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pxrouge FESTIVAL REVIEWS IVision du Réel I Nyon, Suisse I 2023 I von DIETER WIECZOREK

VISION DU RÉEL 2023
Festival international de Cinema

LASS UNS FOLTER SPIELEN

Das Schweizer Vision du Reel Festival gibt provokanten Filmen erneut Raum

 

von DIETER WIECZOREK

"My Worst Enemy", Mehran Tamadon

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Section Hightlights

"My Worst Enemy", Mehran Tamadon

 

Es mag erlaubt sein gleich zu Beginn die Frage zu stellen: sollte Folter repräsentiert werden und wie kann dies möglich sein? Sich unmittelbar mit den höchsten Grad menschlicher Bestialität als zentrales Thema zu konfrpntieren ist gewiss ein provokativer Akt, aber wer wäre möglicherweise hier ein Interessierter, der einen Nutzen daraus ziehen könnte, ABGESEHEN von einer Horror-Erfahrung?

Der Dokumentarfilm "Where God is not" (Jaii keh khoda nist),geht das Risiko ein, allerdings ohne die direkte Darstellung von Folterakten. Vielmehr werden diese durch detaillierte Zeugenaussagen im Vorstellngsvermögen des Zuschauers evoziert. Der aus dem Iran stammende, seit Jahren in Frankreich lebende Filmemacher Mehran Tamadon, hat selbst keine Folter durchgemacht , aber er zeichnet mit grosser Präzision die Erfahrungen einiger Zeugen auf, die alle ihre Folter, teilweise über Jahre hinweg, überlebt haben. Tamadon insistiert auf realistischen Nachstellungen der Foltermethoden und eine detalierte Rekonstrukti
on der

   

räumlichen Bedingungen, einschliesslich der Folterinstrument. Die Opfer durchlebten diese Torturen teilweise in totaler Isolation, teils in überfüllten Zellen.

Für die Zeugen ist diese Aufforderung, zurückzukehren an die Orte ihrrer Traumatisierung, di erneute Erinnerung an as sich an das, was sie niemals vergessen konnten, eine überaus schmerzvolle Erfahrung. Ihre Berichte werden oft begleitet von Tränen, Schreien und Stimmbrüchen. Die bleibenden mentalen und physischen Verletzungen werden unmittelbar spür- und sichbar. Alle Etappen vom Widerstand bis zur Anpassung, Versuche die innere Haltung zu verändern, zu kollaborieren, Namen zu nennnen, selbst von Nichtbeteiligten, kehren wieder. Die Erinnerung ist selbst Folter. Ist ein Dokumentafilm dies wert?

In "My Worst Enemy" (Mon pire ennemi), in Nyons Highlights-Sektion präsentiert, geht Tamadon einen Schritt weiter und versetzt sich selbst in die Rolle des Oppfers, lässt sich foltertn von einer renommireten iranischen Schauspielerin, der die Flucht gelang. Alst ehemalig Gefolterte erklärt sie sich bereit, diese Rolle zu übernehmen, eine Rolle, welche die fragilen Grenzen einer Selbst-Rekonstruktion berühren.

 

"My Worst Enemy", Mehran Tamadon

   

Gleich vorab insistiert sie, Folter kann nicht gespielt werden. Bereits der Filmset garantiert ein Sicherheitssystem. Was sie tun kann ist, mentale Folter zu praktizieren. Als mit Tamadon vertraute Person kann sie schmerzhafte Erinnerungen provozieren, Degradationen und Enttäuschungen, sowie leichtere Formen physischen Schmerzes, wie etwa Tamadon nach einer Kaltdusche nur mit Slip bekledet durch öffenliche Strassen zu treiben, auf dem Weg zur Schule seines Sohnes. Aber sie wird ihm nicht die Beine brechen, wie sie lapidar anmerkt.

Mehrfach deklariert Mehran Tamadon seine Film-Intention. Er will verstehen, wie Folter möglich ist, wer die Folterer sind, genauer, ob Folterer ein Gewissen haben. Werden sie ihre Taten bereuen, wenn sie eines Tages damit konfrontiert werden, in ihre eigenen Horror-Gesichter zu schauen. Mehran Tamadon ist sich des Risikos seiner möglichen Naivität bewusst und thematisiet diese auch im Dialog mit Opfern und der Schauspielerin. Doch bleibt anzuerkennen, dass er bereits 2014 in seinem Dokumentarfilm "Iranien", versuchte, einen Dialog zu ermöglichen mit den für die Folterpraxis Verantwortlichen des Basij Iranian Military, in der Absicht eine gemeinsame Basis zu finden, jenseits politischer Manipulation und Denunziation. Vergeblich, sein iranischer Pass wurde konfiziert und er konnten nie wieder mehr in sein Land zurückkehren.

 

Bleibt zu erinnern: Kriegspropagannda kann in kürzester Zeit friedvolle Existenzen in Mörder verwandeln, wenn dieser Term auch im neuen Kriegskontext tabu ist und zur Soldentenpflicht wird.

So riskiert Tamadons Intention bedeutungslos zu werden. Offiziere in Nazi Vernichtungscamps, die Tausende in einen schmerzhaften Tod schickten, waren ftmals in ihrem privaten Leben sensible Famlienväter und Beethoven-Bewuderer waren. Wissenschaftliche Studien haben wiederholt erwiesen, dass in einem hierarchischen System Befehle fast immer die Oberhand über Gewissen und Moral behalten. Entscheidend ist, eine empathische Verbindung mit den Opfern zu unterlaufen.

 

Dies gelingt meist problemlos durch die Deklarieung des Anderen als seiner Menschlichkeit entblössten Feind. Selbst wenn eine emotionale Blockade bei den ersten Tötungsakten noch aktiv ist, wird sie bald als Gewohnheitsakt überwunden.

Konsequenterweise sind alle hier befragten Gefolterten wie auch die “folternde” Schauspielerin überzugt, dass der Dokumentarfilm keine Einfluss auf die Folterer zeitigen wird. Mehran Tamadon Werke stellen daher die dringliche Frage, wer und was “Menschen” wirklich sind, die Frage nach der “Menschlichkeit”, die Frage nach der Bedeutung von Werten, Moral und Kultur für das reale Handeln, speziel unter - ethischen, nationalen und religiösen - Hordenbedingungen

 

 

Vision du Réel/ Edition 54
Festival international de Cinema

April 21 -30, 2023 Nyon

 

 

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