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pxrouge FESTIVAL REVIEWS I 57. DOK LEIPZIG FESTIVAL I VON DIETER WIECZOREKI 2014

Das Dok Festival in Leipzig

Geselligkeit und Realkonfrontation
– ein Erfolgskonzept

 

 

 

von Dieter Wieczorek

"Citizenfour" Laura Poitras

Dok Leipzig Festival

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Das Dok Festival in Leipzig hat sich in den letzten Jahren unaufhaltsam an die Spitze der weltweit wichtigsten Dokumentarfestivals vorgearbeitet. Dabei hat es den Charme eines jungen Festivals beibehalten, das sich nicht in Selbstverständlichkeiten badet und keine “Professionalität” im schlechten Sinn in Szene setzt, sprich, es vermieden hat, seine Organisation nach den Vorgaben der funktionellen Vermarktung auszurichten. Hier werden die Festivalteilnehmer noch nicht artifiziell in Interessengruppen getrennt. Presse, Produzenten, Filmemacher, Verleihern, Filmteams und einfache Filmenthusiasten finden hier tägliche Begegnungsstätten, sei es in allen zugänglichen Cafes, sei es in Form von nächtlichen Festen. Auch Diskussionen werden in umfassender Weise angeboten. Die kuren Dialogwechsel unmittelbar nach der Filmprojektion werden ergänzt durch tägliche organisierte Diskussionen über spezifische Filme in Anwesenheit der Filmschaffenden.

Eine gut funktioniert Video-Library zur Filmsichtung und tägliche Einladungen zum Umtrunk, organisiert von jahrelangen Partners, wie etwa dem Goethe Institut, tragen das ihre dazu bei, dass sich hier eine angenehme Atmosphäre des Austausches entwickeln kann, jenseits kommerzieller Interesseorientierungen.

Die Dokumentarprogramme des Festivals bieten neben einer umfangreichen internationalen Filmssichtung vier Wettbewerbe: der deutsche und internationale, sowie der des kurze Dokumentarfilme und  des “Jungen Kinos”. Daneben werden Werkschauen geboten, wie dieses Jahr eine Shelly Silver (USA) gewidmete. Die Animationfilmsektion des Festivals bietet ein weiteres Wettbewerbsprogramm, eine Werkschau aus aller Welt, sowie ein es besonders auf den deutschen Animationsfilm ausgerichtetes Programm. Daneben zeigt das Festival weitere “Spezial Programs”.

Dok Leipzig Festival

"Drawing a Line" Gerd Kroske

 

Im Deutschen Dokumentarfilm-Wettbewerb hervorzuheben ist ein aufschlussreiches Porträt eines in der DDR heranwachsenden Rebellen, der einst den Fehler machte zu glauben, er könne zu seinem leichten Vorteil mit der Stasi ein Bündnis schliessen. Schon bald darauf sieht sich unter Druck, seine Freunde verraten zu müssen. Viele Jahre später, in Zeiten des wieder vereinigten Deutschlands, kommt es zu einer Begegnung mit dem Bruder. Der aus dem Verrat resultierende Spagat aus Verdrängung, Selbstbeschönigung und Selbstzweifel wird von Gerd Kroske in “Striche ziehen” (Drawing a Line) hautnah nachgezeichnet. Die schwierige Annähung zwischen den Brüdern, die die Erfahrung des anderen nicht nachvollziehen können, bildet den roten Faden dieses Werkes, das auch vielen Stimmen, von ehemaligen Grenzbeamten hin zu anderen Aufsässigen, Raum gibt. Kroske macht spürbar, wie die auf dem Unausgesprochenen aufruhenden Konflikte immer noch aktuell sind, wie ebenso der Schatten einer Mauer, die Kroske - nicht unbedingt notwendig - sich nicht scheut mit der Israelisch-Palästinensischen in Beziehung zu setzen.

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Die ebenfalls im deutschen Wettbewerb gezeugte französische Koproduktion “No Land’s Song” von Ayat Najafi thematisiert den Stand der Dinge im aktuellen Iran, fokussiert auf die enormen Schwierigkeiten, der künstlerisch Freiheit ein wenig Raum zu verschaffen. Da Frauengesang z. Z. im Iran als verführerisch klassifiziert ist, wird er aus dem öffentlichen Raum strikt verbannt. Trotzdem macht sich eine Musikergruppe, in der französische und iranische Talente zusammen treffen, daran, das Unmögliche möglich zu machen? Sie erinnern an die geschichtlich kulturelle Bedeutung des weiblichen Gesangs im Iran und zugleich an die von Frauen etablierte, andere, weisere Weltsicht, die sich in ihrem Gesang manifestiert. Schritt für Schritt zeichnet Najafi die Hoffnungen und Enttäuschungen nach, die Hilfestellungen und Anfeindungen aller Art. Die eingefangenen Reaktionen des Publikums beim schliesslich doch stattfindenden Konzert waren gewiss einer der hoffnungsvoll stimmenden audiovisuellen Momente des Festivals.

 

Dok Leipzig Festival

"No Land's Song" Ayat Najafi

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Im “Wettbewerb für junges Kino” verblüffte Ella Raidel mit “Double Happiness”. Die Österreicherin zeigt das merkwürdige Phänomen, wie im Rahmen des ungeheuren chinesischen Baubooms auch ganze europäische Ortschaften Zentimeter für Zentimeter kopiert und in China als Simulakrum platziert werden. So erging es der Ortschaft Hallstatt. Das idyllische Städtchen wurde über Wochen in seinen Innen- und Aussenräumen von dezenten Chinesen vermessen, und es dauerte nicht allzu lange, das spazierten Chinesen in China durch dieses geklonte Ambiente, eine Erfahrung suchend, die eigentlich ihrer Kultur fremd ist. Raidel lässt zweifelnde chinesische Architekten zu Wort kommen, die  in diesen plumpen Kopien nur eine umgreifende Ratlosigkeit erkennen können, typisch für ein Land, markiert durch eine sich zu schnell transformierenden Wirklichkeit, das keine Integrationsarbeit der eigenen Kultur mehr leisten kann. Doch auch die europäische Kultur erleidet den Schock ihrer Reproduzierbarkeit und tritt ein in die Ära der simplen Austauschbarkeit in Zeiten perfektionierter Virtualität.

 

Dok Leipzig Festival

"Double Happiness" Ella Raidel

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Dok Leipzig Festival

"Desert Haze" Sofie Benoot

 

Sofie Benoot dekonstruiert die auf dem Gründer-Mythos aufruhende US-Kultur in “Desert Haze”. Sie kehrt in die Wüste des mittleren Westens zurück und beobachtet neben den sich mit nationalen Symbolen umgebenden US-Amerikanern ganz andere, die Trachten und Riten ihrer Herkunftsländer zelebrieren. Sie zeigt Zugereiste, wie etwa ein Japaner, der den Songs des (wilden) Westens folgte, Wissenschaftler, die ihre Marserkundung proben und indianische Einheimische, die der Filmemacherin die letzten Spuren ihrer systematisch ausgelöschten Kultur zeigen, aber ihre heiligen Stätten und Berge nie vergessen haben. Selbstredend kommt die Rede auch auf die Tests atomarer Bomben, die ganze Wüstenflächen bis heute verseuchen und Vielen das Leben kostete, die hier ohne Warnung agierten, wie etwa die Schauspieler klassischer Western, John Wayne eingeschlossen. Das Desaster der menschlichen Verfehlungen kontrastiert Benoot mit der kristallinen Anmut der Landschaft, der Flächen und Weiten, diese Natur scheinbar jenseits Zeit und Zerstörbarkeit, die schon jetzt gelassen auf das mortale Treiben der Homo Sapiens Spezies zurück schaut.

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Im internationalen, zwölf Filme umfassenden Wettbewerb war Laura Poitras “Citizenfour” gewiss ein Höhepunkt. Sie schuf ein politisches und glücklicherweise nicht intimistisches Porträt Edward Snowdens. Snowden verweigert stets biographische Wühlarbeit, immer wieder betonend, es ginge nicht um seine Person, sondern um die Gründe seiner Aktionen, die keine biographischen seien. “Citizenfour” lässt die Erfahrung zu, wirklich einen Moment lang “Realität” mit zu erleben und den Puls wirklicher Gewalt zu spüren, jenseits der bloss kriminellen Energien manipulierter Oberflächenphänomene. Hier wird Realpolitik dechiffriert und zugleich ein Ethik  jenseits selbstbezogenen Heroismus sichtbar, die einfach darauf ausgerichtet ist, das Schlimmste zu vermeiden. In welcher Minderheit sich Snowden da befindet, ist allgemein bekannt. Die europäischen Staaten verweigerten ihm sogar die Überflugrechte. Doch gerade daher gehört dieser Film in jedes Schulpflichtprogramm, soweit Schulen noch die Aufgabe haben könnten, ein kritisches Bewusstsein und nicht marktgerechte Profile zu schaffen.

 

Wakhan Front  Clément Cogitore

"Citizenfour" Laura Poitras

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Er schafft eine surrealistische Fabel mit nachhaltigem Realitätsgehalt, erinnere man sich an die politisch-sozialen weit reichenden Fehler der westlichen, sowie auch der vormalig sowjetischen Okkupationsmilitärs, die aus völliger Unkenntnis um die lokale Wirklichkeit ein Desaster nach dem anderen schufen. Das Fazit aus Cogotores Film ist schlicht: eine andere Kultur lässt sich militärisch nicht kontrollieren. Das Schwinden der Soldaten hin zu einem unbekannten Raum kann auch als Hoffnung auf das Aussetzen einer macho-militärischen Selbstgewissheit gelesen werden. Cogotore jedenfalls dechiffriert mit eindringlichen psychologischen Porträts und Dialogen die langsame Dekomposition der westlichen Dominanz und Souveränitätsanmassung. Die aufkommenden Ängste, Zweifel und Todeskonfrontationen werfen neue Fragen auf, die im Militärvokabularium nicht vorgesehen sind. Doch hier Antworten zu finden scheint bedeutsamer als dem Wahn von Kontrolle und Dominanz weiter zu folgen.

Dok Leipzig Festival

"Im Killer" Ulrich Seidl

 

Ein weiterer Höhepunkt sr Sektion war gewiss Ulrich Seidls “Im Keller” (In the Basement), ein Werk, das unter die Gürtellinie des Wohlverhaltens zielt und Menschen aller Scharten und Arten zeigt an dem Ort, wo sie sich am wenigsten beobachtet glauben. Seidl zeigt ein groteskes Spektrum des abweichenden, fanatischen und zuweilen auch hilflosen Verhaltens, eine Intimität, die sich nicht kommunizieren will und kann, wohl aber nach Verbündeten sucht. Angesichts dieser Keller stellt sich die Frage nach Utopien und dem politisch Möglichen noch einmal ganz anders.  Diese Keller als reale Orte ganz persönlicher Phantasmen erschliessen Wirklichkeiten, denen sich der öffentliche Diskurs und die rechtlich normative Ordnung nicht stellen wollen. Doch sind diese Fluchtburgen sehr konkret und man fragt sich, wie des Seidl (wieder einmal) gelungen ist, Zutritt zu finden zu einer so reichen Zahl von das Tageslicht scheuenden Orten. Seidl meidet moralische Vorurteile, Entblössungsgesten und obsessive Lust am Spektakulären. Er beschränkt sich auf eine reine Aufzeichnung und wird damit der dokumentarischen Ethik gerecht, das ungesehene, übersehene, ungewollte und oft verleugnete Reale zu referieren rouge

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57. DOK-LEIPZIG FESTIVAL

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27 / 10 - 02 / 11 / 2014, Leipzig

Dok Leipzig Festival

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