetzte Frau in Szene, deren Bewusstsein mit einer Vielzahl von Naturbildern, Architekturen, Landschaften, Kompositionen und historischen Wissenskomplexen, kurz mit sinnlichen und intellektuellen Modulen aller Art, angefüllt wird. Ihr tristes Schicksal, so wird bald klar, ist es, als organischer Speicher zu dienen, in dem das Beste, das die Erde zu bieten hat, eingelagert wird. Zu diesem Programm gehört, dass sie nicht erwachen wird. Der Film lässt bewusst offen, ob es sich hier um einen künstlichen oder natürlichen Körper handelt. Die Situation beginnt ausser Kontrolle zu geraten, als die junge Frau in eine Identitätskrise angesichts verlorener Erinnerungsblöcke gerät. Sie verspürt Lust, zu erwachen und das einfache, konkrete Leben zu suchen px

 

 

 

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38. FESTIVAL DU COURT METRAGE CLERMONT-FERRANT

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05 - 13 / 02 / 2016

Festival du court metrage Clermont-Ferrand
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