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pxrouge FESTIVAL REVIEWS I 24. FESTIVAL INTERNATIONAL DE CINEMA MARSEILLE FID 2013 I VON DIETER WIECZOREK I 2013

Das « Festival International de Cinéma FID » in Marseille

Darüber Hinaus : Die Vervielfältigungen des Realen

 

 

VON DIETER WIECZOREK

"Outtakes from the Life of a Happy Man", Jonas Mekas

koch

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Wie nur wenig andere Festival wird im Marseilles FID weniger Realität dokumentieren als immer wieder neue Perspektiven, Optiken und Verfahrensweisen angeboten, das Reale zu umschreiben als ungesichertes Terrain. FID bietet ein vielstimmiges Panorama, mit Realität umzugehen, ohne unter Bestimmungszwang zu geraten. Das Möglichkeitsspektrum reicht von Arbeiten, die auf Autorenschaft nahezu verzichten, um lediglich ein Konzept zu verwirklichen, es führt über das Spiel mit reinen Potenzialitäten des Realen, über kommentarlose Wiedergaben von Überwachungskameras bis hin zum schlichten Aufgreifen des fragil Gegenwärtigen, zum reinen Eintauchen in das Hier und Jetzt, als Akt reiner Lebenslust und Augenblicksbejahung.

Golf to golf

"From Gulf to Gulf", Shaina Anand & Ashok Sukumaran

 

Für die erste Form steht etwa der im Wettbewerbsprogramm platzierte, in Indien und den Vereinigten Emiraten produzierte Film «From Gulf to Gulf» Shaina Anands und Ashok Sukumarans, der faktisch aus audiovisuellen Aufzeichnungen einfacher Frachtschiffarbeiter komponiert ist, jene nahezu Heimatlosen, die permanent die ansonsten unpassierbaren Grenzen überschreiten und die Ozeane durchstreifen, um den Preis willen, nie wirklich an Land gehen zu dürfen. Die Filmemacher liefern hier lediglich die Idee, deren Handy-Aufzeichnungen zu nutzen, die ein Leben am Rande der Virtualität einfangen. Die Seeleute nutzen ihre Taschenkameras und Handys üblicherweise für Nachrichten an Familienangehörige und Freunde, weit seltener auch zur Dokumentierung ihrer frei schwebenden Existenz zwischen den sozialen Wirklichkeiten.

Ein Spiel mit Potenzialitäten entfaltet sich, wenn im Zentrum des Filmes ein möglicher, aber nie realisierter Film steht, dessen mögliche Realisierung in unterschiedlichen Ereignisräumen und Fiktionsebenen evoziert wird. Die in Paris lebenden Filmemacher Sylvia Maglioni und Graeme Thomson sind während ihrer Recherchen zu Gilles Deleuze und Felix Guattari auf ein um 1980 geschriebenes Science-Fiction Manuskript des am Mainstreamkino interessierten Guattari gestossen, dass dieser (denkwürdigerweise) auch gleich in Hollywood verwirklichen wollte. Das Künstlerpaar macht sich auf den Weg der Rekonstruktion des Nichtrealisierten und thematisiert ihre Suche selbst als eine der möglichen Potenzialitäten Guattaris Werkentwurfs. Ihr Versuch, sich dem Nichtvollendeten anzunähern, wird auf verschiednen Ebenen durchgespielt, von Radiostudioaufnahmen bis nur Kontaktnahme mit den einst auch von Guattari kontaktierten Filmstudios bis hin zum Aufsuchen einer Wahrsagerin.

Sie vervielfältigen das Kontaktfeld noch, als sie auf einen merkwürdigen, jedoch nie präsenten Zeitgenossen stossen, der offensichtlich auch auf Guattaris Skript aufmerksam geworden war und sich zur Spurensuche aufmacht hatte, in der Folge jedoch – wie eine - sei’s nun Fiktion oder nicht - von Maglioni und Thompson zufällig gefundene Festplatte des einsamen Suchers zeigt, sich in immer labyrinthischen Bildfolgen und Reflexionen verlor. Das Verlorengehen in Potenzialitäten, auch dies eine mögliche Konsequenz des unerreichbaren Werkes. Ihre Suche nach dem Unbestimmbaren dokumentiert das Künstlerpaar nicht nur in dem in der «Théoreme»-Sektion platzierten, nach Guattaris Skriptentwurf betitelten Film «In Search of UIQ», sondern gut-rhizomatisch auch in Form von Ausstellungen und Buchpublikationen. Jedes Medium schafft seine eigene Interpretationsform, das « Phänomen » des unrealisierten Werkes zu konstituieren.

 

In search of Uiq

"In Search of UIQ", Silvia Maglioni_Graeme Thomson

Für das Eintauchen in den reinen Augenblick, in die Schönheit des Flüchtigen, in die fragile Zeitlichkeit steht kaum ein Name so klar wie Jonas Mekas, der Mann, der während seines langen Lebens nur selten die Kamera aus der Hand legte. Mit dieser Kamera schuf sich Mekas ein Medium der Vergegenwärtigung all jener einst präsenten Ereignisse, so eröffnet er sich und seinen Freunden einen Rückblick auf den gesamten Mikrokosmos der Details, die sich seinem eigenen Gedächtnis schon lange entzogen haben. «Ich habe gelebt, dies ist meine Welt, dem Vergessen und der Vergänglichkeit entzogen», ist das Credo Mekas, das er in seinem im FID als Abschlussfilm gezeigten «Outtakes from the Life of a Happy Man» noch einmal auf wundersame und berührende Weise dokumentiert. Die reine Selbstaufzeichnung…auch dies eine Form der Realitätsstiftung.

Der Wille zur Selbstbekundung wird üblicherweise in problematischen Situationen virulent. Christophe Brisson gibt in seinem im französischen Wettbewerb gelaufenen Werk «Au Monde», exklusiv den Erzählungen eines traumatisierten Mannes Raum, der in einem fast lichtlosen Kellergewölbe hockt. Hierhin hatte er sich nach einer chirurgischen Operation zurückgezogen, die ihn zum Behinderten gemacht hatte. Hier berichtet er mit metallischer, seine Atemgeräusche stark akzentuierender Stimme von seiner selbst gewählten, totalen Isolation und seiner langsamen Rückkehr in die Normalität der Geselligkeit.

Überwundene Behinderung ist Thema auch in José Luis Torres Leivas Film «Ver y escuchar». Der chilenische, im internationalen Wettbewerb gezeigte Film dokumentiert die Begegnung von Stummen und Tauben, die ihre ganz eigenen Wege finden, miteinander zu kommunizieren und zuweilen das Vorurteil der «Behinderung» zu transformieren vermögen zur Teilnahme an einer spezifischen, schlicht anderen Form der Wahrnehmung des Realen.

Isolation und Transgression, Asyl und seine Überschreitung werden als Thema in recht enigmatischer Weise ebenso variiert in Marcin Malaszczaks bereits auf der Berlinale gelaufenen Beitrags «Sieniawka». Der aus Polen stammende, heute in Berlin lebende Filmemacher, schafft ein dreigeteiltes Werk, das nahezu surreal und ortlos beginnt, in einer Waldgegend, wo ein in Schutzanzug und Helm daher kommender Mann einem Clochard begegnet, der die Nacht nicht überleben wird. Der weitaus längste Teil des Wettbewerbsfilms ist dem fast ereignislosen Leben der Insassen eines Asyls in Sieniawka gewidmet, in deren Rhythmus und Horizont Malaszczak eintaucht. Langsam nur schälen sich Mikroereignisse und Charaktere heraus, vor allem aber offeriert Malaszczak eine andere Wahrnehmung der Zeit und des Da-Seins. Im dritten Teil öffnen sich die Türen zu einer Rückkehr in die bekannte Alltäglichkeit, die nicht wirklich als vorzuziehende Lebensform zu überzeugen vermag.

Auch den analytischen Dokumentarfilm in seinen wiederum unterschiedlichen Formen bietet FID im Wettbewerbsprogramm. Einerseits als bestenfalls durch Dialoge angereichte, sich auf reine Beobachtung beschränkende Dokumentation, wie sie etwa Lech Kuwalskis in «Holy Field Holy War» darbietet. Thema ist die Umweltzerstörung durch einen US-Amerikanischen Chemiekonzerns in ländlichen polnischen Regionen. Kuwalski zeigt die Farce der «Demokratie-a-posteriori», nachdem unter Ausschluss der Öffentlichkeit alle wirklichen Entscheidungen bereits getroffen wurden und nimmt sich Zeit für die durchsichtigen Täuschungsmanöver auf den Informationsveranstaltungen des in Allianz mit Kommunalpolitikern agierenden Konzerns, während die Einheimischen faktisch in Folge der Wasserverseuchung in eine Existenzkrise getrieben werden. Kuwalski contrapunktiert diese Ereignisebene mit Bildern der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, wie auch mit Filmzitaten des 1948 von einer Ölkompanie in Auftrag gegebenen Propagandawerks «Louisiana Story» Robert Flahertys , den er in wilder Montage dekonstruiert zu einer denunzierenden Lesart.

Kommentierte Analytik dagegen demonstriert der US-Amerikanische Beitrag Travis Wilkersons «Los Angelos Red Squad : The Communist Situation in California», der anhand sorgfältig recherchierten Materials nachzeichnet, auf welche Weise die amerikanische kommunistische Bewegung methodisch unterminiert und dekonstruiert wurde. Einschleusen von Agenten, Denunzianten, Informanten, bis hin zu bestochenen Antreiber und Führungspersönlichkeiten... das ganze Register der Destruktions- und Destabilisierungsformen wird hier durchdekliniert und kristallin transparent gemacht, ein Musterfall von verblüffender Aktualität : Entscheidungs-, Gruppenbildungs- und Aktionsprozesse, die politischen Umbruch intendieren, können kaum real werden in einer bereits machtzentrierten Gesellschaft. 

Doch dann brechen in FID die Scharniere auch wieder, und die schöne anarchistische Libido bricht ein, fern allen Dokumentarischen. Im französischen Film «Il est des nôtres» Jean-Christophe Meurisses kommen in einem in einer Fabrikhalle abgestellten Wohnwagen eine Gruppe von recht individualistisch Begehrlichen zusammen, die alle üblichen Formen sozialen Umgangs erst gar nicht aufkommen lassen. Das Programm des freien Ausdrucks und der libidinösen Selbstentfaltung, das auch ältere Damen mal eine Strip hinlegen lassen, setzt bei Meurisse allerdings auch eruptionsartig aufflammende mortale, destruktive Energien frei. Schade, denn der Film wirkt vor allem durch seine fröhliche Ausgelassenheit und lustvolle Infragestellung sozialer Tabus. Er zeigt eine verspielte, sich spielende und sich ausprobierende Gruppe, die in bizarren, zuweilen hyperrealen Diskursen kommuniziert und die Grenzen des Möglichen abtastet. Eigentlich bräuchte es mehr dieser Existenz experimentierender Filme. Fellinis, Ferreris und Pasolinis mangeln heute schmerzhaft, in einer sich einödenden, immer stärker normierten und kontrollierten Realität. Reales wird in den abgesackten Szenerien dominiert von der «Sicherheits-» Ideologie» eh kaum mehr spürbar. Die Tilgung von Abweichungen und Widerstandsformen gegen die kommerzielle Prozessmaschine durch die „Sicherheits-Agenten ist weit fortgeschritten rouge

 

 

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24.FESTIVAL INTERNATIONAL DE CINEMA MARSEILLE

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02 - 08 / 07 / 2013

FID
In search of Uiq
 
 

 

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