Üblicherweise nutzen Festival ihre Jubiläumsveranstaltungen für Retrospektiven, vipige Gäste, und leicht medialisierbare Sonderprogramme. Vorausschaubar pompös und lobhudeln fielen jedoch lediglich die Auftaktreden aus, wo alle sich einig waren, Oberhausen immer schon gewollt, verteidigt und unterstützt zu haben. Die Rede war (trotz Clermont-Ferrand und Tampere) von grössten Kurzfilmfestival weltweit. Erinnert wurde zudem an ideologische Anfeindungen der Programmauswahl in den Zeiten des kalten Krieges, die heute komisch wirken.
Doch nicht die offiziell medialisierten Reden sind in Oberhausen substanziell, sondern die thematischen und historischen Seitenprogramme. Diese Orte der Erinnerungsarbeit und provokanten Antizipation zugleich sind das konzeptuelle Herz des Festivals. Hier wird geschult und Sichtbarkeit geschaffen. Doch gerade in diesem 60. Jubiläumsjahr gab sich Oberhausen recht asketisch und setzte auf Grenzphänome, auf Arbeiten am Rande des Filmes, an den Grenzen des Bildes und der Darstellbarkeit. Die Bildflächen blieben oft dunkel, dafür glitten grosse Textvolumen auf der Leinwand vorbei. Wo normalerweise Bilder laufen, traten performative Akte in den Vordergrund, verspielte Kommentare zu den Begleitumständen und der "Phänomenologie" des Kinos, wie etwa dem Kinosaal, der Eingangshalle, der Leinwand als Material, der Sitzposition... kurz, all die oft ins Vorbewusste abgeschobenen Bedingungen der Wahrnehmung des Films waren Focus des diesjährigen Programmblocks betitelt "Memories Can’t Wait - Film Without Film", kuratiert vom finnischen Künstler und Filmemacher Mika Taanila.
Der Film in Wiederholungsschlaufe oder als simultanes Ereignis in zwei getrennten Räumen, folglich für niemanden in Gänze wahrnehmbar, dies waren nur zwei Strategien, sich dem Thema anzunähern. Sich bewusst zu machen, was es heisst, Film zu schauen, bis an den kritischen Grenzwert seines Verschwindens, war angesagte Intention. Nun eignet sich kaum eine Kunstform weniger zur Wiederholung wie die Performance. Da machte auch die Wiederaufführung von VALIE EXPORTs "Abstract Film No.1" keine Ausnahme. In der No. 2 konnten Kinder mit Valie zumindest mitspielen. An die Leerstelle des nicht laufenden Bildes, so das Ideal des Kurators, treten die "glückseligen Erinnerungsrückprojektionen". Der Zuschauer schafft sich mit anderen Worten seinen eigenen Film. Die Frage ist nur, wofür braucht er noch die leere Leinwand, denn die "innere Filmproduktion", auch Imaginationsleistung genannt, leisten wir doch stets in jedem Alltagsmoment. |
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"Abstract Film No. 1", VALIE EXPORT |
War es wirklich notwenig, diese Geste der Negation, dutzende Male durchgespielt in der Kunstgeschichte, und dort kontextuell auch meist sinnvoll platziert, nun noch einmal als Position zu zelebrieren? Als Position scheint dies überfordernd und interesselos. So bleibt nur auf eine nächste Oberhausener Edition zu hoffen, wo Filme wieder als Reflexionsträger und Interventionsmacht ins Reale ihren Ort finden werden.
In dieser Logik der Negation gut platziert war die Werkschau Aryan Kaganofs. Seine Negation ist jedoch auf die (verstaatlichte) reglementierte narrative Sprache gerichtet. Ihr will er entraten mit komplexen filmischen Sequenzen zusammengetragen aus heterogenen Räumen und Wirklichkeiten. Hier wird Negation zu einer herausfordernden und unkontrollierten Produktion semantischer Partikel, die stereotype Wahrnehmungen unterlaufen. Die Verweigerung repressiver Narration kann Phänomenen neuen und erstaunlichen Raum zusprechen, wie Kaganof es etwa in seinem im internationalen Wettbewerb gezeigten Werk "Threnody for the Victims of Marikana" unter Beweis stellt. Hier ist es das Massenmorden südafrikanischer Minenarbeiter durch schwer bewaffnete Polizei- und Militäreinheiten, die in die Filmseqenzen vagabundierender, differenter Szenarien -öffentlichen Konzerte eingeschlossen - einbrechen wie das Unbewusste ins Reale, Jacques Lacan folgend.
Wie disparate Sprach-Bildräume suggestiv unheimliche Effekte erzeugen können zeigt die Gewinnerin des deutschen Wettbewerbsprogrammes Susann Maria Hempel in "Sieben Mal am Tag beklagen wir unser Los und nachts stehen wir auf, um nicht zu träumen". Während hier die Kamera auf einem beweglichen Wandinstallation haftet, die eine Welt zwischen Hieronymus Bosch, Marquis de Sade und Hans Bellmers "Dolls" anklingen lässt, eine Alptraumlandschaft sexuell mechanisierter Perversion, erklingt im Off im sächsischen Akzent eine Frauenstimme, die über ihre leidvollen Erfahrungen als Opfer chirugischer, sexueller und seelischer Verstümmelung berichtet. In der assoziativen, d.h. weder negierenden, noch repräsentierenden Verflechtung zwischen Bild und Sprache entsteht ein ungemein eindringliches Netzwerk von Erfahrungen, das nicht nur in das Bewusstsein des Zuschauern dringt, sondern verdrängte Erinnerungsschichten aufrührt. |
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"Sieben Mal amTag beklagen wir unser Los und nachts stehen wir auf, um nicht zu traäumen", Susann Maria Hemple |
"Semra Ertan", Cana Bilir-Meiers |
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Von nicht minder intensiv erlittener Gewalt handelt Cana Bilir-Meiers "Semra Ertan". Hier wird ebenfalls in nicht illustrativer, distanzierter Form, die sich auf Gedichte, Textfragmente, Zeitungsausschnitte und Photos beschränkt, dem Schicksal der jungen Türkin Semra nachgegangen, die sich aus Protest gegen Fremdenfeindlichkeit wie auch gegen eine zu kalte Gesellschaft mit 26 Jahren im Jahr1982 auf einer Hamburger Strasse selbst verbrannte. Die hochsensible Poetin kommt mit ihren eigenen Texten zur Sprache. In nicht einmal acht Minuten zieht ihr ungelebtes Leben vorüber, stellvertretend für andere, die nicht ihren radikalen Weg wählten und sprachlos blieben.
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Einsamkeit und Kommunikationslosigkeit ist Thema auch in Ang Sookoons "Exorcise Me". Hier sehen wir eine maskierte apatisch wirkende Gruppe von Jugendlichen in Schulräumen ihre teils bedrohlichen, teils als Selbstschutz verständlichen Positionen einnehmen. Der aus Singapur kommende Film im Internationalen Wettbewerb zeigt eine junge Generation, die nicht einmal mehr den Versuch macht, andere an ihren Leben teilnehmen zu lassen und zu Maskenträgern erstarrt sind. Dieses nur dreiminütige Werk demonstriert die Verdichtungsleistung von Realität, zu der ein Kurzfilm in der Lage ist. |
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"Exorcise Me", Ang Sookoons |
"Gangster Backstage", Teboho Edkins |
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Die Blockade des Schweigens zu brechen unternimmt dagegen Teboho Edkins in "Gangster Backstage". Hier sind es Straßenkriminelle aus Kapstadt, die er auffordert, ihre Ängsten und Hoffnungen zu artikulieren. Der Interviewsituation wird eine zusätzliche Form gegeben durch auf dem Boden markierte Kreidestriche, die einen imaginären Theaterraum schaffen, in dem die südafrikanischen mitunter wegen Mord Angeklagten ihre Erfahrungen nachstellen. Edkins, der bereits seit Jahren Nähe hält zum kriminellen Milieu (Gangster Projekt, 2011 und 2006/07) schafft hier sein bisher eindringlichtes Werk, indem er den (oft strategisch notwendigen) scherzenden Ton im Umgang mit den Gesetzlosen gänzlich aufgibt zugunsten einer wirklichen Befragung. Die hier auftretenden Personen reagierten auf eine Anzeige. Dies so geschaffene vertrauliche Einverständnis ermöglichte die oft erstaunlichen Selbstpreisgaben der Aussenseiter. "Gangster Backstage" wurde mit dem ersten Preis der Internationalen Jury gewürdigt..
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Einsamkeit und Leerlaufende Sprache als Sprache der politisch Verantwortlichen, behandelt Funahashi Atsushi in "Radioactive". Er kehrt zum Schauplatz Fukushima zurück, wo immer noch hunderte Menschen in Notunterkünften verweilen und gebannt auf ein klares Wort ihrer Autoritäten warten, während ihr Leben in der Warteschlaufe zerrinnt. Doch eine erwartete Entschuldigung, mehr noch eine Auskunft über eine mögliche Rückkehr und ihre absehbare Zukunft bleiben aus. Es ist schmerzhaft zu sehen, wie diese Menschenschar sich ihrer Wirklichkeit nicht zu stellen vermag. Atsushi fängt Momente ein, wo die weltweiten Reaktionen auf Fukischima, wie etwa die Absage an die atomare Produktion in Deutschland, im Fernsehen berichtet werden, doch im japanischen Aufenthaltsraum schaut niemand von den am unmittelbasten Betroffenen auch nur hin, absorbiert von alltäglichen Verrichtungen. |
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"Radioactive", Funahashi Atsushi |
Die Grenzen der Kommunikation, der Sichtbarkeit und Wahrnehmung kennzeichneten die diesjährigen Kurzfilmtage Oberhausens. Leider kann man die Festivalorganisation selbst nicht ganz davon freisprechen, wenn etwa gesellige Treffen, wie - um nur ein Beispiel zu nennen - ein kanadischer Empfang, nur an einige ausgewählte akkreditierte Festivalteilnehmer kommuniziert werden, während gerade diese Momente die wichtigste Gelegenheiten für mögliche gemeinsame Projektstiftungen, oder auch schlicht zum Informationstausch, Kennenlernen und zur Filmdiskussionen sind. Diese für eine gelungene Festivalatmosphäre substanziellen Orte werden jedoch durch eine organisatorisch betriebene Abkapselung von „Interessenskreisen“ hintertrieben, mit der Folge, dass immer nur die gleichen Teilnehmer sich wegisoliert von anderen Teilnehmerprofilen zusammen finden. Ein Festival kann in dieser Form seiner Verantwortung als spartenübergreifende Kommunikationsfläche nicht mehr nachkommen. Es verfällt zum Ort "professionalisierter" Interessensprofilierung und Verwertbarkeitseffizienz. Sein Charme und Reiz ist dahin. Und wenn selbst Akkreditierte, die auf eigenen Kosten seit Jahren aus dem Ausland nach Oberhausen anreisen, um aktiv zu partizipieren, plötzlich an der Tür zum keinesfalls unter Raumnot leidenden Auftaktfest abgewiesen werden, unter der Vorgabe von Regeln, deren Kriterien auch nicht kommuniziert werden, dann stimmt weder an den Regeln, noch an der Kommunikation etwas nicht. Vielmehr sieht man hier ein Zweiklassenszenario sich etablieren. Eigentlich schade, denn Oberhausen stand noch vor wenigen Jahren für ein Festival der Geselligkeit und der überraschenden Begegnungen |