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pxrouge FESTIVAL REVIEWS I 58. DOK LEIPZIG FESTIVAL I VON DIETER WIECZOREKI 2015

Das Dok Festival in Leipzig

Höhepunkte des Internationalen Wettbewerbs der 58. Edition

 

 

 

von Dieter Wieczorek

"Lampedusa im Winter" Jacob Brossmanns

Dok Leipzig Festival

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Das Zweifellos ein Höhepunkt im nicht nur deutschen Jahresprogramm des Animation- und Dokumentarfilms lädt das DOK Festival Leipzigs über eine Woche hinweg nicht nur zur Werkschau, sondern auch zu permanenten Debatten über Filme der täglichen Programmauswahl. Leipzig ist ein Festival, das die weltweiten Schlüsselthemen genauso im Auge behält wie die immer noch spürbaren Konsequenzen der schmerzhaften Geschichte eines geteilten Deutschlandes.

Bracia_Wojciech Staron

"Bracia" Wojciech Staron

 

Im Internationalen Wettbewerbs des Dokumentarfilms berührte ein fast intimes Porträt, was auf den ersten Blick fern der grossen Konfliktzonen des Planeten sein Thema findet. Die mittlerweile 90jährigen “BRÜDER” (Bracia), Miecylaw und Alfons, finden nach einer nahezu lebenslangen Getriebenheit durch unterschiedlichste Länder, Kasachstan und Sibirien eingeschlossen, in ihre Heimat nach Polen zurück, wo sie allein ein Landhaus bewohnen. Ihr Zusammenleben wird vom polnischen Regisseur Wojciech Staron in all seinen Nuancen zwischen kleinen Sticheleien, Aufmunterungen, täglichen Hilfestellungen aber auch Momenten der Trauer und des Zweifel eingefangen. Ihre Geschichte wird lediglich angedeutet mit wenigen verblassten Fotos und Schmalfilmfragmenten. Im Zentrum steht jedoch die Gegenwart dieses beeindruckenden, viele Härtephasen durchquert habenden Lebens. Fast am Ende seines Weges findet Alfons als Maler mythischer Naturbilder internationale Anerkennung in Form einer offiziellen Ausstellung in Brüssel, in Anwesenheit diverser Botschafter.

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Sharon integriert Alfons Malerei visuell überzeugend in das Panorama ihres täglichen Landlebens. Unmittelbar nach ihrer Reise wird das Brüderpaar mit der grössten denkbaren Katastrophe konfrontiert: ihr Landhaus sowie alle darin untergebrachten Kunstwerke sind abgebrannt. Und wieder haben die Brüder die Kraft, von vorne zu beginnen. Die Interferenz zwischen ihrer aussergewöhnlichen Lebensgemeinschaft dem sensiblen, intime Details erfassenden Blicks Sharons schafft ein Werk über Lebenskraft und Würde, dass angesichts der aktuellen massenhaften Emigrationsschicksale umso bedeutsamer erscheint.

Wie kann ma einen Dokumentarfilm über soziale Wirklichkeit in Nordkorea drehen? Jedenfalls nicht, indem man um Erlaubnis anfragt. Doch der in Russland lebende Filmemacher ukrainisch jüdischer Herkunft Vitaly Mansky (*1963) setzt in “UNDER THE SUN” (V luchakh solnca) auf eine ebenso einfache wie wirkungsvoller Strategie. Er folgt den lokalen (Propaganda-) Medien bei ihrer Arbeit, ihm bei seiner Arbeit zu “helfen”. Er öffnet den Raum zwischen dem, was sich vor und hinter der Kamera ereignet. Er dokumentiert die Anweisungen, wie seine Helfer die koreanische Wirklichkeit erscheinen lassen wollen und kontrastiert diese Sets mit kleinen, unbeobachteten Gesten hinter der offiziellen Kamera, die oftmals von Erschöpfung und Unsicherheit geprägt sind. Er beobachtet das Ungemach, die Angst, etwas Falsches, oder das Richtige nicht richtig genug zu sagen, die hinter der Oberfläche der fröhlich selbstbewussten Lebenshaltung spürbar ist.



 

Dok Leipzig Festival

"Under the sun" Vitaly Mansky

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Mit dieser dokumentarischen Seitenblick-Perspektive gelingt ihm eindrucksvoller Porträt einer Bevölkerung unter Kontrolle und Selbstkontrolle, die sich ihre eigenen Ängste und Wünsche nicht einmal selbst einzugestehen, geschweige denn zu kommunizieren vermag. Den öffentlichen Raum dokumentiert Mansch kommentarlos, neutral und distanziert. Er zeigt einen gänzlich durchgeplanten Alltag, der mit Massengymnastik am frühen Morgen beginnt zu Lautsprecheranweisungen. Diese Beschallung, geprägt vorwiegend von Propagadasongs und Hymnen an die Führung, sprich Kim Jong-un, wir den ganzen Tag über nicht abreissen. Danksagungen allüberall, jeder Erfolg, selbst der des Abschusses von US-Militärmaschinen im letzten Krieg, wird personalisiert und als Produkt der direkten Intervention der Führung dargestellt. Manskys Drehzeit war auf eine Tag beschränkt, doch sie reicht völlig aus, eine auf Stillstand gestellte Gesellschaft permanenter Selbstdarstellung hinreichend abzulichten. Seine Kamera erfasst hinter ihrer Zwangsdressur Menschen, die auf einen anderen nächsten Tag warten.

Dok Leipzig Festival

"Lampedusa im Winter" Jacob Brossmanns

 

Einfachen Menschen stehen auch im Mittelpunkt von Jacob Brossmanns (*1986) Dokumentation "Lampedusa im Winter". Die Einwohner dieses wie kaum ein anderer von Emigrationswellen heimgesuchten Ortes müssen ihre Existenzen neu ordnen, gleichzeitig konfrontiert mit tausendfachen menschlichen Tragödien und dem Verlust ihres einstigen, schlichten Lebens. Brossmann fokussiert seine Kamera auf ihre Gefühle, Reaktionen und Reflexionen. Er folgt ihnen zu politische Versammlungen, in denen nicht Zweifel an notwendigen Hilfestellungen artikuliert werden, sondern eine oft an Verzweiflung und Wut reichende Enttäuschung über mangelnde öffentliche Mittel, sowohl seitens der italienischen Regierung wie der europäischen Gemeinschaft. Selbst die einzige Fähre zum Festland wird nach ihrem Ausfall nicht instand gesetzt oder durch eine neue ersetzt, sondern lediglich gegen eine weniger leistungsfähige ausgetauscht. Die lokalen Fischer treten in Streik, die auf der Insel abgeschirmten Flüchtlinge machen auf dem Kirchplatz auf sich aufmerksam. Opfer sind sie alle. Brossmann nimmt sich Zeit, den unterschiedlichen Aktivisten zu folgen. Auf dem Hintergrund eines umfassendes soziales Panoramas widmet er sich Einzelschicksalen, zeigt Menschen, die individuell nach Lösungen suchen.

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Er resümiert den harten Alltag Lampedusas abseits politischer Schlagzeilen und touristischer Sensationslust, indem er Menschen auf beiden Seiten zeigt, Einwohner wie Emigranten, die es zu vermeiden wissen, sich als Kontrahenten zu sehen. Genau dies macht Brossmanns Film zu einem wichtigen Zeitdokument, das gerade angesichts der aktuellen zunehmenden Fremdenfeindlichkeit als Diskussionsgrundlage an jeder Schule wünschenswert erscheint.

Im Wettbewerbsprogramm des kurzen Animations- und Dokumentarfilms hervorzuheben ist zweifellos Laura Marie Waynes “Most of Us Don’t Live There”. Die kanadische Musikerin und Filmemacherin öffnet den Blick in den Bereich ungewöhnlicher Wahrnehmungen und Intensitätszustände, die über das Spektrum normierter Wahrnehmungen weit hinaus gehen. Aus Selbsterfahrung bezeugt Wayne Bewusstseinszustände, beginnend mit extremer Empathie bis hin zu einer völligen, ihr Selbstbewusstsein absorbierenden Symbiose mit der sie umgebenden Natur. Sie verliert die Kontrolle über ihre Gefühle und zugleich ihre Handlungsfähigkeit. Neun Jahre lang hatte die Medizin nur eine Antwort auf dieses Dilemma, Antidepressiva, die lediglich zu einer anderen Form des Ich-Verlustes, zu innerer Abstumpfung und kompletter Desensibilisierung führen. Dann riskierte Wayne es, sich aus dieser Dunstglocke Schritt für Schritt zu befreien und zu einer Autonomie und Selbstfindung zurück zu kehren. Ihr hoch sensibler Film lässt Super-8 Bilder aus ihren Kindertagen, vor dem Auftreten ihrer Hypersensibilität anklingen, Bilder einer normalen Kindheit, die ihr nun als Referenz eines möglichen kommunikativen Lebens diesen. Den Konflikt zwischen Bewusstsein und Selbstverlust umschreibt sie im Off mit kristallin vibrierender Stimme. Sie schafft einen aussergewöhnlichen Film, der assoziative Naturbilder als Darstellung von Bewusstseinssymbiosen nutzt. Ein wunderbarer Film, der einen Schritt in ein offenes, nicht ungefährliches Terrain tut.

 

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"Most of Us Don’t Live There" Laura Marie Wayne

 

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"Procedere" Delia Schiltknecht

 

Mit vergleichbarer Intensität schildert auch “Procedere:” der Schweizerin Delia Schiltknecht (*1989) einen psychischen Extremzustand. Sie gibt der Stimme einer an manischer Depression und Angstzuständen leidenden jungen Frau Raum, deren geflüstertes Tagebuch aus dem Off erklingt. Wasseroberflächen, vorbei rauschende Baumstämme sowie eine kleine Animationsfigur, die hilflos von rechts nach links und umgekehrt läuft, schaffen die Atmosphäre extremer Ausgesetztheit und Unruhe. Auch “Procedere:” zitiert ein scheinbar überlebenswichtiges Medikament: das Antidepressiva Zoloft. Die Patientin kämpft gegen ihre eigenen Gedanken und inneren Bilder an, die sie gegen ihren Willen überfallen: “Negative Bilder dürfen nicht gedacht werden”. Unscharfe Archivbilder und flackerndes dekomponiertes analoges Bildmaterial katalysieren ihren Zustand hilfloser Fragilität. Zahlen, Sonnenlicht, Baumblätter… alles kann eine mögliche Gefahr sein. Mit Zwangsritualen sucht sich die Patientin zu wehren gegen die mentalen Einbrüche. Fragmente von Naturanrichten wirken hier, im Unterschied zu Laura Marie Waynes Film, eher bedrohlich, keinesfalls als Einladung zu einer möglichen Symbiose. Schiltknecht schafft einen schmerzlich intensiven Einblick in die ausweglos scheinende innere Hölle eines Bewusstseinszustandes, der lediglich nach “guten Bildern” suchen kann. Hier endet der Film.

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58. DOK-LEIPZIG FESTIVAL

info

26 / 10 - 01 / 11 / 2015, Leipzig

Dok Leipzig Festival

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