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pxrouge FESTIVAL REVIEWS I CLERMONT-FERRANT 37. FESTIVAL DU COURT METRAGE 2015 I VON DIETER WIECZOREK I 2015

Das Festival des Kurzfilms Clermont-Ferrand 2015


Die kurzen Formate finden ihr zahlreiches Publikum

 

VON DIETER WIECZOREK

"Sieben Mal am Tag beklagen wir unser Los und nachts stehen wir auf, um nicht zu träumen”, Susann Hempel

Sieben Mal am Tag beklagen wir unser Los und nachts stehen wir auf, um nicht zu träumen

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Es ist und bleibt ein Phänomen: wo an andere Orten Institutionen und Kinobesitzer zögern und zweifeln, ob das Publikum für die stets im Schatten es Spielfilms stehenden kurzen Formate genügend Interesse aufbringt, da wird in Clermont-Ferrand souverän jedes Jahr aufs Neue demonstriert, dass es durchaus möglich ist, selbst ein mehr als Hunderttausendköpfiges Publikum zu mobilisieren, noch dazu ein aktives, das sich mit Schreibzeug versieht, Notizen macht und Filme passioniert diskutiert. Für das Antworten suchende Publikum schafft das Festival zusätzlich jeden Tag eine Begegnungsplattform mit den im Wettbewerb vertretenen Filmemachern. Die zur Verfügung stehenden Mittel erlaubt es dem Clermont-Ferrand-Team, mehrere hunderte aus allen Weltteilen kommenden Gäste einzuladen.

Um sich in dieser komfortablen Situation zu befinden war selbstredend eine jahrzehntelange, aktive Kulturpolitik Vorbedingung, die eine Integration vieler lokaler Einrichtungen, vor allen der Schulen und Universitäten, vorantrieb. Schulungskurse, ein beeindruckendes Filmarchiv, umsichtiges Werben um ehrenamtliche Mitarbeiter und schliesslich die motivierende  Möglichkeit, selbst Verantwortung zu übernehmen als Mitglied einer der vielen das Festival begleitenden lokalen Jurys waren wichtige Elemente, um ein solches weltweit wohl einmaliges Festival zu ermöglichen und zur weitflächigen Akzeptanz zu verhelfen. Die gastfreundliche, weltoffene Atmosphäre der südfranzösischen Stadt Clermont-Ferrand trägt das ihre dazu bei, eine dialogfreudige Atmosphäre zu schaffen.

So entstand in Clermont die weltweit grösste Plattform des Kurzfilmes samt seines Markts, wobei “Markt” sofort in Anführungszeichen zu setzen ist, denn Profit lässt sich - glücklicherweise - mit dem Kurzfilm kaum machen. Gerade deshalb können kulturelle Werte und Engagement hier umso ungestörter von kommerziellen Kalkulationen reüssieren. Wenn über vier Tage die Professionellen sich in einem gastronomisch grosszügigen, sich gegenseitig einladenden Ambiente zusammenfinden, gibt dies vor allem den Vertretern der einzelner Nationen die Möglichkeit, ihre “Best Ofs” vorzustellen, mit dem Ziel, sie auf mögliche Weltreisen zu schicken. Als einziges B-Moll anzumerken ist, dass experimentellere, weniger an Emotionen und Plausibilitäten appellierende Kurzfilme hier weniger zu finden sind. Dafür zeichnen sich eine Vielzahl der filmischen Werke durch (selbst-)kritische Positionen, Konfrontationen und Provokationen, die eigene Nation mit einbeziehend aus. Auf diese Weise schaffen sie wirkliche Kommunikationsangebote. Gerade diese stellen den kulturell entscheidenden und unersetzbaren Effekt der weltweiten Kurzfilmproduktion dar. So trifft man in Clermont-Ferrand auf Situationen, die wohl einmalig sind, etwa die unmittelbar benachbarten Informationsstände des Iran und Israels. Wie selbstverständlich hilft man sich hier aus bei kleinen praktischen Problemen. Die Kurzfilmwelt als Utopie einer funktionierenden Weltkulturgemeinschaft, hier kann man einen Hauch davon erleben. Allabendliche Einladungen der Filmmacher zum Umtrunk, von einzelnen Institutionen veranstaltete Partys, Ausstellungen und Konzerte bereichern zusätzlich das Angebot dieser Begegnungsstätte.

Dem chinesischen Kurzfilm wurde 2015 das unfangreichste Nebenprogramm gewidmet. Gleich sechs Programme resümieren hervorzuhebende Werke der letzten Jahre. In weiteren zwei Programmen setzt Clermont seine Werkschau afrikanischer Arbeiten fort, jenes Kontinents folglich, der an Subventionsleistungen der benachteiligste ist. So verwundert es nicht, dass die meisten der hier vorgestellten Arbeiten nur mit Hilfe französischer Kollaboration haben entstehen können. Gespannt wartet die Filmwelt auf den Moment, wo “Afrika” seine eigene, unabhängige Filmsprache entwickeln wird.

Die Hauptkonzentration liegt natürlich auf den drei Wettbewerbsprogrammen, dem internationalen (14 Programme), dem nationalen (12 Programme) sowie der “Labo” betitelte Sektion, die vorwiegend experimentellere Arbeiten anbietet (5 Programme).

Hervorzuheben im internationalen Programm ist der aus Singapur kommende Film “Not Working Today”  Shijie Tans. Als Immigrant praktisch rechtlos gelingt es einem jungen Mann kaum, seinen Arbeitsplatz auch nur für kurze Zeit verlassen zu können, um eine Arzt zu konsultieren. Demütigungen und ausbeuterischer Arbeitsdruck bestimmen seinen perspektivelosen Alltag. Das sexuelle Desaster westlicher Zivilisation wird auf den Punkt gebracht im schwedischen Beitrag Jens Assurs “Hot Nasty Ten”. Assur verfolgt die Abrichtung einer jungen Frau unter den Vorzeichen ”väterlich-freundschaftlicher” Obhut zur Prostituierten, ein Prozess, der schliesslich in einer Eruption von Gewalt enden wird. Soziales Elend in Russland ist Grundton Gala Sukhanovas Film “Inspektion”. Um die Trennung von ihrer Mutter und die Abschiebung in ein Internat zu vermeiden, simuliert die junge Tochter einer schwer alkoholisierten Mutter für die inspizierenden Beamten mit viel Poesie und Phantasie eine heile Welt, mit dem Ziel, den wahren Zustand ihrer Mutter zu kaschieren. Sukhanova lässt gleichzeitig das Unbehagen der mit Zweifeln an ihren eigenen Möglichkeiten konfrontierten Beamten anklingen, die der Jugendliche eigentlich nichts wirklich Wünschbares zu bieten haben.

Sieben Mal am Tag beklagen wir unser Los und nachts stehen wir auf, um nicht zu träumen

"Sieben Mal am Tag beklagen wir unser Los und nachts stehen wir auf, um nicht zu träumen", Susan Hempel

rougerouge Trailer : https://youtu.be/w6hdSDXFnJY


 

Gleich drei bemerkenswerte, (experimentell-) dokumentarische Werke fanden in diesem Jahr Eingang in die Labo-Sektion. Der überaus originelle und eindringliche deutsche Film “Sieben Mal am Tag beklagen wir unser Los und nachts stehen wir auf, um nicht zu träumen” Susann Hempels illustriert die schockierenden Erfahrungen einer traumatisierten Kranken mit einem visuellen Bewegungstableau, das an Höllenphantasien Hieronymus Boschs und Pieter Bruegels erinnert. Im Off berichtet eine in der ländlichen DDR lebende Frau von einer misslingenden, ihren Körper für immer verstümmelnden chirurgischen Intervention, von erlittenem Missbrauch als Sexualobjekt wie auch von ihrem verzweifelten, von Alpträumen geprägten Überlebenskampf. Die Beobachtungen ihrer unmittelbaren Umgebung verdichten sich zu einem erstickenden, geschlossenen Kosmos der Perversionen.

In der grossbritisch-ungarischen Koproduktion “S” Richárd Hajdús berichtet eine junge Prostituierte und der sie ausbeutende Zuhälter von ihrem gemeinsamen Alltag. Die junge Frau berührt durch ihre Zukunftshoffnungen, die Sorge um ihre Tochter und ihren Wunsch nach einem normalen Familienleben. Lapidar wird am Ende dieses eher hoffnungsorientierten Porträts die Nachricht über ihre Ermordung eingeblendet.

 

Onder Us

“Unter uns” (Onder Us), Guido Hendrikx


rougerouge Trailer : https://vimeo.com/114554013


 

Ins Zentrum des Nicht-Tolerierbaren unserer Gesellschaften begibt sich Guido Hendrikx in “Unter uns” (Onder Us). Der Niederländer gibt den unter pädophilen Lüsten Leidenden selbst das Wort, um über ihren inneren Zustand, ihre Versuche der Selbstdisziplinierung, aber auch über ihre Hoffnungen und Träume Auskunft zu geben. “Unter uns” ist ein überaus wichtiger Beitrag zum Verständnis der von Medien und “öffentlicher” Meinung am Härtesten attackierten Randgruppe, die beachtlicherweise noch weit mehr unter Beschuss genommen wird als Folterer oder Mörder, seinen sie durch “Auftrag legitimiert“ oder nicht.


In franzosischen Wettbewerb bestach durch seine enigmatisch offene Struktur Christopher Radcliffs “Jonathan’s Chest”. In der us-amerikanischen Koproduktion, deren Geschichte situiert ist im wohlhabenden, us-amerikanischen Mittelschichtsmilieu, geht es um ein umgreifendes Unbehagen als Reaktion auf ein tabuisiertes Familiengeheimnis. Der jugendliche Sohn einer Kleinfamilie wird eines Nachts von seinem verloren geglaubten Bruder aufgesucht, der vor Jahren unter rätselhaften Umständen verschwand. Der kurzfristige Heimkehrer warnt seinen Bruder, ruft ihn zur gemeinsamen Flucht auf, will er nicht das gleiche Schicksal erleiden wie er selbst. Der gewarnte junge Mann zögert. Doch bereits am nächsten Morgen ist das bisher unbezweifelte Tableau familiärer Idylle, das er wie unverändert vorfindet, für ihn für immer zerbrochen und zur abgesprochenen Inszenierung degradiert. Radcliff verdichtet das traumatische Zusammenbrechen von Normalität, unter welchen Umständen auch immer, in überzeugender Weise in seinem 15-minütigen Film. Eine Welt kollabiert über Nacht. Der Film lässt bewusst offen, ob es sich bei der nächtlichen Begegnung um Traum oder Realität handelt. Für die Selbstwahrnehmung ist diese Grenze inexistent. Sie trägt die Struktur religiöser Schlüsselerfahrung, Erscheinung genannt.

 

 

 

 

Jonathans Chest  Christopher Radcliff

"Jonathan’s Chest", Christopher Radcliff


rougerouge Trailer : https://vimeo.com/83513716

 

 

 

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37. FESTIVAL DU COURT METRAGE CLERMONT-FERRANT

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30 / 01 - 07 / 02 / 2014

Festival du court metrage Clermont-Ferrand
Festival du court metrage Clermont-Ferrand
 

 

Festival du court metrage Clermont-Ferrand

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