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pxrouge FESTIVAL REVIEWS I 67. LA BIENALE DI VENEZIA I VON DIETER WIECZOREK I 2010

LA BIENALE DI VENEZIA 2010

Nicht immer sind es die Gewinner…

 

 

VON DIETER WIECZOREK

"'Attenberg", Tsangari

Glucliche Fugung

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Einer der stärksten Beiträge der Venediger Biennale wurde als »Überraschungsfilm« ins Programm gebracht. Das Festival behält sich diesen medialen Kunstgriff vor, während des Festivals noch einmal den Aufmerksamkeitspegel zu steigern durch diese Ankündigung in letzter Sekunde. Der chinesische Regisseur Wang Bing rekonstruiert in Le fosse mit schockierender Genauigkeit, was in Arbeitslagern, wie etwa dem in der Gobi Wüste situierten Jiabiangou, mit politischen Gefangenen bis in die späten 1970er Jahre hinein geschah. Die am Rande des Hungertods ihre Zwangsarbeit verrichtenden Ausgemergelten machten sich zuweilen selbst über die Körper der bereits Verhungerten her, um zu überleben. Die Erzählstrategie bringt die Figur einer jungen Frau ins Spiel, die auf der Suche nach ihrem Geliebten schließlich die schockierende Wahrheit seines Schicksals zu begreifen beginnt. Lange verharrt die Kamera in den engen, fast lichtlosen Behausungen, beobachtet die minimalen Gesten, nächtliches Kochen gefangener Ratten bis zum Verschlingen des Erbrochenen von Mitgefangenen. Gegenüber dieser Enge wird dem Zuschauer kaum die Möglichkeit einer Distanzierung gegeben.

Nicht minder schockierend wirkt Gianfranco Rosis Dokumentarfilm El Sicario – Room 164, einer der zweifellos wichtigsten Beiträge dieses Festivals, der seinen Ausgang von einem Essay Charles Bowden über seine Befragung eines ehemaligen Killers und Folterers nimmt. Bowden vermittelt für Rosi auch den Kontakt zu dem unter falschen Namen Untergetauchten und schafft es, ihn schließlich auch vor die Kamera zu bringen, irgendwo in einem abgelegenen Hotelzimmer im mexikanisch-amerikanischen Grenzgebiet. Verhüllt, aber seine Worte mit Zeichnungen auf einem Schreibblock begleitend. Auf den Kopf dieses Insiders des mexikanischen Dogenkartells ist mittlerweile ein Preisgeld von 250.000 Dollar ausgesetzt, ein klares Todesurteil in einer Welt, wo für sehr viel weniger skrupellose Kopfgeldjäger zur Tat schreiten. Dieser Mann schafft Einsicht in die gängigen Praktiken des Kartells, welches einen Teil der mexikanischen und US-amerikanischen Polizei zu ihren Mitgliedern zählt, die bereits als Jugendliche von der Straße geholt, angeschult und dann in das Polizeicorps infiltriert wurden. In luzider und schonungsloser Form werden Verschleppungs-, Folter- und Tötungspraktiken expliziert, die jährlich hunderte Opfer fordern, von schönen Frauen, die der »Einladung« zum Sex sich zu widersetzten wagten, bis zu abtrünnigen Informanten oder Erpressungsopfern. Alle Phasen der Todesangst und des hilflosen Widerstandes gegenüber einer perfekten Organisation, die auf Staatshilfe rechnen kann, werden durchlaufen. Glücklicherweise versucht Rosi erst gar nicht, die Erzählung mit repräsentativen Bildern anzureichern. Die Kamera bleibt auf die Hände, den Schreibblock und hin und wieder auf das verhüllte Gesicht gerichtet, von einigen wenigen Schwenks in den Hotelraum abgesehen, der einst auch Ort einer Folterung war. Der professionelle Ex-Mörder, der nur Verachtung hat für Kollegen, die ihre Arbeit mit sadistischer Freunde verrichten, entschied sich zur Kolloration mit Rosi, wohl nicht zuletzt getrieben von der Hoffnung, zumindest symbolisch wieder integriert zu werden in eine menschliche Gesellschaft, um die er sich auch, ohne je seine Identität preisgeben zu können, in einer christlichen Gemeinschaft bemüht. Als er am Ende des Interviews in Tränen ausbricht wirkt dies keineswegs gekünstelt. Angesichts dieser umfassend und perfekt organisierten Mörderei bleibt lediglich anzumerken, daß allein eine Legalisierung der »Drogen«, unter Bereitstellung aller therapeutischen Hilfestellungen, die Chance hat, dieser ansonsten unangreifbaren, da staatsgetragenen, Todesmaschinerie ein Ende zu setzen.

Essential killing

"Essential Killing", Jercy Skolimowski

 

Gegenüber den genannten Werken wirkt der Jury-Gewinnerfilm Venedigs fast matt, der Goldene Löwe Gewinner sogar insignifikant. Essential Killing des polnischen Realisateurs Jercy Skolimowskis präsentiert einen afghanischen Kriegsgefangenen, beeindruckend verkörpert von Vincent Gallo, hier gekürt mit dem Schauspielerpreis, der US-amerikanischen Folterpraktiken ausgeliefert wird und dem durch einen Unfall des Transporters auf dem Weg ins nächste Camp die Flucht gelingt. Von da an wird der durch eine verschneite Landschaft laufende und robbende Gejagte, der mit niemandem zu kommunizieren vermag, von einer Unwahrscheinlichkeit in die nächste getrieben, von Mord zu Mord, um schließlich doch in eisiger und einsamer Stille schwer verwundet zu verenden.

Sophia Coppolas Somewhere schildert einen erfolgreichen Mann in typischer Midlife Krise, an sich und seinem karriereorientierten Lebensstil zweifelnd, nicht zuletzt durch die Konfrontation mit seiner eigenen, vernachlässigten Tochter, auf deren Gefühlsbedürfnisse er kaum zu reagieren vermag. Coppola nimmt sich viel Zeit für die Aufzeichnung des oberflächlichen Lebensstil des Erfolgreichen, der sich kleine Sexshows noch ans Krankenbett bestellt, an das er kurzfristig gefesselt ist, um so ein Panorama komischer Bilder des American Way of Life der Happy Few zu zelebrieren.

Andere, originellere Werke hätte man lieber mit dem Hauptpreis geehrt gesehen. Einer von diesen ist Athina Rachel Tsangaris aus Griechenland kommender Film Attenberg, der die Qualität hat, einen fremden Blick auf die menschliche Spezies zu werfen und konsequent mit der Einspielung von Tierfilmen beginnt. Einer jungen Frau fällt es schwer, sich vom Sex nicht lediglich angeekelt zu fühlen und die üblichen Bewegungen nicht als bloß lächerlich zu empfinden. Ihre Freundin gibt ihr Einführungskurse im Zungenkuß, während ihr todkranker, intellektueller Vater im Krankenhaus sich gelassen auf seinen Tod vorbreitet. Mit beiden führt sie intensive, oft an der Grenze der Absurdität taumelnde philosophische Gespräche über die conditio humana. Trangaris entwickelt einen ganz eigenen Rhythmus und schafft mit klaren Geometrien und kristallinen Dialogen die puristische Atmosphäre einer wirklichen Existenzbefragung.

In Vincent Gallos Promises Written in Water nimmt eine junge Frau gleich zu Anfang ihrem Partner das Versprechen ab, sie nicht lange leiden zu lassen und ihren Körper zu schützen. Der Adressat dieser Worte scheint der Mann, der die Kamera führt, und der immer wieder versucht, die sich in Vulgarität flüchtende Frau für sensiblere Töne zu gewinnen, die es ihr erlauben würden, sich zu öffnen. Gleichzeitig ist dieser Mann, von Gallo selbst gespielt, zu gebrochen und selbst zweifelnd, um gegenüber seiner ehemaligen Geliebten die rechten Worte zu finden, sich in endlose Wiederholungsschleifen flüchtend, die das Unsagbare sehr schön zum Ausdruck bringen. Sein Versprechen gegenüber der Todgeweihten jedoch hält er. Die langen, ihren Körper abtastenden Kamerafahrten am Ende des Filmes wirken wie eine letzte Hommage, ein letzter Schutz, eine letzte Auflehnung gegen ihren Tod.

Auch der deutsche Beitrag, Tom Tykwers Drei, handelt von Lebenskrise und Todeserfahrung. Hier wirft der Tod der Mutter ein intellektuell engagiertes und erfolgreiches Paar aus ihrem hedonistisch angespannten Lebensstil. Beide werden sich nach Jahren spielerischer Harmonie und Kumpanei bewußt, daß etwas mangelt in ihrem Leben: sexuelle Intensität, Aufruhr und Herausforderung. Das Drehbuch will es, daß beide sich ohne Wissen in den gleichen Mann verlieben, eine Situation, die ein Set bekannter, folglich nicht wirklich origineller komischer Plots erlaubt. Weitere Schwächen mag man darin erkennen, daß Tykwer die beiden Erfolgreichen weniger als wirkliche Intellektuelle, sondern eher als Kulturkonsumenten ins Bild bringt, was gewiß nicht das Gleiche ist. Sie umgeben sich mit »Kultur« und Zitaten, ohne eigene Originalität und Partikularität zu entwickeln.

 

Drei

"Drei", Tom Tykwer

Auch die erotische Kapazität und Anziehung der »Drei«, die doch die Kraft haben sollen, aus den üblichen Bahnen zu reißen und ihr bisheriges Leben in Frage zu stellen, wirken kaum überzeugend.

Im Internetraum, für viele Journalisten der einzige Webzugang in diesen hektischen Tagen, auf den sie immer mehr angewiesen sind, um auch nur die Festival-Basisinformationen über Email zu erhalten, stand folgender Satz: »In accordance with current legislation with regard to internet traffic, we wish to inform you that for security reason all navigating sessions effected within the press room will be recorded and made available to the competent authorities should they request them.« Journalisten unter Terrorismusverdacht: Italien grüßt China rouge

 

 

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67. LA BIENALE DI VENEZIA

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01 - 11 / 09 / 2010

La bienale di Venezia

Attenberg

Drei

Essential Killing

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