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pxrouge FESTIVAL REVIEWS I 29. INTERNATIONAL FILM FESTIVAL FRIBOURG I VON DIETER WIECZOREK I 2015

Das Internationale Festival des Films in Fribourg (Schweiz)
Ein Festival im Aufschwung

 

 

 

VON DIETER WIECZOREK

"Ata", Chakme Rinpoche

Ata Chakme Rinpoche

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In den letzten Jahren vollzog sich im Fribourger Festival ein Wechsel. Das Festival entwickelte sich von einem vorwiegend auf den lateinamerikanischen Film konzentrierten zu einem weltweit orientierten, das neben dem Spielfilmprogramm auch Kurz- und Dokumentarfilme integriert. Neben den Wettbewerbsprogramm bietet das Festival über sieben Tage auch thematische Sektionen an, dieses Jahr zum Thema Diaspora, erotisches Kino und den Leben der nordamerikanischen Ureinwohner. Weiten Raum nahm ebenso ein von Ossama Mohammad zusammengetragenes Spektrum zum Thema Syrien ein, sowie ein Programmblock zum Thema, worüber es noch möglich sei zu lachen.

Das gut organisierte Festival bietet alle Spielstätten auf engem Raum, in dessen Zentrum der alte, als Restaurant ausgebaute Bahnhof nun als Treffpunkt dient. Es ist ein Festival der idealen Grösse, das Kommunikation und Austausch leicht macht.

In dem ästhetisch erstaunlich weit gefächerten Wettbewerbsprogramm fand sich eine Fülle von bemerkenswerten Werken, die angesichts ihrer Unvergleichbarkeit der Jury ihre Arbeit nicht einfach machten. Soweit ich zumindest für die FIPRECI Jury bezeugen kann, fiel die endgültige Entscheidung erst nach stundenlangen leidenschaftlichen Diskussionen.

Der erste erstaunliche Film kam aus China. Chakme Rinpoche brachte mit «Ata» ein wie eine offene Metapher komponiertes Werk nach Fribourg. Der als buddhistischer Mönch lebende Filmemacher hat nie eine Filmschule besucht. Er gestaltet in intensiven, langsamen Schwenks in abgedämpften Farben die Geschichte eines blinden Jungen, der von seiner Mutter zum Tischtennis-Spiel getrimmt wird, um durch Erfolg bei den paralympischen Spielen sein finanzielles Überleben sichern zu können. Neben der sozialkritischen Pointe bietet diese paradoxe Ausgangssituation eine szenische Plattform der Selbstsuche. Nachdem ihr Sohn verschwand legt sich die Mutter selbst eine Binde um, um durch die Intuition einer behindernden Blindheit einen Weg zu ihm zurück zu finden. Der Film überrascht immer wieder durch suggestive Szenen, wie Hunderte von Tischtennisbällen, die in den Raum einfallen und jede Bewegung mit dem Schläger zu einem Treffer werden lassen. Fixe Kameraeinstellungen, der punktuelle Gebrauch poetischer Texte, die erst durch Blindensprache dechiffriert werden und die Technik einer meditativen Verlangsamung lassen «Ata» als einen für ein Erstlingswerk unglaublich formbewussten Film erscheinen.

Eine vergleichbar metaphorisch allegorischer Sprache kennzeichnet «Corn Island» (Simindis Kundzulis) des Georgiers George Ovashvili. Auf einer Schwemminsel im Fluss Enguri, der die beiden befeindeten Territorien Georgien und Abchasien trennt, beginnt ein Grossvater mit seiner Enkelin ein Hütte zu bauen und Weizen anzupflanzen, um ihr Überleben auf Frist zu sichern. Angefeindet von Soldaten, auch bedroht durch offensive sexuelle Offerten an die noch Minderjährige, ist ihr Leben ein fragiler Balanceakt. In grossartigen Bildern setzt Ovashvili seinen Akzent jedoch auf die Schönheit und Würde des Überlebens selbst. Die langsam entstehende Hütte, die aufkeimenden Pflanzen, der Windschutz, das Überleben durch Fischen, werden zum verdichteten Bild menschlichen Überlebenskampfes in einem kalten Kosmos.

Sensibel folgt die Kamera oft in Bodenhöhe seinen Protagonisten in ihren einfachen und schlichten Gesten. Ihr entstandenes kleines Inselparadies wird einmal, kurz vor seinem Untergang, in majestätischer Hochaufsicht gezeigt, die Tarkovskis Bilder der Inselhaften Isolation menschlichen Lebensraumes in «Solaris» in Erinnerung rufen. Dann schwemmen Sturmwind und Regengüsse die Insel davon, bis ein neuer Frühling anbricht und der nächste Bewohner eintrifft.
Hinter den Kulissen war es ein organisatorisches Glanzstück, dem mit einem Minibudget ausgestatteten Film diese beeindruckenden Szenen zu erlauben. Die Insel wurde künstlich auf unsicherem Grund aufgeschüttet, und durch das Wasser eines geöffneten Staudamms schliesslich davon geschwemmt. Eine Fülle unbezahlter Helfer wirkten hier mit, um einen Film zu ermöglichen, der an ihre, aber auch an die der anderen weltweit kaum wahrgenommene, temporären Existenzformen in Grenzgebieten erinnert.

 

Corn Island George Ovashvili

"Corn Island", George Ovashvili

Flapping in the Middle of Nowhere Diep Huang Nguyen

"Flapping in the Middle of Nowhere", Diep Huang Nguyen

 

Als ein rätselumranktes Werk lässt sich zu Recht auch der vietnamesische Beitrag im Wettbewerbprogramm bezeichnen. Diep Huang Nguyen kontrastiert in irritierender Weise in ihrem Werk «Flapping in the Middle of Nowhere» (Dap cánh giua không trung) ein psychosozial realistisch gezeichnetes Prostitutionsmilieu mit surrealen Bildfolgen. Auf der einen Seite lebt die von ihrem aggressiven, egoistischen Freund geschwängerte junge Huyen in einem No-Future Umgebung täglichen Überlebens. Bleibt am Rande zu notieren, dass Diep Huang Nguyen in diesem destruktiven Milieu die weiblichen Prostituierenden als durchaus sensible, gar mit verspielter Scherzlust agierende Frauen zeigt. Die Scharnierfigur zu einer anderen Welt dagegen ist Huyens transsexuelle Freundin. Sie bringt die verunsicherte, ihre Abtreibung immer wieder hinaus zögernde Huyen mit einem Mann in Kontakt, der sie mit Respekt und Einfühlsamkeit behandelt und ihr doch gänzlich fremd bleibt.

Der von ihrer Schwangerschaft Faszinierte lädt sie in ein abgeschiedenes Haus, wo er umgeben von Mortalität signalisierenden Skulpturen und einer Grossleinwand, der das im Uterus entstehende Leben zeigt, einen Teil seiner Tage verbringt. Umgeben von Symbolen eines luxuriösen Lebens erscheint und schwindet diese mit der Aura des Mythologischen ausgestattete Figur, ohne ihr Begehren zu deklarieren. Angesichts dieser beiden Welten muss Huyen ihre Entscheidung um ihr zukünftiges Leben allein finden. Nguyen reifer, nuancenreicher Film beeindruckt durch seine contrapunktuelle Gestaltung unterschiedlichster Atmosphären und Wirklichkeiten.

The Valley Ghassan Salhab

"The Valley", Ghassan Salhab

 

Eine zweigespaltete Wirklichkeit ist ebenfalls die Grundstruktur in Ghassan Salhab «The Valley» (Libanon, Deutschland, Frankreich, Quatar). Umgeben von Einöde, situiert irgendwo im Libanon, arbeiten eine handvoll Personen an der Erstellung von Drogen. Ihre Isolation wird gestört durch ein Mann, der nach einem Wagenunfall umherirrt und offensichtlich sein Gedächtnis verlor. Verletzt wird der Erinnerungslose ein mit Misstrauen Behandelte ein Mitbewohner auf Zeit. Mit karger Kommunikation auskommend werden all diese Protagonisten kaum mit einem individualisierten Profil versehen. Auch ihre Vergangenheit bleibt im Dunklen. Politische Realität dringt nur durch hin und wieder durch Radioprogramme in diese Isolation. Dagegen markiert Salhab diese Welt mit sich nicht zu klaren Bedeutungen fügenden Zeichen, wie vom Himmel fallende Vögel, ein von der Kamera gestreiften Renaissancegemälde die Verkündigung Christi darstellend, ein herumirrender, herrenloser Esel… 

Auch Überblendungstechniken schaffen für Sekunden Fremdbilder, die in diesen artifiziellen Raum dringen. Lediglich zweiAktionslinien sind in diesem nahezu  stillstehenden Ambiente zu bemerken. Der Erinnerungslose beginnt sich an Liebeslieder seiner Vergangenheit zu erinnern, sowie an den Grund, in diese unwirtliche Zone zurückgekehrt zu sein, in der er nun ein doppelt Entfremdeter ist, sich selbst wie seiner bedrohlichen Umgebung gegenüber. Eine der Drogenhändlerinnen bedient sich seines gefesselten Körpers als Malfläche. Die eigentliche Aktion jedoch kommt aus dem fern bleibenden Aussenraum. Hier mehren sich apokalyptische Vorzeichen. Vorbeifliehende treten für Sekunden ins Bild. Einer unter ihnen spricht vom Untergang des nahen Ostens, ein anderer berichtet, dass ganz Beirut zerstört sei. Dutzende Kampfjets, die über das Szenarium jagen, sowie im Hintergrund sichtbaren Bombeneinschläge verleihen diesen Stimmen Glaubwürdigkeit. Die Dealergruppe muss sich zerstreuen. Ihr Fluchtweg führt über verlassene Ortschaften. Das Ende bleibt offen. Salhabs Film ist als offene Metapher komponiert, als Reflektion über ein Überleben in apokalyptischen Zeiten, markiert durch verlorene Erinnerung, Selbstfremdheit, Kommunikationslosigkeit und leer laufendes Begehren.

Ein superbes Beispiel gelingender Kommunikation dagegen zeigen Mania Akbari (Iran, Grossbritannien) und Mark Cousins (Grossbritannien) in «Life May Be». Ausgangspunkt ist ein langer, brillanter, anspielungsreicher Brief Cousins an Akbari, eine subtile, aber auch fragende Würdigung ihres bisherigen Filmschaffens. Der Schriftsteller, Filmkritiker, und Filmemacher Cousins, bekannt durch seine originellen Durchstreifungen der Filmgeschichte - A Story of Children and Film (2013), What is this Film Called Love (2012) und das 15-Stunden Werk «The Story of Film : An Odyssee» (2011) - berührt die gleichfalls mit Referenzen, Anspielungen, Metaphern und Allegorien arbeitende Mania - siehe den Dokumentarfilm ihrer nun in Toronto lebenden Schwester Roya Akbari : «Dancing Mania» (2012) - spirituell und emotional. So beginnt ein poetisch assoziativer, mit Reiseimpressionen angereicherter Austausch, der politische und kulturhistorische Fragen ebenso streift wie persönliche Ängste und Hoffnungen, der den Zuschauer in einen Rausch begehrenswerten Wissens und Lebens versetzt.

 

Life May Be  Mania Akbari, Mark Cousin

"Life May Be", Mania Akbari, Mark Cousin

Von Anfang an vollzieht sich ihre Kommunikation gleichzeitig audiovisuell. Kurze Filmsequenzen und Photos werden hin und her geschickt und begleiten ihre Texte. Sie verleihen dem Film einen nervösen, unruhigen, fordernden und suchenden Rhythmus, der den Stand der Dinge zwischen den Kulturen befragt und nach Lebensmöglichkeiten sucht. Ein durchgehendes Thema ist die Darstellung des weiblichen Körpers mit seinen Tabus und Stereotypen bis in die heutige Zeit. Akbari erkundet, inspiriert durch den Dialog, neue Wege, ihrem eigenen Körper zu evozieren und zu kommunizieren. «Life May Be» fällt in eine Umbruchsphase ihres Lebens. 2012 verliess sie den Iran mit einem unvollendeten Film und begann sich im Londoner Umfeld neu zu orientieren. Gleichzeitig war sie gefordert, sich mit ihrer Krebserkrankung auseinander zu setzen. «Life May Be» kann als einer der wohl gelungensten und beeindruckensten Dialogfilme der Filmgeschichte gelten. Im assoziativ interkulturellen Vergleich liegt eine befreiende Kraft, das scheinbar Fatale zu relativieren erlaubt. Der Film lädt den Zuschauer ein, teilzuhaben an der Genese der Kreativität durch wirklichen Dialog.

Taxi Jafa Panahi

 

 

Auch das in Berlin mit dem Goldenen Bären gekürte Werk «Taxi» des nach wie vor im Iran lebenden, mit Filmverbot gestraften Jafa Panahi fand Eingang in Fribourgs Wettbewerb. Gedreht ausschliesslich im Innenraum eines Privatfahrzeugs erinnert sein Film natürlich an das bahnbrechende Werk «Ten» Abbas Kiarostamis. Allerdings fokussierte Kiarostami alle Dialoge auf die Frage nach dem Status der Frau in der gegenwärtigen islamischen Gesellschaft. Die unterschiedlichsten Frauen spielten während der Fahrt dieses Thema durch, einschliesslich des Sohnes einer Mutter, die sich nur durch eine Lüge von ihrem Mann hatte scheiden können. In Panahis Film ist die Palette der Themen und Mitfahrer wesentlich weiter angelegt. Ein Strassendieb, eine Religiöse, ein Händler, eine Juristin, ein Strassenhändler, eine Schülerin und ein Filmenthusiasten werfen neben anderen ihren jeweils persönlichen Blick auf den Stand der Dinge im Iran.

Der Film ist als Dokumentarfiktion gedreht, der zufälliges Geschehen einfängt, einschliesslich des den Film beendeten Raubes der Filmkamera. Doch die Präzision der Einstellungen und Dialoge lässt die reale Regie erkennen. Brillant in Form und Inhalt wirkt der Film jederzeit erfrischend trotz seiner eingeschränkten Optik. Das Lebensgefühl im heutigen Iran, vor allem jedoch die des überwachten Panahis wird durch die enge Perspektive jedoch meisterhaft evoziert. Trotz allem jedoch setzt sich Panahi hier als ungebrochener, humorvoll agierender Künstler ins Bild, der sich nicht zwingen lässt, seine Kunst zu lassen. «Taxi» ist ein brillantes Werk des Widerstandes.

Zwei weitere überaus bemerkenswerte Werke bereichten den Wettbewerb. Der aus Kazakstan kommende Film  «The Owners»  Adilkhan Yerzhanos (siehe Besprechung:
http://www.xxxinterferencexxx.com/festival_2014_11_Stockholms_Wieczorek.html
und July Jungs (Südkorea) «Girl at My Door» (siehe Besprechung:
http://www.xxxinterferencexxx.com/festival_2014_05_Cannes_02_regard.html.

Der entstellende Blick auf die fremde Kultur

Ein dokumentarischer Programmblock war dem Schicksal nordamerikanischen und kanadischer Ureinwohner und deren Repräsentation im Film gewidmet. Einen präzisen Einstieg zur Thematik bot Neil Diamonds «Reel Injun», der die verschiedenen historischen Schnitte der Repräsentationsformen von «Indianern» in Hollywoods Kino analysiert. Von romantischer Bewunderung zur Inkarnation des Barbarischen, über Etappen beginnender Selbstdarstellung, jedoch immer noch gefangen in Mustern des un-amerikanischen Unterhaltungsfilms, konnte sich erst in allerletzter Zeit ein Filmtyp etablieren, der eine authentische Form der Darstellung der Problematik der Einheimischen in Eigenregie darstellt. Hierfür ist Zachaias Kunuks «Atanarjuat: The Fast Runner» das wohl bemerkenswerteste Beispiel.

 

Reel Injuin Neil Diamond

"Reel Injuin", Neil Diamond

Gleich drei Dokumentarfilme der aus Kanada angereisten Alanis Obomsawin, die einen Teil ihrer Kindheit in den Reservaten verbrachte, fanden Eingang in das Fribourger Programm. «Kanehsatake: 270 Years of Resistance» (1993) resümiert die aggressive und entwürdigende Behandlung der Urbevölkerung durch die kanadischen «Okkupatoren» bis heute. Die Geschichte der Entmündigung begann mit der Ausnutzung von Rechtslücken. Gegenüber Analphabeten war es ein Leichtes, sich ihr Land anzueignen, um selbst heute noch das Recht zu haben, etwa eine historische Begräbnisstätte der Muhawks in einen Golfplatz zu verwandeln. Selbst das Militär greift ein, um die Bevölkerung und die anreisenden Sympathisanten abzuschirmen und die Nahrungszufuhr zu der eingepferchten Widerstandsgruppe zu reduzieren. Ältere Muhawks, Frauen und Kinder, die dem Druck der Gewalt durch Polizei- und Militär entfliehen wollen, werden von den kanadischen Anwohnern mit Steinen beworfen. Die ausharrenden Männer selbst werden, wo immer möglich, geschlagen, wenn nicht gefoltert. Bis heute, so zeigt Obomsawins «Hi-Ho Mistahey!» (2013), müssen diese Entmachteten selbst darum kämpfen, eine Schule zu haben, in der ihre Sprache respektiert wird. Erst der Anruf  der Vereinten Nationen in Genf bringt Bewegung in dieses Machtspiel zwischen Ungleichen. 

Syrien : Outlooks to Hell

Everday Life in a Syrian Village Omar Amiralay

"Everday Life in a Syrian Village", Omar Amiralay

 

Nach seinem vorjährigen Themenschwerpunkt Irak, dessen Filmauswahl von weiteren internationalen Festivals aufgegriffen wurde, widmete sich dieses Jahr das Fribourger Festival dem ebenso brisanten Thema Syrien in einem seiner Schwerpunktprogramme. Die signifikanten Arbeiten der letzten Jahre wurden hier zusammengetragen, ergänzt durch das historische Schlüsselwerk «Everyday Life in a Syrian Village» (Al hayatt al yawmiyah fi quariah suriyah) von Omar Amiralay aus dem Jahr 1976, die bereits weitgreifende Spannung zwischen der Landbevölkerung und den Machthabern konstatiert.Als das Werk, das exemplarisch und mit beeindruckender Luzidität den Prozess der Desillusionierung des euphorisch und unter pazifistischen Vorzeichen beginnenden rebellischen Widerstands gegen das Assad-Regime hin zu einer zunehmenden Militarisierung bis zur kompletten Destruktion des Lebensraumes dokumentiert, kann Talal Derkis «Return to Holms» (Al Awda ila Hims) (Syrien, Deutschland / 2013) gelten.

In einer der wohl scherzhaftesten Szenen erscheint ein junger Rebell, einstiger Nationaltorhüter, der selbst nach dem Verlust vieler seiner Freunde und Mitkämpfer, schwer verletzt auf dem Krankenbett liegend, die Fortdauer des Kampfes beschwört, damit nicht alles vergeblich gewesen sei. Derkis folgt den Widerstandskämpfern, die selbst nachdem ihnen die Flucht aus Holms gelang, sich für eine Rückkehr in die Hölle entscheiden, um den noch lebenden Familien zur Seite zu stehen. Derkis zeigt einen totalen Zerstörungskrieg ohne Grenzen und Innehalten aus der Sicht der einstigen Idealisten. Er ist Teil dieser Freundesgruppe und filmt an vorderster Front, in Nahansicht.

«The Immortal Sergeant» (Al-Rakib Al-Khaled) (Libanon / 2014) Ziad Kalhoums reflektiert die zunehmende Destruktion und Orientierungslosigkeit vornehmlich durch Dialoge mit den Teilnehmern eines noch während des anhaltenden Krieges arbeitenden Filmteams. Der Regisseur, Reservist und in militärischer Pflicht, filmt mit seiner Handkamera vor allem oppositionelle und verängstigten Stimmen, während die Dreharbeiten im Minutentakt durch den Lärm der Kampfflugzeuge unterbrochen werden. Die Kameraführung lässt Desorientierung auch durch nicht fixierende Bilder und schweifende insignifikante Schwenks spürbar werden.

Mehr orientiert am persönlichen Schicksal einer der historischen Figuren des syrischen Widerstandes, Yassine Haj Saleh, der Mann, der 16 Jahre in Assad Gefängnissen einsass und selbst danach noch insistierte, im Land zu bleiben, da er glaubte, nur so Veränderungen realisieren zu können. Doch die doppelte Gefahr einerseits der militärischen Einsätze des Regimes, andererseits des Vorrückens des extremen Islamismus zwingen ihn schliesslich zu einer beschwerlichen Flucht durch Wüstengelände und über riskante Grenzen hinweg bis nach Istanbul. Ziad Hosmis und Mohammad Ali Atassis Film «Our Terrible Country» (Baladna Alraheeb) (Syrien, Libanon / 2014) konzentriert sich auf die physischen und physischen Grenzsituationen seiner Protagonisten, allen voran die des Intellektuellen und Schriftsteller Saleh, der selbst nachdem Foltern ihn nicht brachen, sein Ideal aufgeben muss.

 

Our Terrible Country Ziad Hosmi, Mohammad Ali Atassi

"Our Terrible Country", Ziad Hosmi, Mohammad Ali Atassi

Es bleibt die Sorge um die Zurückgelassenen. Hosmis und Atassis zeigen die Ängste der am Ort ausharrenden Familien. Auch die innere Problematik des jungen Wegbegleiters Salehs, ein Fotograph, der sich von seiner Familie trennte, um seinem grossen Vorbild auf der Flucht hilfreich zu sein, wird sichtbar. Eskalierende Gewalt triumphiert über jede Hoffnung auf intellektuellen und politischen Widerstand. Auch in ihrem Werk bleibt die Kamera in Nahansicht hautnah an den Geschehnissen. Es gibt kein Panorama des Überblickes mehr.

Flucht, Aufgabe alles bisherigen Lebens, aller Erinnerungen und Beziehungen, ist Thema auch in Liwaa Yazjis Werk «Haunted» (Maskoon) (Deutschland, Syrien, Libanon / 2014). Was tun, wenn der Wohnraum zur Ruine wird, durchlöcherte Hauswände sich in öffentliche Verkehrswege transformieren, die genutzt werden, um Snippern zu entgehen? Selbst eine mögliche Flucht ist ein emotionaler Spagat, da sie  noch möglich ist in Richtung Golanhöhen, hin zur israelischen Grenze. Diese Grenzsituationen werden in Yazjis Erstlingswerk aus der Perspektive von neun Personen geschildert, die vor anhaltenden Schusswechseln im Hintergrund, mit ihren Zweifeln und Reflexionen zu Wort kommen.

Im Fribourger Syrienpanorama fehlte auch ein Beitrag aus dem Umfeld der Protegierten des  Regimes nicht. Eine junge, dort situierte Syrerin wird von zunehmenden Zweifeln geplagt. Sie beginnt nicht nur heimlich Protestlieder zu schreiben und zu komponieren, sondern diese auch ins Internet hochzuladen. Ihre poetischen und schlichten Texte, die vor allem Mitleiden und eine unparteiische Vernunft zum Ausdruck bringen,  finden schnell Zuspruch von allen nicht ideologisierten Seiten. Sie wird zur Symbolfigur eines Widerstandes jenseits der Lager. Dieser isolierte Kampf gegen die Barbarei ist Thema in Deira Salmas und Rola Ladqanis «Morning Fears, Night Chants» (Sabahan Akhaff Masa’an Ughani) (Syrien / 2013).

Everday Life in a Syrian Village Omar Amiralay

"Silvered Water, Syria Self-Portrait", Ossama Mohammad, Wiam Bedirxan

 

Als ein Versuch, Form, Worte und angemessene Bilder angesichts der manifesten animalischer Grausamkeiten - dokumentiert durch anhaltende Folterszenen - zu finden, ist Ossama Mohammads und Wiam Bedirxans bereits in Cannes präsentierten Werk «Silvered Water, Syria Self-Portrait» (Frankreich, Syrien) zu werten. Mohammad zitiert eine Fülle von anonymen und oftmals keine Ortsangaben enthaltende Rohmaterialien aus erster Hand, die auf Youtube zirkulieren. Diese ungeschulte Bildsprache, durch Montage verdichtet, scheint ihm die angemessenste Form, die kollektive Entmenschlichung einzufangen. Im zweiten Teil kommt der im Pariser Exil Lebende mit der kurdischen jungen Frau Wiam Bedirxan ins Gespräch, die mit ihm Kontakt aufnahm, anfragend, welche Bilder er aufzeichnen würde, wäre er noch am Ort. Diese Frau verblieb auf eigene Faust und getrennt von ihrer Familie von 2011-2014 in Homs. Im Off erklingt ihr einsetzender, durch traumatische Poesie gekennzeichneter Dialog. Wie ist zu sprechen mit einer Todgeweihten?

Mohammad sucht durch Klangbeigaben, oftmals Gesänge vereinzelter Stimmen, sowie durch Reflexionen über seine gegenwärtige problematische und ambivalente Flüchtlingssituation zwischen An- und Abwesenheit, die im Off eingespielt wird, einen Weg zu finden, das nicht darstellbare Desaster durch Form und Struktur zu evozieren. Einerseits anonyme Youtube-Sequenzen, andererseits die unter Lebensgefahr entstandene Aufnahmen Bedirxans sowie Szenen aus der Pariser Metro und Cannes fliessen zusammen, auch um über den Abgrund zwischen inkompatiblen Wirklichkeiten zu reflektieren.

Ossama Mohammads brachte darüber hinaus eine Serie anonymer, kurzer Beiträge, direkt dem Youtube entnommen und unkommentiert, nach Fribourg. Einer davon, betitelt Frontline, immer noch auf Youtube zu finden, zeigt eine Snipper bei seiner Arbeit, der gleichzeitig mit seiner Mutter per Handy über Morgengebete plaudert und einem ihn Befragenden, der gleichfalls anonym bleibt, gesteht, dass ihm seine Opfer eigentlich leid tun, haben doch auch sie eine menschliche Seele.

Syrien ist das heute wohl sichtbarste Opfer der Weltpolitik, abgeschnitten von jeder realen Hilfe, selbst wenn sie möglich wäre, ein Land, das von innen abstirbt, mit einer millionenfach in die Diaspora getrieben Bevölkerung, Ort eines langsamen und unaufhaltbaren Genozids.. Ein Filmfestival kann nur daran erinnern. Ein verantwortliches Festival sollte es. Fribourg tat es rouge

 

 

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29. INT FILM FESTIVAL FRIBOURG

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21 - 28 / 03 / 2015

Fribourg Film Festival

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